Kopenhagen als Avantgarde - In der dänischen Metropole haben Radfahrer sogar eigene Brücken
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Best of 20 | Pop up-Bike Lanes

Radwege auf allen Wegen

Corona beschleunigt Rad-Verkehrs-Wende

Ob Brüssel, Mailand oder Barcelona, ob Berlin, München, Frankfurt, Darmstadt oder Offenbach – Europa- und bundesweit bauen Städte Radwege aus. Nicht nur aus ökologischen Gründen. Die neuen Pop-up-Lanes, die vom Lockdown noch befördert wurden, werden in Zeiten der Lockerungen erst recht gebraucht. Und es gibt wenig gute Gründe dagegen. 

[> Beitrag auf eigener Seite lesenEs war schon ein bemerkenswerter Satz, der vor einigen Wochen aus der Frankfurter Industrie- und Handelskammer zu vernehmen war. Die Frankfurter Verkehrspolitik solle sich, so der Präsident des einflussreichen Wirtschafts- und Handelsverbandes, mehr an einem funktionierenden Verkehr als an der Bevorzugung einzelner Verkehrsmittel orientieren. Vereinfacht gesprochen: Die in einem mühsamen Prozess gerade neu die Stadt durchziehenden roten Bike Lanes auf den Hauptverkehrsstraßen sollten doch bald wieder verschwinden, um die Straßen wieder einem einzelnen Verkehrsmittel namens Auto und den damit einkommenden Pendlern, Geschäftskunden und Lieferanten zurückzugeben. Pardon: natürlich nicht einem einzelnen Verkehrsmittel, sondern einem in den Augen der IHK funktionierenden Verkehr natürlich.

Nun scheinen Frankfurts Straßen – siehe Mainkai – ja überhaupt ein gutes Pflaster für das Infragestellen urbaner Veränderungsprozesse zu sein. Während fast alle Welt die Straßen beruhigt, wird in Frankfurt schon wieder »zurückberuhigt«. Doch in Sachen Bike Lanes scheinen manche in dieser Stadt vollends die Zeichen der Zeit zu ignorieren. Ob Brüssel, Mailand oder Barcelona, ob Berlin, München, Darmstadt oder sogar Offenbach – Europa- und bundesweit bauen Städte derzeit massiv ihre Radwege-Infrastruktur aus. Und in Corona-Zeiten noch um einiges zügiger als zuvor. In Berlin und München entstanden und entstehen mit dem Beinamen »Corona Lanes« bereits zahlreiche Pop-up-Lanes auf großen Verkehrsachsen. Ging es in der Vergangenheit um bessere Luft und mehr Lebensqualität, so kam in den letzten Wochen noch das Argument für mehr gesunde und abstandsgeschützte Fortbewegung in Corona-Zeiten hinzu. Berlin etwa hat denn auch die zeitliche Begrenzung der Lanes von Ende Mai auf Ende des Jahres verlängert. München begleitet die Lanes mit parallelen Untersuchungen, ob positive Effekte denn nicht gleich dauerhaft bleiben sollten. In Darmstadt und Offenbach mach(t)en sich Bürger*innen für Radentscheide stark, um dem Rad dauerhaft mehr Platz im Straßenverkehr zu schaffen. Gegen die bisherige Bevorzugung eines einzelnen Verkehrsmittels, könnte man sagen.

Nicht nur in Deutschland treffen sich mittlerweile Ökologie und Corona-Vorsorge. Metropolen wie Brüssel oder Barcelona beschleunigten in diesem Sommer den Umbau ihrer Innenstädte zu Städten für Fahrrad und Fußgänger. Brüssel etwa führt flächendeckend Tempo-20-Zonen ein und erlaubt Fußgänger*innen, auf den Straßen zu gehen. Zuerst einmal, um ihnen mehr Abstand auf und in den Straßen zu ermöglichen. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau assistiert mit der Bemerkung, dass Corona die Dringlichkeit des Umbaus noch erhöht habe. Und dies gilt nach Ansicht zahlreicher europäischer Stadtoberer gerade jetzt. In einem offenen Brief an die EU warnten sie vor einem Rebound-Effekt für das Klima und die Schadstoffbelastung der Städte, da gerade jetzt viele Menschen zum eigenen Schutz eher auf das Auto als auf den Zug setzten. Ein Grund mehr, neben einem Ausbau des ÖPNV den Raum für Autos zu verknappen. Auch Italiens Wirtschaftsmetropole Mailand schließt sich den anderen Großstädten an und will im Laufe des Sommers 35 Kilometer Straße zugunsten von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen umbauen. Mit einer – neben der Gesundheit – interessanten Begründung: Dass dies der innerstädtischen Wirtschaft, den Bars, den Geschäften und Handwerkern zugutekäme in der Zeit nach der Krise. Ein bemerkenswertes Motiv übrigens, bestätigen doch praktische Beispiele und Studien aus und über andere(n) Städte(n) immer wieder, dass verkehrsberuhigtere Innenstädte mitnichten immer zu Verödung, Geschäftesterben oder Umsatzeinbußen führten. Zumal wenn mehr Parkhäuser und besserer ÖPNV das ausgleichen. Davon kündet auch die skurrile Erfahrung von Stadtoberen aus dem belgischen Gent. Als vor vier Jahrzehnten der damalige Bürgermeister die Innenstadt autofrei machen wollte, schickte ihm ein Ladeninhaber unmissverständlich eine Patrone ins Rathaus. Vier Jahrzehnte später berichtet sein Nachfolger, dass er eine kugelsichere Weste brauchte – wenn er das wieder rückgängig machen würde … (vss.).