Der Ort hat in vielerlei Hinsicht etwas von einer »Nische«. Etwas eingeklemmt auf einer Grundstücksbrache zwischen Bahndamm, Busbahnhof und einem grauen Häuserblock nahe dem alten Offenbacher Hauptbahnhof. Zugleich eine Nische mitten in der Stadt. Nur etwas weitläufiger für eine Nische. Und wo sonst vieles grau, versiegelt, wenig einladend ist, hat sich fast buchstäblich »in einer Ecke« – genauer: auf einem Eckgrundstück, das eigentlich ziemlich versiegelt war – ein Biotop aufgetan. Mit fünf Hügeln, Hochbeeten, Bauwagen, Bäumchen, Grünflächen, Spielflächen, Lichterketten – und einer bunten Schar von Menschen. Neben Menschen, die im Grünen werkeln und plaudern, sind es heute viele, die zwischen improvisierten Tischen mit allerlei Gerät, Büchern und Klamotten schlendern. Flohmarkt ist angesagt an diesem Wochenende in Offenbachs kleinem Biotop, den »Interkontinentalen Gärten«.
Die »Interkontinentalen Gärten« sind mehr als ein Nischenprojekt. Im Gegenteil: Sie setzen ein klares Zeichen für Offenbachs Vielfalt und Gemeinschaft. Das Projekt startete im Frühjahr. Auf dem von der Stadt gestellten Gelände entstanden in Kooperation mit Scape°, dem Amt für Planen und Bauen sowie engagierten Bürger*innen erste Gärten. In einer Stadt, die oft als die internationalste in Deutschland gilt, werden auf einer fast vergessenen Brachfläche am Rande der Innenstadt gemeinsam mit diesen Bürger*innen diese Gärten angelegt. Fünf bepflanzte Hügel bilden das Herzstück einer lebendigen Landschaft aus Beeten, Hochbeeten und Spiel- und Aufenthaltsflächen. Bauwagen, bunte Tische, Grillplätze und Lichterketten sorgen für eine einladende Atmosphäre. Das Besondere: Es dominieren Zier- und Nutzpflanzen aus den Herkunftsländern der Menschen. Diese Gärten, die die fünf Kontinente repräsentieren, sind mehr als nur Orte des Anbaus – sie stehen für Offenbachs interkulturelles Miteinander und sind Ausdruck der Geschichte(n), welche die Bewohner*innen mitbringen. Jeden Donnerstag um 18 Uhr versammeln sich Nachbar*innen, Aktivist*innen und Interessierte, um gemeinsam zu gärtnern, Feste wie Hochzeiten zu feiern oder gemütliche Abende am Feuer zu verbringen.
Doch nicht nur an diesen Abenden oder am Wochenende ist hier etwas los. Das Projekt, initiiert vom bereits an anderen urbanen Stellen aktiven Team des »Diamant Offenbach« um HfG-Professor Heiner Blum sowie die beiden Projektmacher*innen Sonja Drolma Herrmann und Jihae An, hat viele Facetten. Eine »Interkontinentale Schule« etwa begleitet das Garten-Biotop mit Workshops und Veranstaltungen für alle Altersgruppen. Kinder und Jugendliche können Insektenhotels und Vogelhäuser bauen, Gemüse pflanzen, Erntedankfeste feiern und bei Expeditionen die Stadt und Natur erkunden. Vormittags gibt es ein spezielles Programm für Schulklassen, während nachmittags AGs und offene Projektgruppen angesprochen werden. Workshops und Vorträge zu Themen wie Fermentieren oder Einwecken bereichern das Angebot. Die Schule ist zugleich ein naturnaher Spielplatz, der Kindern und Jugendlichen mitten in der Stadt eine Alternative zu digitalen Medien bietet. Und sie steht symbolisch für das, was »die Gärten« sein sollen: ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der gemeinsamen Gestaltung – offen für Menschen aller Kulturen und jeden Alters. Ein Ort, an dem man nicht nur Pflanzen, sondern eben auch sich selbst einbringen kann. Allerdings: Die Zukunft dieses Ortes ist wohl endlich. Ende des Jahres wird die Brache wohl zur Baustelle. Dann wird man sehen, wo die Saat dieser Idee an anderer Stelle neu aufgehen wird … (set.).