-
Quelle: Barbara Walzer (bw.)©

Musik | Songs, so wrong

Von Akkorden und Dissonanzen

Bilder von Musikern und Texte von Missverständnissen

»Don’t let me be misunderstood« heißt es in einem alten Song von Santa Esmeralda. »Don’t let me be misunderstood« könnte auch mancher Song selbst in die Welt hinausschreien. Oft werden Songs missverstanden. Weil sich jemand schlicht verhört. Weil er oder sie der Sprache nicht mächtig sind. Weil sie nur dem Refrain und nicht dem Rest zuhören … Was in der Musikgeschichte schon alles missverstanden wurde oder was man so missverstehen konnte – Dem spürt seit Jahren der Frankfurter Autor und Musikspezialist Michael »Ted« Behrendt nach. In »I don’t like Mondays. Die 66 größten Songmissverständnisse« führt er in die hohe Kunst des Songmissverstehens ein; einschließlich zahlreicher Vereinnahmungen durch Politiker, Werbetexter oder Fans sowie unzähliger sonstiger Merkwürdigkeiten, etwa der in Kriegszeiten plötzlich auf Schwarzen Listen aufgetauchten und nicht mehr gespielten Songs. »I don’t like Mondays« ist eine ganz eigene Geschichte der Musik und ein tiefer Blick in die Psyche von Fans und der Gesellschaft. Urban shorts dokumentiert in loser Folge einige exemplarische Missverständnisse und Merkwürdigkeiten. Und beginnt mit »We are the Champions« – bei dem das Missverständnis darin besteht, dass niemand sicher weiss, wie es wirklich gemeint war oder gemeint gewesen sein könnte. Illustriert wird die Reihe mit Fotos der Frankfurter Fotografin Barbara Walzer, die Musiker auf den Bühnen oder in den Straßen der Mainmetropole zeigen. Noch mehr Musiker-Fotos finden sich auch in der fünften Folge ihrer Reihe »Gesichter Frankfurts« (red.).

KURZESSAY | SONGS, SO WRONG [4]

Kreolisch müsste Fan können …

Bob Marleys legendäres »No Woman No Cry«

7618139412_e56b8389b0_z
Aus: Musiker in Frankfurt | (c) Barbara Walzer

Zu den größten Irrtümern, denen auch ich als Autor regelmäßig erlegen bin, gehörte lange Zeit die Fehldeutung des Titels »No Woman No Cry« als »Keine Frau, kein Weinen« oder »Ohne Frauen? Da gäb’s keinen Stress!«. Damit war ich gerade in Europa nicht allein, zumal viele Titelnennungen, die man in Zeitschriften las, nur ein einziges Komma aufwiesen: zwischen »No Woman« und «No Cry«. Und selbst auf Covers von Bob Marley wird der Titel mal mit diesem Komma, mal gänzlich ohne Kommas angegeben. »Keine Frauen, kein Ärger«, diese Deutung wirkte allerdings schon immer reichlich seltsam. Denn warum hatte der Song einen so beseelt-entspannten Reggae-Groove, und wieso schwenkten immer Tausende von Fans bei Konzerten glückselig ihre Feuerzeuge, wenn doch in den Lyrics so abschätzig über Frauen gesprochen wurde?

Des Rätsels Lösung heißt Patwa – andere sagen Patois, wieder andere Jamaika-Kreolisch. Und in dieser Kreolsprache mit englischen Wurzeln lautet »No Woman No Cry« genau genommen »Nuh (= don’t), woman, nuh (= don’t) cry« und bedeutet »Nicht, Frau, weine nicht!«. Statt sich also abfällig über das weibliche Geschlecht zu äußern, spendet das Ich des Songs einer Frau, zu der es spricht, auf rührende Weise Trost. Die mitreißende Liveaufnahme aus dem Jahr 1975 war der erste Welthit des jamaikanischen Reggaestars Bob Marley. Das Ich des Songs scheint an eine wichtige Stätte seiner Vergangenheit zurückgekehrt zu sein und spricht zu einer Frau, die nach wie vor dort lebt. Gegen Ende wird klar, dass er wieder abreisen wird, aber er tröstet die Frau, indem er die Community beschwört und voraussagt, dass schon alles gut werde. Der Ort ist das Armenviertel Trenchtown in Kingston. Der Sprecher erinnert sich an die guten Menschen, die er dort kannte und von denen einige bereits gestorben sind, aber auch an zwielichtige Gestalten, an Heuchler. Die Vergangenheit sei hart gewesen, aber nun mal ein wichtiger Teil seiner Lebenserfahrung – und die Zukunft werde großartig sein. Weshalb es einfach keinen Grund zum Weinen gebe: »Said, said, said, I remember when we used to sit / In the government yard in Trenchtown / Oba – obaserving the ‚ypocrites / As they would mingle with the good people we meet / Good friends we have, oh, good friends we’ve lost / Along the way / In this great future, you can’t forget your past / So dry your tears, I seh.«

