Kurzessay | Songs, so wrong [3]

Biedermeier abgebrannt

Peter Fox, (s)ein Haus am See - kurz zwangsenteignet

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Aus: Musiker in Frankfurt | (c) Barbara Walzer

»Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier« ist der Titel einer Jugendstudie, die das Kölner rheingold Institut 2010 durchgeführt hat. In der Pressemitteilung zu den Ergebnissen heißt es: »Die Jugend 2010 gibt ein verblüffendes Bild ab. Sie präsentiert sich sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig. Zielstrebig will sie ihren eigenen Weg finden. Dabei stehen Bildung, Karriere und ein hoffentlich gutes Einkommen hoch in Kurs. … Dabei scheint in diesen Entwürfen immer eine Biedermeierwelt durch, in der das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen. Bewohnt mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund.« Und dann kommt der Satz, der Musikfreunde aufhorchen lässt: »Das Lied von Peter Fox über das Haus am See ist daher eine Hymne an ein beschauliches Leben, in dem man endgültig angekommen ist, sich niedergelassen hat und sich im Kreise der Familie wohlfühlt.«

So weit, so aha. Peter Fox also, das Sprachrohr eines neuen jugendlichen Biedermeiertums? Haus am See, die Hymne auf ein beschauliches Leben im Kreis der Familie? Darauf muss man erst einmal kommen. Okay, in zwei Versen des Refrains klingt so etwas an wie ein beschauliches Leben: »Und am Ende der Straße steht ein Haus am See (…). Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehn«. Aber das war’s eigentlich schon. Immerhin ist Fox Mitglied der weitgereisten Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed, die die deutschsprachige Musikszene zu Beginn des 21.  Jahrhunderts mit heißen karibischen Rhythmen und originell-provokanten, teils anzüglichen Texten aufmischte. Und vor allem der Rest der Lyrics ist doch alles andere als deutsches Biedermeier. Schon der übrige Refrain deutet in eine ganz andere Richtung. »Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg / Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön«. Wenn ich nicht irre, wachsen Orangenbäume kaum in Deutschland, und die 20 Kinder stehen doch wohl in deutlichem Kontrast zur Idylle »mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund«. 20 Kinder, das klingt eher nach einem kleinen zufriedenen Karibik-Macho, einem echten Sugar Daddy. Aber es kommt noch dicker. Denn wer genauer hinhört, entdeckt auch keinen selbstzufriedenen Strand-Macho, sondern lediglich ein Loser-Ich, das sich aus einer beengten, traurigen und ausweglosen Situation heraus- und ganz weit weg fantasiert. »Hier bin ich gebor’n und laufe durch die Straßen. Kenn’ die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden. Ich muss mal weg, kenn’ jede Taube hier beim Namen. Daumen raus, ich warte auf ne schicke Frau mit schnellem Wagen.« Karriere, Kompetenz, Zielstrebigkeit, Anpassungsbereitschaft? Alles Fehlanzeige. Stattdessen: »Wir saufen Schnaps und feiern eine Woche jede Nacht« …

Am Ende des Songs offenbart sich die ganze Tragik des Sprechers, der seinen Traum wahrscheinlich nie verwirklichen wird: »Hier bin ich gebor’n, hier werd’ ich begraben. Hab taube Ohr’n,  ’nen weißen Bart und sitz im Garten. Meine 100 Enkel spielen Cricket auf ’m Rasen. Wenn ich so daran denke, kann ich’s eigentlich kaum erwarten.« Klingt nicht nach Idylle, sondern eher bitter. Um es kurz zu machen: Fox’ Haus am See ist eine Aussteigerfantasie. Und nicht mal die eines ausgebrannten Karrieristen, sondern die eines armen Schluckers, der überhaupt keine Perspektiven hat. Ein Eindruck, den das Video zum Song übrigens unterstreicht: Dort sitzt der Protagonist am Ende tatsächlich an einem See und angelt. Doch er trägt abgerissene Klamotten, ist unrasiert. Und: Er angelt ganz allein. Das vielbeschworene Haus am See, das im Hintergrund zu sehen ist, erweist sich als armseliger Holzverschlag. Wenn das Biedermeier ist, liebes rheingold-Institut, müssten etliche Lexikoneinträge umgeschrieben werden … (ted.).