©
Ausschnitt Buchcover
Quelle: Hoffmann und Campe©

Buch des Monats | Juni

Wir! Sind! Hier! – Eine neu(e) deutsche Stimme

Jagoda Marinićs »Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?«

Vor einigen Monaten monierte die Soziologin Annette Treibel in ihrem Buch »Integriert Euch!« (Buch des Monats Februar), dass die Deutschen langsam merken müssten, dass sie in einem sich verändernden Land lebten. In einem Land, das multikultureller geworden ist, und längst auch ein Einwanderungsland. Wie wahr dies ist, dokumentieren auch zahlreiche Bücher, in denen einige von mittlerweile 16 Millionen »neuen Deutschen« selbst ihre Stimme erheben. Zunehmend lauter, selbstbewusster, fordernder und auch zorniger. Eine dieser Stimmen ist Jagoda Marinić. In ihrem Buch »Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?« fasst sie vor allem ihre Wut in Worte. Ihr Credo: »Wir! Sind! Hier!«.

Geboren 1977 in Waiblingen, sieht sich Marinić als eine jener neuen Deutschen, der es Behörden, Politiker und andere schwer gemacht hätten, weil ihre Eltern aus Dalmatien (damals Jugoslawien, heute Kroatien) immigriert waren. Als sogenannte »Bildungsinländerin« durfte sie zwar in Heidelberg studieren, aber nicht Lehrerin werden. Marinić wurde Schriftstellerin, Journalistin und Leiterin des »International Welcome Center« in Heidelberg. Sie hat auch in Berlin, Zagreb, Split und New York gelebt. In den USA fühlte sich Marinić eher verstanden als in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist. Sie ist für das »Can-Do Germany«, das in der US-Presse bewundert wurde, und für ganz konkrete Schritte wie das kommunale Wahlrecht für Einwanderer. Gerne dreht sie in ihrer Argumentation bekannte Spieße um. Die Politiker, die die »neuen Deutschen« seit Jahrzehnten übersehen hätten, bezeichnet sie etwa als »die Parallelgesellschaft der alten mächtigen Herren, die ihr eigenes Land nicht kennen«.

Stimmen wie Marinić stehen für einen Paradigmenwechsel. Sie selbst meint, sie müsse auch deshalb zornig(er) sein, weil die Generation der Gastarbeiter nicht zornig genug war, weil sie sich nicht genug aufgelehnt habe dagegen, wie sie behandelt wurde. Wut ist für Marinić dabei vor allem konstruktiv und diene dazu, Ungerechtigkeit abzubauen: »Es geht darum, das Gefühl abzustreifen, dass man ständig irgendwie nicht ganz sein soll. Nicht ganz richtig hier. Es gibt kein zweites Leben, kein Land auf Reserve«. Dabei analysiert sie auch die Sprache. Für »Migrationshintergrund« sagt sie lieber »Migrations-Geschichte« oder »-Erfahrung« – und fragt, warum man »Migration« benutze für jemanden, der in Deutschland geboren ist? Auch seien in vielen Schulklassen Kinder mit Migrationsgeschichte keine Minderheit. Wenn Lehrer dann klagten, wie schwer es sei, diese zu integrieren, stelle sich die Frage: In welches Deutschland sollen sie sich denn integrieren? Und die »Flüchtlingskrise« sieht Marinić übrigens als einen wichtigen Katalysationspunkt. Sie habe »etwas gesellschaftlich sehr Schwieriges losgetreten – und Schuld daran sind nicht die Flüchtlinge«. Marinić ist nicht die Stimme der »neuen Deutschen«. Und man muss auch nicht allem zustimmen, was sie schreibt. Stimmen wie diese aber nicht wahrzunehmen, hieße, die Augen zu verschließen vor einem veränderten Land … (hak./red.).