In der zweiten Strophe erinnert der Sprecher zunächst daran, wie man zusammen gekocht und sein Essen mit anderen geteilt hat, um dann anzukündigen, dass er wieder fortgehen werde. Es folgt die endlos wiederholte Beschwörung, dass schon alles gut ausgehen werde. In Verbindung mit dem entspannten Groove des Songs ist es spätestens diese Stelle, die den Song in die Herzen des Publikums trägt und ein Gefühl des Trosts entfaltet: »My feet is my only carriage / So I’ve got to push on through / But while I’m gone, I mean / Everything’s gonna be all right / Everything’s gonna be all right / Everything’s gonna be all right …«. Wehmütiger Rückblick und hoffnungsvoller Blick in die Zukunft – dazu können sich Menschen der ganzen Welt gerne in Beziehung setzen … (ted.).

Kurzessay | Songs, so wrong [3]

Biedermeier abgebrannt

Peter Fox, (s)ein Haus am See - kurz zwangsenteignet

9571131561_aaed3d9a6d_z
Aus: Musiker in Frankfurt | (c) Barbara Walzer

»Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier« ist der Titel einer Jugendstudie, die das Kölner rheingold Institut 2010 durchgeführt hat. In der Pressemitteilung zu den Ergebnissen heißt es: »Die Jugend 2010 gibt ein verblüffendes Bild ab. Sie präsentiert sich sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig. Zielstrebig will sie ihren eigenen Weg finden. Dabei stehen Bildung, Karriere und ein hoffentlich gutes Einkommen hoch in Kurs. … Dabei scheint in diesen Entwürfen immer eine Biedermeierwelt durch, in der das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen. Bewohnt mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund.« Und dann kommt der Satz, der Musikfreunde aufhorchen lässt: »Das Lied von Peter Fox über das Haus am See ist daher eine Hymne an ein beschauliches Leben, in dem man endgültig angekommen ist, sich niedergelassen hat und sich im Kreise der Familie wohlfühlt.«

So weit, so aha. Peter Fox also, das Sprachrohr eines neuen jugendlichen Biedermeiertums? Haus am See, die Hymne auf ein beschauliches Leben im Kreis der Familie? Darauf muss man erst einmal kommen. Okay, in zwei Versen des Refrains klingt so etwas an wie ein beschauliches Leben: »Und am Ende der Straße steht ein Haus am See (…). Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehn«. Aber das war’s eigentlich schon. Immerhin ist Fox Mitglied der weitgereisten Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed, die die deutschsprachige Musikszene zu Beginn des 21.  Jahrhunderts mit heißen karibischen Rhythmen und originell-provokanten, teils anzüglichen Texten aufmischte. Und vor allem der Rest der Lyrics ist doch alles andere als deutsches Biedermeier. Schon der übrige Refrain deutet in eine ganz andere Richtung. »Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg / Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön«. Wenn ich nicht irre, wachsen Orangenbäume kaum in Deutschland, und die 20 Kinder stehen doch wohl in deutlichem Kontrast zur Idylle »mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund«. 20 Kinder, das klingt eher nach einem kleinen zufriedenen Karibik-Macho, einem echten Sugar Daddy. Aber es kommt noch dicker. Denn wer genauer hinhört, entdeckt auch keinen selbstzufriedenen Strand-Macho, sondern lediglich ein Loser-Ich, das sich aus einer beengten, traurigen und ausweglosen Situation heraus- und ganz weit weg fantasiert. »Hier bin ich gebor’n und laufe durch die Straßen. Kenn’ die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden. Ich muss mal weg, kenn’ jede Taube hier beim Namen. Daumen raus, ich warte auf ne schicke Frau mit schnellem Wagen.« Karriere, Kompetenz, Zielstrebigkeit, Anpassungsbereitschaft? Alles Fehlanzeige. Stattdessen: »Wir saufen Schnaps und feiern eine Woche jede Nacht« …

