Neues Leben - als Aquarium, als Bücherschrank, als Galerie. Darunter: Out of Order (David March)
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Urban21 | Die neue Zellkultur

Vom Pub bis zum Bücherschrank

Neues Leben in alten (Telefon-) Zellen

Über viele Jahrzehnte hinweg gehörten Telefonhäuschen in fast allen Ländern und Städten dieser Welt zum festen Straßenbild. Zu den bekanntesten Exemplaren gehören wohl die berühmten roten Booths der British Telecom und die allseits vertrauten gelben Kabinen ihres deutschen Pendants. Doch der Siegeszug der Mobile und Smart Phones führte zum langsamen, aber steten Dahinsiechen der doch eigentlich smarten Boxen. Staatliche Auflagen retteten ihnen da und dort noch das Leben, auch wenn sie längst kaum mehr benutzt wurden. In Deutschland, Frankreich und der Schweiz sollen einst rund eine halbe Million der Kabinen herumgestanden haben. Mittlerweile sind es nur noch 20.000 bis 30.000, rund drei Viertel davon in Deutschland. In Frankreich und der Schweiz werden seit dem Jahreswechsel auch die letzten Häuschen so langsam abgebaut. Fast schon symbolhaft hatte diese Entwicklung bereits in den 90er Jahren der britische Künstler David March in seiner Skulptur »Out of Order« vorweggenommen.

Doch seit einigen Jahren scheint das Zellsterben ein Ende zu haben. Nicht, dass es auf einer neuen Retrowelle plötzlich wieder mehr Kabinentelefonierer gäbe oder zunehmend autistische Smart Phone-Besitzer die Box nun gar zum eigenen Schutz entdeckt hätten. Aber immer öfter regt sich neues Leben in den alten Zellen – und zwar weltweit. Neuen Raum findet darin etwa plötzlich ein Medium, dem eigentlich zuweilen selbst das Aussterben prognostiziert: das Buch. In alten Telefonzellen finden mittlerweile »Bücherschränke« zum Einstellen und Finden alter und/oder gelesener Bücher ein neues Zuhause. Weit verbreitet sind diese Minibibliotheken in Deutschland; sowohl in alten Telekomkabinen, als auch in Original-Phone-Booths aus Großbritannien. Doch auch Firmen und Privatleute sichern sich hierzulande ausrangierte Zellen, um sie sich zur Dekoration in Büroräume oder in den heimischen Vorgarten zu stellen. Und sie sind dabei so beliebt, dass die Telekom angeblich selbst schon kaum mehr über Altbestände verfügen soll. Apropos. In manchen modernen Großraumbüros sollen die Telefonzellen sogar ihren ursprünglichen Zweck wieder erfüllen – mal in Ruhe und ohne Zuhörer ein Telefonat zu führen …

Doch die einst so häufigen Häuschen sind längst nicht mehr nur als Liebhaberstücke unter die Leute gekommen. Auch zu mehr oder minder kommerziellen Zwecken erblühen sie mittlerweile zu neuem Leben. Im schottischen Kilberry etwa hat Hotelbesitzer David Wilson eine der alten roten BT-Relikte für ein Pfund erworben und den wahrscheinlich kleinsten Pub der Welt daraus gemacht, wenn auch vornehmlich für die eigenen Hotelgäste in der abgelegenen Gegend. Eine Investition, die sich bereits beim ersten Gast amortisiert haben dürfte. Wobei die Geschäfts-Idee in Großbritannien gar nicht mal mehr so originell ist. Viele der alten BT-Häuschen, die es übrigens bereits seit fast 100 Jahren gibt, haben mittlerweile neue Bestimmungen als kleine Shops, Salat-Bars, Cafés (für richtige Bars außerhalb eines Hotelgeländes bräuchte man eine Lizenz) und sogar Mobile Phone Repair Shops. Längst gibt es sogar eine eigene Firma namens Red Kiosk Company, welche die Häuschen für rund dreieinhalb Tausend Pfund im Jahr vermietet. Allerdings wirft das neue Geschäft neue Probleme auf. Der Nachrichtendienst Bloomberg berichtete kürzlich, dass nun neue Lizenzen erarbeitet werden müssten, da es sich hier weder um einen stationären noch um einen fliegenden Händler handelt … (sfo.).