©
Aus: Erdoğan - Im Rausch der Macht
Quelle: Arte©

Im Netz | Türkei

Hoffnungsträger auf Abwegen

Arte | »Erdoğan - Im Rausch der Macht«

Vor über zwei Jahrzehnten begann die Karriere des Recep Tayyip Erdoğan. Er wurde in den 90er Jahren Oberbürgermeister der türkischen Metropole Istanbul, damals noch für die islamistische »Wohlfahrtspartei«. Später gründete er die heute regierende AK Partisi, wurde Minister- und 2014 Staatspräsident. Wer ihn aus den frühen Zeiten und auch aus den ersten Jahren als Ministerpräsident kannte, erlebte einen zwar islamistisch geprägten, aber sehr wohl demokratischen und modernen Politiker. Erdoğan sanierte den »Moloch Istanbul« und schuf eine Partei zwischen dem Islam und westlichen Werten. In seine Zeit als Ministerpräsident fielen der wirtschaftliche Aufschwung, eine Anerkennung der Kurden und zahlreiche Schritte zur Demokratisierung. Er drängte die Macht der Militärs zurück, reformierte das Rechtssystem und schuf sogar die Todesstrafe ab.

Nicht wenige Beobachter hielten es für möglich, dass Erdoğan gelingen könnte, woran viele zuvor gescheitert sind: islamische und westliche Werte zu vereinen. Dass dies für die Türkei Sinn machte, lag auf der Hand. Republikgründer Atatürk hatte das Land für die Moderne geöffnet, dabei allerdings die islamischen Grundlagen der Bevölkerung beschnitten. Erdoğan machte sich auf, diese beiden Pole zu vereinen. Gut zwei Jahrzehnte später scheinen sich allerdings ein anderes Bild der Türkei und auch ein anderer Erdoğan zu zeigen. Spätestens seit dem Putsch im Sommer 2016 weitet er seine Macht und die der AK Partisi immer weiter aus, treibt die Islamisierung voran, geht gegen die Opposition, die Kurden und auch gegen die Medien vor. Neben dem Putschversuch erschüttern neue Kämpfe gegen die Kurden, Terroranschläge und Korruptionsvorwürfe das Land. Für Arte haben Guillaume Perrier und Gilles Cayatte das letzte Vierteljahrhundert der Türkei aufgearbeitet. In der eindrucksvollen Reportage »Erdoğan – Im Rausch der Macht« zeichnen sie die drei Gesichter Erdoğans, des Islamisten, des Reformers und des Machtpolitikers. Ein widersprüchliches, aber vielsagendes Porträt des neuen »Sultans vom Bosporus«. Auch wenn es naturgemäß nicht die Frage beantwortet, als was Erdoğan einst in die Geschichte eingehen wird … (vss.).