Am Ende des Songs offenbart sich die ganze Tragik des Sprechers, der seinen Traum wahrscheinlich nie verwirklichen wird: »Hier bin ich gebor’n, hier werd’ ich begraben. Hab taube Ohr’n,  ’nen weißen Bart und sitz im Garten. Meine 100 Enkel spielen Cricket auf ’m Rasen. Wenn ich so daran denke, kann ich’s eigentlich kaum erwarten.« Klingt nicht nach Idylle, sondern eher bitter. Um es kurz zu machen: Fox’ Haus am See ist eine Aussteigerfantasie. Und nicht mal die eines ausgebrannten Karrieristen, sondern die eines armen Schluckers, der überhaupt keine Perspektiven hat. Ein Eindruck, den das Video zum Song übrigens unterstreicht: Dort sitzt der Protagonist am Ende tatsächlich an einem See und angelt. Doch er trägt abgerissene Klamotten, ist unrasiert. Und: Er angelt ganz allein. Das vielbeschworene Haus am See, das im Hintergrund zu sehen ist, erweist sich als armseliger Holzverschlag. Wenn das Biedermeier ist, liebes rheingold-Institut, müssten etliche Lexikoneinträge umgeschrieben werden … (ted.).

Kurzessay | Songs, so wrong [2]

Das Mädchen, das Lollis mag?

»Les Sucettes« von Serge Gainsbourg

20232633022_6d6347f4a6_z
Aus: Musiker in Frankfurt | (c) Barbara Walzer

»Was glaubst Du, wovon handelt der Song?«, fragt ein lässig qualmender Serge Gainsbourg seine Gegenüber France Gall. Die 18-Jährige lächelt etwas unsicher: »Von einem Mädchen, das Lollis mag?«. Gainsbourg grinst und schweigt. Es schmerzt fast, die alte Schwarz-Weiß-Szene in einem YouTube-Clip zu sehen. »Les Sucettes« ist ein Titel, den Gainsbourg in den 60er Jahren für Gall geschrieben und den diese damals völlig unbekümmert ins Mikro gesäuselt hatte. Eine alte Schwarz-Weiß-Performance zeigt die fast noch kindlich wirkende Interpretin inmitten von wippenden Riesenlutschern, dagegen geschnitten sind Bilder mondän gestylter Models, die sich mit verruchtem Blick Süßstangen in den Mund schieben.

»Les Sucettes«, das auch beschreibt, wie der Anissaft die Kehle der Sprecherin hinunter rinnt, ist natürlich nur oberflächlich ein Song über ein unbescholtenes Mädchen und seine Vorliebe für Lollis. Tatsächlich geht es natürlich um Oralverkehr. Das Unfassbare daran ist, dass nicht nur Teile der französischen Öffentlichkeit eine Zeit brauchten, um diese so offensichtlichen sexuellen Konnotationen zu verstehen, sondern auch die junge Interpretin selbst. Bei YouTube sind auch spätere Kommentare von Gainsbourg und Gall zu sehen. Da amüsiert sich der Songschreiber noch lange Zeit danach über seinen vermeintlichen Coup, während die Interpretin gesteht, wie sehr sie sich geschämt habe, als ihr bewusst geworden sei, in was Monsieur Gainsbourg sie da hineingeritten hatte.

