
Blaupausen | Obdach
Köpfe brauchen Dächer
Helsinki will, dass jeder Mensch wohnen kann
Eine Bushaltestelle an einem verkehrsumtosten Platz in der Innenstadt, ein Abluftschacht an der Seite eines Uni-Gebäudes, eine Ecke unter dem Vorbau seitlich einer Kirche. Es gibt viele Orte in einer Stadt, an denen Menschen sich nachts zum Schlafen legen – weil sie keinen Ort haben, der ihnen als Wohnung dient. Zugegeben: Manche dieser Menschen haben sich diese Orte selbst gewählt. Die Umstände, die zu dieser Wahl führten, haben sie sich jedoch sehr selten selbst ausgesucht. Der »Sozialstaat« – und zwar in vielen wohlhabenden Staaten dieser Erde – versucht zwar, diese Menschen wieder in Wohnungen zu bringen. Er verlangt aber oft, dass diese Menschen ihre Umstände wie Alkoholismus oder Arbeitslosigkeit ändern, Therapien machen oder sich einen Job suchen. Und zwar: bevor sie dauerhaft eine Wohnung erhalten.
In Helsinki – und übrigens in ganz Finnland – geht man einen anderen Weg. »Housing First« nennt sich der Weg, vorangetrieben durch die staatlich unterstützte NGO »Y-Foundation«. Seit fast eineinhalb Jahrzehnten baut, kauft oder renoviert sie Wohnräume für Obdachlose und übergibt sie diesen ohne die sonst üblichen Bedingungen. Ihr Credo: Die sichere Heimstatt ist die Voraussetzung, Dinge zu ändern – nicht umgekehrt. Die NGO hat dafür allein in den ersten zehn Jahren rund 270 Mio. Euro aufgewandt; Kredite, Zuwendungen, öffentliche Gelder oder auch staatliche Lotterieeinnahmen. Waren es vor gut einem Jahrzehnt noch rund 10.000 Obdachlose in Helsinki und nochmals die gleiche Zahl im restlichen Land, so sind es heute angeblich unter 1.000 in ganz Finnland. 4.600 Wohnungen wurden geschaffen. 80 bis 90 Prozent der Obdachlosen konnten buchstäblich von den Straßen geholt werden. Die Rückfallquote liegt angeblich bei zehn bis 20 Prozent. In einem Graubereich befinden sich Menschen, die ihrerseits bei Familien und Freunden (wieder) unterkamen. Von ihrer sicheren »Homebase« aus können die Menschen sich selbst helfen oder erhalten staatliche Unterstützung bei Therapien oder Arbeitssuche. Auf Null, da machen sich allerdings auch die Betreiber keine Illusionen, ist die Obdachlosigkeit allerdings auch mit diesem Modell nicht zu bringen. Auch in Zukunft wird es noch einige Menschen geben, die nicht in Wohnungen leben wollen oder manchmal sogar gar nicht können. Doch die große Mehrheit aller anderen werde man erreichen können. Und laut der NGO ist das ursprünglich in den USA entwickelte »Housing first« übrigens auch ein Modell, das sich nicht nur für die Obdachlosen rechnet. In Finnland etwa würde der Staat für auf diese Art und Weise von der Straße geholte Menschen rund 15.000 Euro pro Jahr weniger ausgeben als für die dort Verbliebenen. Nicht von ungefähr findet das Modell längst Nachahmer*innen in vielen anderen Ländern, etwa in Frankreich, Großbritannien, Dänemark oder Österreich. Auch in Deutschland findet es Anhänger*innen. In Berlin gibt es ein eigenes »HousingFirstBerlin«-Projekt. In Frankfurt setzt sich das »Project Shelter« für diese Idee ein – bisher allerdings noch mit recht wenig öffentlicher Unterstützung. Übrigens: Die Beispiele vom Anfang des Textes stammten nicht aus Helsinki, sondern aus der Main-Metropole … (sfo.).