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Ausschnitt aus dem Cover
Quelle: Piper Verlag©

Buch des Monats

Wir sind dann wohl die Angehörigen

Johann Scheerers Geschichte einer Entführung

Ich weiß eigentlich gar nicht, was mich ausgerechnet nach diesem Buch hat greifen lassen: unbekannter Autor, Sachbuch-Abteilung. Neugierde, Voyeurismus, das Tape auf dem Cover? Oder vielleicht ein flüchtiges Mitgefühl, wenn es »einen der Reichen und Mächtigen« getroffen hat? Egal. Ich lese die knapp 250 Seiten innerhalb von zwei Tagen …

Der damals dreizehnjährige Johann erzählt von den 33 Tagen um Ostern 1996, in denen sein Vater Jan Philipp Reemtsma gekidnappt war. Davon, wie es sich anfühlt, aus aller Normalität gerissen zu sein. Machtlos, in Sorge um den geliebten Menschen. Und voller Angst, etwas falsch zu machen. Wenn die Zeit sich unendlich dehnt und nichts Anderes mehr wichtig ist. Mit Polizisten als Mitbewohnern. In einem Zuhause, das man nur noch in Begleitung verlassen darf. Von den Gesprächen zwischen den Erwachsenen und mit den Entführern erfährt Johann damals nur selektiv.

Doch es liest sich ganz anders, als es sich anhört: unsentimental, direkt und immer wieder bizarr-komisch. Johann schildert sich als meist wortkarg und einsam in diesen Tagen, seine Verzweiflung dringt durch die Zeilen. Etwa bei dem »an sich absurden Wunsch nach einem Hubschrauber … einem Hubschrauber zum Beispiel, der mich aus dieser Situation herausflog. Irgendwohin. Bestenfalls auch zu meiner Familie. Dem Teil, der fehlte. Zu meinem Vater«. Zumindest ein wenig gerettet hat ihn die Musik, damals und später.

Es ist auch die Geschichte einer unkonventionellen Familie, die in zwei nebeneinanderstehenden Häusern lebt und nur wenigen Klischees genügt. Sehr sympathisch. Und so bin ich erleichtert, hier noch einmal zu lesen, was ich doch schon weiß: dass am Ende alles gut wird. Doch wird es das? Johann meint, das Böse habe gesiegt – denn sie würden immer wieder auf diese Zeit zurückgeworfen. Ich wünsche ihnen, dass er unrecht hat … (pem.).