©
Mitten im Ostend: Kulturcampus wörtlich genommen
Quelle: Barbara Walzer©

Frankfurt | Kultur gegen Kommerz?

Im Osten(d) viel Neues

Rund um Ostport und Oststern

Frankfurt baut und boomt. Dies sieht man in allen Stadtteilen, besonders in Ostend, Gallus und Europaviertel. Bürohäuser, Wohnkarrees und -blöcke schießen aus dem Boden. Massig, glatt und selten günstig verändern sie das Gesicht der Viertel und längst der gesamten Stadt. »Gentrifizierung« ist das böse Wort. Kultur gilt gerne als ein Gegengewicht solcher Gentrifizierung. In der Regel jedoch läuft sie ihr voran – und verschwindet mit deren Fortschreiten. Zumindest der Grassroots-Teil der Kultur, die Off Spaces, freien Szenen und »kleinen« Künstler*innen. Zuweilen geht’s auch noch schneller. In Bockenheim etwa gibt’s derzeit sogar womöglich die Version mit übersprungener Künstlerphase, scheint doch aktuell aus dem geplanten »Kulturcampus Bockenheim« eher direkt das neue gehobene »Wohnquartier Am Kulturcampus« zu werden. Die Gentrifizierung 2.0 sozusagen. Auch wenn Stadt und Land versuchen, dazwischen noch ein paar kleine Kultur-Akzente zu setzen …

Dass es auch anders geht, sieht man im Ostend. Dort setzt die Kultur gerade ein sichtbares Gegengewicht – und baut ein paar »Gallische Dörfer« wider Kommerz und Gentrifizierung. Im Sommer feierte medico international dort 50 Jahre seines Bestehens und zugleich sein neues, eigenes Haus. Doch die Hilfsorganisation feierte nicht allein, sondern bewusst gemeinsam mit der Kulturszene des Osthafens: mit Atelier Frankfurt, Ensemble Modern, Junger Deutscher Philharmonie, Romanfabrik und Kunstverein Montez. Ein großes Sommerfest alternativer Kulturakteure, aus dem mittlerweile langsam mehr wird. Unter der gemeinsamen Dachmarke »Ostport« wollen medico und die Kulturmacher rund um den Hafen künftig in einer »lockeren nachbarschaftlichen Kooperation« mit gemeinsamen Aktionen zeigen, »dass das Ostend ein Ort für Kultur und Politik ist, und dies sichtbar sein muss«, so medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer. Und der »Ostport« steht keineswegs alleine. Ein paar hundert Meter entfernt erfüllt sich derzeit noch der Kinderarzt und Kulturinitiator Awi Wiesel sich einen kleinen Traum von einem »Kulturcampus light«. Sein »Oststern« ist das 18.000 Quadratmeter große Gelände einer ehemaligen Mercedes-Niederlassung und steht zur Zwischennutzung vor einem allfälligen Abriss im kommenden Jahr zur Verfügung. Die großen Hallen wurden bereits mit mehreren Pop-up-Ausstellungen (aktuell und passend zum Thema und zur Hausnummer 121 an der Hanauer Landstraße: Mercedes 121) und Performances bespielt, im Hof gab es Street Art- und andere Festivals und dazwischen parken Foodtrucks und schraubt ein Kart-Vermieter. Und das Viertel hat auch noch mehr rührige Akteure. Unweit des Oststerns etabliert der Fotograf und Kameramann Wolfgang Raith in einem Hinterhof mit Ka:Ost einen kleinen Ausstellungsraum. Am Rande des Viertels erfindet sich gerade das Internationale Theater unter Federführung des türkischen Güneş-Theaters neu. Mit beiden hat Wiesel bereits bei den Performance Days kooperiert. Und weitere Adressen bieten sich an: der Kulturbunker, der Bund Bildender Künstler und allen voran der nachhaltige »Zukunftshafen Pier F« direkt im Hafen, sicherlich auch eine der spannendsten Locations vor Ort …

Während also im Westen der avisierte Kulturcampus eher bleiern über der Stadt und dem Bockenheimer Viertel liegt, regt sich im Osten(d) einiges und entsteht regelrecht ein ganz eigener Kulturcampus.  Bemerkenswert daran: Es gibt dafür keinen großen Plan und keine großen Entwürfe. Dafür aber viel Engagement von Bürger*innen, Künstler*innen und Kulturbegeisterten. »Kulturcampus« nennen die Akteure dies übrigens ungern, wollen sie doch niemanden anderswo »aus der Pflicht« nehmen. Vielleicht können sie allerdings doch den einen oder anderen Fingerzeig für andere Campusplaner geben. Zumal die Stadt wahrscheinlich gar nicht genug gute Kulturcampi brauchen kann. Allerdings sieht man gerade im Ostend, dass Kultur im Zeitalter der Gentrifizierung auch eine Gratwanderung sein kann. Auffällig ist, dass sich die Kunst gerade hier doch auch ein wenig selbst gentrifiziert. Der Oststern etwa mit einem Wüstencamp und einer Hydraulikbar, das Atelier Frankfurt mit seinem Night Market oder das Montez mit Yogakursen. Bleibt also abzuwarten, was dort wächst: ein Gegengewicht oder ein etwas angepasster Kulturcampus 2.0. Wobei letzteres allerdings auch die Blaupause für ein Verbleiben von Künstler*innen in einem gentrifizierten Viertel sein könnte … (vss.).