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Kulturland hoffentlich nicht bald abgebrannt in Corona-Zeiten
Quelle: Niko Neuwirth©

Impulse | Kultur im Corona-Herbst

Zwischen Scylla und Charybdis

Ein Kurz-Essay von Karin Wolff

Deutschland ist im »Lockdown light«. Für die Kultur wird dieser allerdings weniger »light«. Sie wird erneut fast komplett heruntergefahren. Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, ordnet in ihrem Kurz-Essay die Situation der Kultur und der Kulturschaffenden ein. Sie ruft zudem auf, die kommenden Wochen kreativ zu nutzen und für den Winter an Ideen und Konzepten zu feilen. Und für sie wären bei allem Verständnis für die Politik gerade jetzt Kulturschaffende wohl auch gute Überbrückungshelfer*innen gewesen …

Wer gerade auf die Kultur schaut, kann sich fast nur noch in Analogien flüchten. Er mag an Dramen oder Trauerspiele denken. Oder an Odysseus und die Argonauten, die zwischen den Ungeheuern Scylla und Charybdis die sichere Durchfahrt suchten. Wie sie, können sich Kulturschaffende gerade fragen, ob die Gefahr eher physisch von Corona Scylla oder pekuniär vom Lockdown Charybdis droht. Bund und Länder haben beschlossen, die Kultur mal wieder Richtung Charybdis driften zu lassen. Doch wäre für sie nicht auch ein Kurs dazwischen navigierbar gewesen? Was hätte dagegen gesprochen, in der Münchner Philharmonie mit 2.500 Plätzen 100 oder 200 Menschen ein wenig von der Tristesse dieses Corona-Herbstes abzulenken? Was, die Menschen, die derzeit ohnehin nicht in Scharen in die Museen drängen, wenigstens noch durch die großen Ausstellungshallen schlendern zu lassen? Gerade jetzt! Als Ort ausgelassenen Feierns und sinnlosen Betrinkens sind weder Philharmonie noch die Frankfurter Museen Angewandte oder Moderne Kunst bekannt. Selbst Off Spaces und kleine Galerien mit meist nur wenigen Besucher*innen sind kaum Super-Spreader. Das war eher ein Opernplatz – der aber nur so heißt.

Die Entscheidung fiel pauschal in Richtung aller Treffen von Menschen außerhalb von Schule und Beruf. War vor wenigen Wochen noch klar, dass sich nur wenige in Kultureinrichtungen (und auch in Restaurants, die regelkonform waren) ansteckten, können wir da nicht mehr ganz sicher sein. Es macht nun wenig Sinn, noch einmal herunterzubeten, wie arg es diese Kultur und vor allem die – sie mögen mir den Ausdruck verzeihen – »kleinen Kulturschaffenden« in diesem Jahr gebeutelt hat. Ich meine nicht vorrangig Intendanten und Museumsdirektorinnen, sondern Beleuchter und Cellistinnen, die Malerin und den Museumsführer. Nun sind sie erneut für Wochen zur Untätigkeit verurteilt. Doch es ist, wie es nun ist. Umso wichtiger ist es jetzt, die Zeit zu nutzen und für den langen Winter an Ideen und Konzepten zu feilen – diesmal mit den Erfahrungen des Sommers. Die Beobachtung hat gezeigt, dass es in etlichen Museen, Konzertsälen und Theatern möglich war, Aufführungen und Ausstellungen sicher für Macher*innen und Besucher*innen über die Bühnen zu bringen. Sicher: Es standen Fragezeichen auch in den Augen von Kulturbegeisterten. Sie brauchten Vertrauen: Halte ich es eher für wahrscheinlich oder für unsicher, dass ich der Lust auf Kultur freimütig folgen kann? Ist das Hygienekonzept so, dass ich Platz habe und der Maskenpflicht gefolgt wird? Und es reicht leider nicht, das Abstandsgebot im Raum zu sichern und zu lüften; was nützt es, wenn vor dem Eingang »Klumpen« entstehen wie einst auf dem Raucherschulhof? Oder wenn danach draußen im Pulk dem Rotwein gefrönt wird? Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir eine Wiedereröffnung in Stufen bekommen, wie es schon zum Teil begonnen hatte: die »normale« Veranstaltung wird kürzer sein als früher und ohne Pause, später vielleicht mit der Möglichkeit eines geselligen Abschlusses, wenn alle ein paar Regeln beachten. Auch in den »fülligeren« Events à la Bayreuth wird es eben einzig Lüftungspausen geben. Die normale Pause bei einem guten Glas sehe ich vorerst eher nicht. Auch kein Theater oder Konzert über zwei Stunden hinaus. Aber das muss ja keine Bedrohung sein, sondern kann auch neue Perspektiven eröffnen. Macher*innen und Besucher*innen sind gemeinsam gefragt, die Kultur im wahrsten Wortsinn zu sichern. Dessen sollte sich auch das Publikum in den kommenden Wochen bewusst werden.

Wenn wir eines aus dem Sommer gelernt haben, dann das: Gemeinsam geht vieles. Ich denke da bei mir zu Hause in Darmstadt an die Centralstation, die ihre Bühne öffnete für andere, die keine eigenen sicheren Bühnen hatten. Gleiches machten in Offenbach das Capitol oder in Mainz die »Kulturgärten«. Außerdem haben wir outdoor gute Erfahrungen gemacht. Wiederum in Darmstadt konnte man gerade durch die Open-Air-Ausstellungen der »Darmstädter Tage der Fotografie« wandeln, am Spanischen Turm oder auf dem nahen Waldkunstpfad. Auch in Frankfurt und Offenbach war Gleiches im Sommer und auch in diesen Tagen zu sehen: etwa bei den diesmal ihren Namen verdienenden HfG-»Rundgängen« in den Innenstädten oder gerade dieser Tage bei den WestAteliers im Frankfurter Gallus. Und auch, wenn es kühler wird: Man sollte diese Outdoor-Option im Blick haben, trotzt sie doch erst recht jedem Virus – und im November sogar jedem Lockdown. Sicher: Bei einigen Formaten ist auch der Weg ins Netz bei aller Gegenwehr der einzige gerade schiffbare, zum Beispiel um Jugendlichen den Weg zur Kultur zu ebnen. Manches ist sogar prädestiniert, ein zweites Leben im Netz zu haben: die Filmfestivals etwa, die jetzt im November leider nur auf diesem Weg an die Öffentlichkeit können. Wie dem auch sei: Nutzen wir die Zeit! Bereiten wir uns vor, danach wieder so viel Veranstaltung mit Begegnung zu ermöglichen, wie es geht. Aber brechen wir dabei nichts übers Knie, nutzen wir die Erfahrungen des Sommers und übernehmen wir – und damit meine ich auch uns als Publikum – auch Verantwortung. Ach ja: Die Argonauten sollen zumindest manchen Quellen zufolge ganz​ gut zwischen Scylla und Charybdis durchgekommen sein. Wenn sie nicht gar kreativ einen anderen Weg gewählt hatten. Man muss sich eben nur die richtige Geschichte suchen. Aber darin ist die Kultur ja bekanntlich gut …