©
For Sale
Quelle: fotolia.com: Melpomene©

Essay | Buchmarkt

Alles zum halben Preis?

Der Buchhandel ist im Wandel. Und die scheinbar eherne deutsche Buchpreisbindung offenbar gleich mit.

Dass kleine Buchhandlungen am Aussterben sind, ist nichts Neues. Dass kleine Antiquariate aufblühen, schon eher. Interessant daran ist, dass beides auch ein Fingerzeig für den Buchhandel an sich und vor allem für den Buchpreis und seine eherne Buchpreisbindung hierzulande ist. [weiter…]

Feature

Alles zum halben Preis?

Buchhandel im Wandel

Das Frankfurter Nordend ist ein bürgerliches Viertel. Keine Villen, aber viele ältere, mehrstöckige Häuser mit guten Miet- und Eigentumswohnungen. Ein Viertel für zunehmend besser verdienende Familien und Singles. Ein Viertel, in dem auch das Buch noch gepflegt werden dürfte. So ist es gar nicht so schwer, hier Bücher zu kaufen. Ein halbes Dutzend Läden gibt es zwischen den Einkaufsstraßen Oeder Weg und Berger Straße: die Geschäfte »Land in Sicht« in der Mercatorstraße, »Ypsilon« und »Buch & Wein« auf der Berger Straße sowie »Weltenleser« am Oder Weg, dazu die Antiquariate Orban & Streu sowie Haschtmann.

Sechs kleine Läden. Doch richtige Buchhandlungen sind nur zwei davon: das »Land in Sicht« und das »Ypsilon«. Und beiden sieht man an, dass sie schon bessere Zeiten gesehen haben. Bei »Buch & Wein« füllen mehr oder weniger edle Weine die Hälfte des Ladens, die Auswahl der Bücher ist ansonsten sehr dem edlen Weinambiente angepasst. Und »Weltenleser« konzentriert sich ganz auf das lukrative Geschäft mit Reiseführern und Romanen zu fremden Ländern. Orban & Streu und Haschtmann sind klassische Antiquariate. Ein Segment, das vor ihren Türen in »Grabbelkisten« auch die anderen zu pflegen versuchen. Das Bild spiegelt den Trend. Bücher werden schon noch gekauft. Aber immer öfter zum Schnäppchenpreis.

Während in diesen Tagen auf der anderen Seite Frankfurts die Verlage zur großen Leistungsschau Buchmesse zusammenkommen, wäre eine kleine Exkursion ins Nordend gar keine schlechte Idee. Was sich hier spiegelt, ist ein Trend, der auch längst die Branche erfasst hat. Der Trend zur Implosion ihrer Preise. Fatalerweise ist dies ein Trend, den sie offenbar noch wenig auf dem Monitor hat. Denn noch immer gilt Deutschland als Land der hohen Buchpreise. Geschuldet ist dies der Buchpreisbindung, nach der allein die Verlage den Preis der Bücher festlegen und es diese Bücher in jedem Laden zu diesem Preis zu kaufen gibt. So sollte eine vielfältige Produktion gesichert werden. Bestseller alimentieren literarische Kostbarkeiten und Ladenhüter.

Doch die ideale aller Welten ist am Bröckeln. Ein blühender Zweitmarkt entsteht; getrieben durch das Internet. Speerspitze sind die scheinbar aus einer anderen Welt stammenden Antiquare. Das Nordend ist nämlich kein Einzelfall in der deutschen Buchhandelsbranche. Während innerhalb des letzten Jahrzehnts die Zahl der Buchhandlungen von 5000 auf nur noch etwa 4000 gesunken ist und Online-Händler wie Amazon den Ton angeben, ist die Zahl der Antiquare seit Jahren konstant bei etwa 1200 bis 1500. Die wichtigste Internetplattform für antiquarische Bücher ZVAB (Zentralverzeichnis Antiquarischer Bücher) listet sogar etwa 1.500. Darunter sind zwar auch Ausländer, doch dafür fehlen viele nur semiprofesssionelle kleine Anbieter. 