Sicher kann man dem Enfant terrible Gainsbourg vorwerfen, dass er seine schlüpfrigen Machofantasien auf Kosten der jungen Frau ausgelebt und sich – gelinde gesagt – einen reichlich dummen spätpubertären Scherz erlaubt hatte. Andererseits sagte seine Provokation auch einiges über die Moral seiner Zeit und den Kulturbetrieb aus. 1966, als der Song erschien, war die französische Gesellschaft wohl noch nicht so weit wie in anderen Ländern, wo die sexuelle Revolution bereits Fahrt aufgenommen hatte. Gleichzeitig war »Les Sucettes«, so die Journalistin Fabienne Hurst, »auch ein Seitenhieb gegen das bizarre Geschäft mit unerfahrenen Popsternchen, die über Liebe, Lust und Leben singen, aber keine Ahnung davon hatten«. Hurst spricht von Gainsbourgs fast strategisch wirkender Erfindung des »Baby-Pop«: »Eingängige Popliedchen mit oberflächlich wirkenden Texten, die erst auf den zweiten Blick die absurden Machenschaften der modernen Musikindustrie offenlegten.« (ted.).

Kurzessay | Songs, so wrong [1]

Schwul sehen Sieger aus?

»I Don’t Like Mondays« & »We Are the Champions«

Abendkonzert-Banko aus Bulgarien
Aus: Musiker in Frankfurt | (c) Barbara Walzer

»Don’t let me be misunderstood« heißt es in einem alten Bluessong, der 1977 in der Discoversion von Santa Esmeralda seinen Siegeszug um die Welt antrat. Ich hab’ zwar meine Launen, flötet da jemand in den Lyrics, aber eigentlich bin ich eine Seele mit guten Absichten – deshalb versteh’ mich bitte, bitte nicht falsch! »Oh, Lord, please don’t let me be misunderstood« – das könnte auch mancher Song selbst in die Welt hinausschreien. Denn immer wieder hören Millionen Menschen nicht richtig hin. Die Folge: Das öffentliche Bewusstsein versteht gnadenlos an der eigentlichen Songbedeutung vorbei. Das wohl beste Beispiel der Songgeschichte: »I Don’t Like Mondays«, der Superhit der Boomtown Rats aus dem Jahr 1979. Noch immer glauben viele Fans, es handele sich um einen netten Montagmorgenmuffel-Song. In Wirklichkeit geht es um den wahren Fall eines Schulmassakers in den USA. Ist verbürgt. Und steckt so auch im Text …

Aber keine Bange: Nicht genau hinhören und Songs missverstehen, das ist ganz normal und kommt ziemlich oft vor. Schließlich gibt es Sprach- und Sound-Barrieren, und wer hat schon den Kopf, jedem hübschen Lied hinterherzusteigen? Hinzu kommt, dass viele Songs es dem Publikum nicht leicht machen. Weil sie nicht richtig greifbar sind. Oder weil sie so, aber ganz anders verstanden werden können. Und auch dafür gibt es ein bestes und weltberühmtes Beispiel: »We Are the Champions«, der 1977er Schmachtfetzen von Queen. Klar, es geht um’s Siegen, um’s Der-Größte-Sein! Das sagt die eine Fraktion, wobei abwechselnd ein Sieg im Sport, der steinige Weg der Band Queen zum Ruhm oder das Meistern einer Herausforderung als zentrales Thema identifiziert werden. Doch nein, kontert mit wissenschaftlichem Furor die Gegenseite: In diesem – wie bereits in vielen anderen Queen-Songs – thematisiere Sänger Freddie Mercury ganz offensichtlich seine Homosexualität. »Ich hab’ hart gearbeitet, meine Strafe abgesessen, obwohl ich unschuldig war, hab’ ein paar Fehler gemacht und ordentlich Sand ins Gesicht bekommen«. Solche Textaussagen könnte sowohl ein diskriminierter Schwuler als auch ein gefallener Sportler oder noch jemand ganz anders von sich geben. Das Schwierige an diesem Song: Es ist alles möglich. Die Verse »You brought me fame and fortune (…) I thank you all« etwa zielen vor allem aufs Startum. Mercury selbst betonte einst, er habe neben allen persönlichen Intentionen dem Ganzen eine Stadionatmosphäre, ein Gemeinschaftsgefühl mit auf den Weg geben wollen. Mit Erfolg: »We Are the Champions« ist vor allem eine Sieges-, Selbstbehauptungs- und Sporthymne geworden, vor allem in Heterokreisen. Die »schwule Message« schwingt, wenn überhaupt, beiläufig mit. Was Mercury wirklich meinte, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden … (ted.).