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Im Uhrzeigersinn: Kirsten Flagstad, Peter Christen Asbjørnsen, Edvard Munch, Sigrid Undset - Vier Künstler*innen, die bis vor wenigen Jahren noch vier von fünf norwegischen Banknoten schmückten
Quelle: Norwegische Zentralbank©

Blaupause Kultur | Norwegen

Eine Allianz fürs Leben

Oslo fördert Künstler*innen Jahrzehnte

Skål! Die Gläser klingen. Der Toast gilt dem norwegischen Maler Kenneth
Varpe. Er hat ein vom norwegischen Staat finanziertes Stipendium erhalten. Der flachsblonde Mann mit den hellen Augenbrauen und dem gewinnenden Lächeln strahlt. »Das Stipendium macht mich frei«, sagt Varpe. »Es ist nun schon mein zwölftes Jahresstipendium in Folge. Mein erstes erhielt ich 2012. Seitdem kann ich mich voll und ganz auf die Weiterentwicklung meiner Kunst konzentrieren. Die langfristige Künstler*innenförderung hier in Norwegen hat mir ermöglicht, meine Malerei konzeptuell und technisch konsequent weiterzuentwickeln – ohne dass meine Kunst instrumentalisiert wird.«

Bereits seit 2006 kann sich Kenneth Varpe ganz auf seine Kunst konzentrieren. Bedingt durch eine recht einmalige Art von Kunstförderung hier im hohen Norden Europas. Seit 2006 muss Varpe keiner fachfremden Tätigkeit mehr nachgehen, um als Künstler überleben zu können. Durch frühere und die mittlerweile regelmäßigen Stipendien ist er trotzdem nicht allein auf den Verkauf seiner Werke angewiesen. Das meint er auch, wenn er von »Instrumentalisierung« spricht – nämlich, dass ein Künstler sich nach einem Markt richten müsse. Varpe müsse dies nicht. Und dies komme, so der Künstler, seiner Kunst sehr zu Gute. So habe er über einen langen Zeitraum Malerei immer wieder neu denken können. Varpe beschäftigt sich mit der Substanz, aus der Kunst besteht: eine politische, philosophische, aber aus seiner Sicht auch eine ganz praktische Frage. Daher macht er künstlerische Materialien zum Motiv seiner Bilder. Angefangen hat er mit Malerband, Ton und Gips als Motiven. In den letzten Jahren wurde seine Malerei zunehmend bunt, es geht um die Materialität von Farbe. Großformatige, abstrakte Malereien, deren Thema üppige, pastose Farben sind. Man merkt, dass Varpe in der Tat offenbar weniger nachdenken muss, wie (verkäuflich) seine Kunst ankommt.

Norwegen – ein Land, dass durch seine Ölvorkommen vor der Küste eine gewisse Sonderstellung in Europa einnimmt und zu den reichsten des Kontinents zählt – geht einen recht eigenen Weg bei der Förderung von Kunst. Mehr als andere Länder sichert es seine Künstler*innen ab, vor allem mit zahlreichen Stipendien mit bis zu zehn Jahren Förderdauer. Ziel der staatlichen Stipendien ist ein garantiertes Einkommen für Künstler*innen, um ihnen wirtschaftliche Sicherheit zu geben, ihre künstlerische Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg zu entwickeln. Vergeben werden die Stipendien von verschiedenen Organisationen. Die Höhe der staatlich geförderten Gelder variiert je nach der Organisation. Am höchsten dotiert sind die Stipendien des »Kulturrådet«. Sie entsprechen etwa 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in Norwegen. Die anderen Vergabe-Organisationen orientieren sich zumindest an diesem Wert. Die staatlichen Stipendien gibt es für unterschiedliche Förderzeiträume. Es gibt Stipendien über ein, zwei oder drei Jahre, aber auch Fünf- oder gar Zehn-Jahres-Förderungen. Die Stipendien sind dazu gedacht, gezielt verschiedene Karrierephasen von Künstler*innen zu unterstützen. Absolvent*innen können kürzere Laufzeiten beantragen, erfahrenere Künstler*innen erhalten oft Planungssicherheit durch langfristige Förderungen über fünf oder zehn Jahre. Nach Ablauf können sich Künstler*innen ohne Sperrfrist direkt erneut auf ein Stipendium in der gleichen Laufzeit bewerben. So kann die gesamte Künstler*innenkarriere unterstützen werden.​

In dieser Förderlogik haben Bildende Künstler*innen im Verlauf ihrer Karriere insgesamt zwei Mal Anspruch auf ein 10-Jahres-Stipendium, erweitert gilt ab dem 56. Lebensjahr ein spezielles Stipendium für erfahrene Künstler. Dieses Stipendium können Künstler*innen jährlich bis zum Renteneintrittsalter von 67 Jahre erhalten. Die Förderquote für staatliche Stipendien liegt in Norwegen bei etwa 10 Prozent. Soll heißen: etwa jeder zehnte Antrag wird angenommen. Über das Vergabeverfahren der norwegischen Stipendien berichtet Varpe, dass die Entscheidungen auf der Grundlage von künstlerischer Qualität und Aktivität getroffen werden. Weite und weiche Kriterien, die viel Spielraum erlauben. Werkproduktion und Ausstellungstätigkeit können ein Kriterium sein, aber Recherchen, künstlerische Prozesse, Experimente und das Aneignen neuer Techniken gelten in gleichem Massen als förderungswürdig. Von den Auswahlgremien, die von Kunstschaffenden besetzt werden, wird eine möglichst vielfältige Zusammensetzung angestrebt: nach Alter, künstlerischem Ausdruck und geografischer Zugehörigkeit innerhalb Norwegens. Das Gremium selbst wird auf zwei Jahre bestellt. Für Varpe ist die breite und offene Künstler*innen-Förderung eine Investition in die Zukunft des Landes. Künstlerische Experimente und Künstler*innenkarrieren zu fördern, läge für ihn im Interesse der Allgemeinheit und müsse daher von der öffentlichen Hand unterstützt werden. Kunstförderung unter den Prinzipien von Wettbewerb und Exzellenz lehnt er ab. »In dieser Förderlogik gibt es meist nur Raum für das, was ohnehin bereits Aufmerksamkeit hat. Neues kann so gar nicht erst entstehen«, sagt er. Und ergänzt: »Klar, der Impact einer solchen Kunstförderung ist ökonomisch nur schwer zu überprüfen, da Experimente auch scheitern können. Aber wer kann die Welt von morgen vorhersehen? Keiner! Daher dürfen nicht nur Bereiche und Themen unterstützt werden, die bereits erfolgreich sind …« (lkr.).