Das moderne Internet hat dieser alten Branche einen Boom verschafft. ZVAB, Internetriese Amazon oder kleinere Konkurrenten wie booklooker haben es Antiquaren leicht gemacht, Käufer zu finden. Längst sind solche Plattformen feste Größen im Markt. Allein ZVAB (das wohl nicht von ungefähr mittlerweile auch zum Amazon-Imperium gehört) wickelt täglich Tausende  Bestellungen ab. Der Jahresumsatz wurde bereits vor einigen Jahren einmal mit 30 Millionen Euro angegeben. Populär hat Amazon das Geschäft gemacht. Zu jedem Buch gibt es einen Zweitmarkt, auf dem Händler und Privatleute anbieten. Und die Grenzen dabei sind fließend. Privatleute agieren auch als Kleinstunternehmer oder Powerseller, die aus unterschiedlichen Quellen Bücher verkaufen. Für Amazon ist es ein lohnendes Zweitgeschäft. Es kassiert zwischen zehn und 20 Prozent der Verkaufspreise.

Auf den »Marketplaces« von Amazon & Co. werden auch (fast) neue Bücher gehandelt. Und zwar mit deutlichen Abschlägen. Wer am Wochenende vor der Buchmesse die ersten zehn Titel aus der Sachbuch- und Belletristik-Liste des Spiegel regulär kaufte, zahlte rund 225 Euro. Beim Zweitmarkt auf Amazon gab es sie „neu“ oder „wie neu“ für rund 195 Euro, auf booklooker für 155 Euro. Ersparnis: über 30 Prozent. Und Bücher, die schon ein halbes Jahr alt sind, gehen oft zum halben Preis weg. Beispiel: Ein Paket mit fünf Titeln des auf internationale Literatur spezialisierten Unionsverlages kosteten im Handel rund 100 Euro, via Amazon & Co. nur rund 30 bis 40 Euro. Und alle Bücher waren durch die Bank nagelneu.

Verlage müssen nicht verkaufte Bücher zurücknehmen. Sie gehen als »Mängelexemplar« an Händler oder die entsprechenden Sparten bei Internetbuchhändlern, die diesen Markt mittlerweile auch entdeckt haben. Meist sind sie durch Stempel oder Strich gezeichnet, zuweilen nur durch Aufkleber. So geht ein nagelneues Buch des Nobelpreisträgers Nagib Machfus via Amazon für 10,95 Euro statt 18,90 Euro über den virtuellen Tresen. Auch andere Quellen speisen diese Shops. Viele Exemplare werden für Marketing und Presse kostenlos abgegeben, andere in den Verlagen an Mitarbeitern mit Rabatt von 30 bis 50 Prozent verkauft. Solche Exemplare landen oft bei Antiquaren – und heute damit direkt im Netz. Daneben gibt es Nachdrucke. So finden sich etwa immer wieder auch Titel der Spiegel-Liste zu zwei Dritteln des Originalpreises als Nachdruck bei entsprechenden Verlagen auf dem Markt. Lange Zeit hatten auch die Museen bei Pressekonferenzen ihre Kataloge (Neupreise meist 30 bis 60 Euro) an Journalisten (und solche, die sich dafür ausgaben) kostenlos abgegeben. Mittlerweile gibt es wohlweislich nur noch pdf-Versionen …

Den Verlagen ist die Praxis bekannt. Doch äußern will sich niemand. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass dies ein »Zweitmarkt« sei, der auch die Preise schleichend senke. Insider glauben, dass der durchschnittliche Preis vieler Bücher 20 Prozent unter dem Ladenpreis liege. Und die Spirale setzt sich fort. Im Netz tummeln sich unzählige Privatleute. Sie verkaufen ungeliebte Geschenke, kursorisch gelesene und ausgelesene Exemplare oft schnell auf dem Onlinemarkt. Auch davor verschließt die Branche die Augen. Ihr Argument: Sie haben ja mal den Originalpreis erzielt. Doch andere halten dies für eine Milchmädchenrechnung. Denn viele der neuen Käufer gehen dem Erstmarkt verloren. Und dies senkt dort die Auflagen oder treibt weitere überzählige Exemplare in den »Mängel«-Verkauf. Wie viel dieser Markt umsetzt, weiß keiner genau. Vor allem Big Player Amazon schweigt zu seinen Zahlen. Doch Insider schätzen aufgrund der ZVAB-Zahlen ein Bruttopreisvolumen im hohen dreistelligen Millionenbereich.

So oder so – die Branche wird über neue Wege nachdenken müssen. Vielleicht kann sie ja auch im Nordend bei den Antiquaren schon mal sehen, wie man im freien Markt Preise macht. So oder so – das Internet erhöht auch Macht und Möglichkeiten der Leser.

Volker S. Stahr