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Fahrräder über Fahrräder - nahe dem Marktplatz von Groningen
Quelle: Henk Monster©

Städte für Menschen und Räder [2]

Zwei Drittel auf zwei Rädern

Groningen - die wahre Fahrradwelthauptstadt

Der flüchtige Besucher könnte Groningen tatsächlich für eine beschauliche Kleinstadt halten. Wer durch diese Stadt flaniert, sieht für eine 200.000-Menschen-Stadt erstaunlich wenige Autos im Stadtzentrum. Dafür aber unzählige Fahrräder, Radfahrer und Radfahrerinnen. Und die Zahlen belegen dies sogar: Mehr als 60 Prozent aller Fahrten in der Universitätsstadt werden mit dem Fahrrad zurückgelegt; bei Fahrten von beziehungsweise zu den Bildungseinrichtungen steigt der Anteil sogar auf mehr als 70 Prozent. Diese Tatsache wird noch bemerkenswerter durch den Umstand, dass die Fahrradinfrastruktur in Groningen sich eigentlich nicht sehr von derjenigen in anderen niederländischen Städten unterscheidet. Manche behaupten, dass sie an vielen Stellen im Stadtgebiet sogar eher schlecht(er) ist.

Trotzdem macht die niederländische Stadt Groningen tatsächlich den Eindruck, so etwas wie die Welthauptstadt des Fahrrads zu sein und keineswegs ein (nur) verträumtes Kleinstädtchen. Doch warum ist gerade hier das Fahrrad ein derartig beliebtes Fortbewegungsmittel? Zunächst einmal besitzt Groningen eine erstaunlich junge Bevölkerung. Fast 18 Prozent der rund 200.000 Einwohner sind Studierende – ein Faktor, der bekanntlich eine starke Fahrradnutzung nach sich zieht. Zweitens sorgt der kompakte und vielfältige Charakter der Stadt dafür, dass die Distanzen zwischen den Orten der täglichen Aktivitäten kurz sind. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass Groningen radikale und konsequente Entscheidungen getroffen hat, um die vorherrschende Rolle des Autos in der Innenstadt zurückzudrängen. Wie in den meisten europäischen Städten war das Radfahren auch hier im frühen 20. Jahrhundert die dominierende Verkehrsform. Aber in den 50er und 60er Jahren wuchs der Autoverkehr rapide an und sorgte in allen niederländischen Städten für eine erhebliche Verkehrsbelastung.

In Groningen jedoch träumte bereits in den 70er Jahren der Lokalpolitiker Max van den Berg – der gerade einmal 24 Jahre alt war, als er damals die Verantwortung für die städtische Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik übernahm – davon, das Auto aus dem Stadtzentrum zu vertreiben und wieder Raum für Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Dafür entwickelte er eine an sich gleichsam banale wie revolutionäre Methode. Van den Bergs neuer »Verkehrswegeplan« unterteilte das Zentrum in vier Sektoren. Autofahrern wurde es unmöglich gemacht, direkt von einem Sektor in einen anderen zu fahren. Sie mussten dafür auf die Ringstraße rund um die Innenstadt ausweichen – während Radfahrer und Fußgänger sich weiterhin frei bewegen konnten. Dadurch wurde das Autofahren im Stadtzentrum unattraktiv und zeitaufwendig. Und durchfahren konnte man das Zentrum schon gleich gar nicht.

Statt die Stadt dem Auto anzupassen, passte van den Berg das Auto der Stadt an. Im Jahr 1977 wurde dieser »Verkehrswegeplan« quasi über Nacht eingeführt. Schilder wurden aufgestellt, um Straßen als Einbahnstraßen auszuweisen oder deren Richtung zu ändern. Anschließend wurden neue Radwege gebaut und Bäume gepflanzt. Der Vismarkt – ein zentraler Platz, der zu einem großen Parkplatz geworden war – gewann seine historische Funktion als Markt zurück. Die von vielen Seiten befürchtete wirtschaftliche Katastrophe hingegen blieb übrigens aus. Die meisten Läden überlebten, manche blühten sogar auf. Es brauchte einige Zeit, bis sich die Autofahrer an die neue Lage angepasst hatten, und Ortsfremde werden auch heute in der Innenstadt noch ihre Schwierigkeiten haben. Dafür besitzt Groningen derzeit aber die sauberste Luft aller niederländischen Großstädte, und viele Straßen im Zentrum sind mittlerweile erstaunlich ruhig … (dam. / red.).