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Ausschnitt Buchcover
Quelle: Ullstein©

Wieder gelesen

Das Digitale löst die Wirklichkeit auf

Christoph Kucklick über »Die granulare Gesellschaft«

Die allumfassende Digitalisierung ist derzeit ein omnipräsentes Thema. Bereichert wird die Diskussion nun durch das facettenreiche Buch von Christoph Kucklick. Er zeigt mittels vielfältiger Beispiele und Thesen, wie die Digitalisierung unser Leben bereits gründlich verändert hat und künftig unsere bisherige »Ordnung der Welt« weitgehend hinfällig machen wird.

»Granularität« ist in der Computerwissenschaft der Grad der Auflösung, die Präzision von Daten. Durch die Digitalisierung verwandeln wir uns Schritt für Schritt in eine feinauflösende – also: granulare – Gesellschaft. In der Konsequenz heißt das, dass wir dank der Vielzahl an Infosplittern wie Vorlieben, Freunde, Krankheiten und alltäglichen Bewegungsmuster gnadenlos vereinzelt, singularisiert werden (können). Anhand von höchstens vier Merkmalen kann schon heute nahezu jeder identifiziert werden. Das ist für den Autor die »Differenz-Revolution«. Daneben erwartet uns die »Intelligenz-Revolution«. Sie bringt allen, die mit intelligenten Maschinen umgehen und kooperieren können, wirtschaftliche Chancen. Wissen und Knowhow verschieben sich. Damit einhergehend wird die ökonomische Ungleichheit wachsen. Als drittes kommt die »Kontroll-Revolution«. Die Vielzahl an Daten ermöglicht es nämlich nicht nur, dass wir passgenaue Gesundheits- oder Dienstleistungsangebote bekommen, sondern auch, dass wir durchleuchtet, sozial bewertet und gesteuert werden können. Paradox ist, dass die Digitalisierung dabei einerseits zu mehr – durchaus positiver – Transparenz führt, die digitalen Maschinen selbst aber höchst intransparent sind (was nicht unbeträchtliche Risiken birgt).

Im Gegensatz zu anderen Stimmen im Diskurs differenziert Kucklick ausdrücklich Chancen und Risiken. Denn: Wie so oft gibt es vermutlich nicht die eine Wahrheit, und Schwarz-Weiß-Szenarien zeigen vielmehr die Begrenztheit ihres Erfinders. Der Autor befähigt seine Leser somit, eine komplexe Entwicklung zu verstehen und ermutigt sie dazu, diese neue Lebenswirklichkeit so zu gestalten, dass sie menschlich verträglich bleibt. Zentral sei die Frage, wie wir die Algorithmen durchsichtig und der Prüfung zugänglich machen können, denn dies ist die zentrale Machtfrage in der »granularen Gesellschaft«. Trotzalledem habe das 21. Jahrhundert gute Chancen, das Jahrhundert der Empathie zu werden. Eine von vielen spannenden Zukunftsaussichten in einem inspirierenden Buch (pem.).