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Ein zentraler Platz im Herzen von Kaunas (Litauen) - entworfen und umgesetzt 2020 von 3deluxe
Quelle: 3deluxe Wiesbaden©

Impulse | Zukunft Städte

Unsere Innenstädte

Die Stadt muss neu gedacht werden

Editorischer Hinweis: Dieser Leitartikel erschien Anfang 2021. Wir bedauern zutiefst, dass er an Aktualität leider nicht verloren hat. Aus diesem Grunde allerdings erscheint er auch noch einmal im »Best of« zum Jahreswechsel. 

»Die City« war früher einmal das Herz der Stadt. Der Begriff klingt noch immer gut, wenn man ihn nicht gegen das deutsche Wort »Innenstadt« tauscht. Deren Ruf ist derzeit nämlich denkbar schlecht. Der Ort, an dem früher das Herz einer Stadt schlug, wo Menschen zusammenkamen, wo sie handelten, flanierten, entspannten, spielten, plauderten, politisierten und sogar wohnten, er ist – glaubt man allen Berichten und dem eigenen Augenschein – verödet. Die einen schreiben es Corona zu. Die anderen bemerken nicht zu Unrecht, dass es das Virus war, das der Innenstadt »den Rest« gegeben habe. Die Konsequenz: 2021 wird man die Innenstädte neu beleben, neu angehen, neu denken müssen. Das haben viele erkannt. Manche mehr, manche weniger.

Frankfurts Oberbürgermeister hat es gerade dieser Tage gemerkt – und mit traumwandlerischer Sicherheit den falschen Schluss gezogen. Auf zum Re-Start, war sein Kommentar: mit Jubel, Trubel und Schaustellern das Zentrum wiederbeleben. Geschäfte und Gastronomie jubelten auch und brachten gleich noch kostenlose Parkplätze ins Spiel. Weiter so wie gehabt also? Das würde bedeuten, dass die Innenstädte vor Corona gelebt hätten und lebenswert gewesen wären. Doch mitnichten: In den Städten hat Corona nur aufgezeigt, wie einseitig die Zentren auf Kommerz und Konsum ausgerichtet waren. Luxus-Immobilien, Konsumtempel und Parkhäuser sowie viel versiegelte Fläche – das ist das Bild jener Innenstädte, in denen die Leute schon lange nicht mehr handeln, flanieren, plaudern, politisieren und viele schon gar nicht mehr wohnen. Corona hat nur gezeigt, wie anfällig genau diese urbane Gesellschaft für Krisen dieser Art ist. Auch für Menschen, die damit nicht mehr gerechnet hatten.

Ja, Städte brauchen einen Re-Start. Nur nicht auf Anfang 2020. Man wird wohl schon etwas weiter zurückgehen müssen. In die Zeit, bevor Innenstädte nur aus Konsumtempeln und gesichtslosen Läden bestanden. Bevor Verkehrsadern die Stadt mit Autos überfüllten und Parkhäuser die neuen Kathedralen wurden. Bevor Häuser anfingen, gesichtslos und teuer zu werden. Und die Flächen zwischen all dem versiegelt wurden. Was es braucht, sind lebenswerte, nicht funktionale Innenstädte. Dorthin geht in Metropolen weltweit der Trend. Paris begrünt gerade seine Champs-Elysées, entwirft Skater- und revitalisiert einstige Vergnügungs-Parks und entdeckt Urban Farming. Brüssel und Barcelona verbannen Autos aus ihren Zentren. Für Kaunas in Litauen hat eine Wiesbadener Design-Agentur gerade ein neues Herzstück seines Zentrums entworfen: grün und lebhaft. Wobei die Beispiele auch zeigen, dass es nicht um ein »Urban Greenwashing« geht. Es geht um andere Innenstädte, wie etwa der Bann der Autos und das Urban Farming zeigen. Nicht von ungefähr strömen während Corona in Frankfurt die Menschen sonntags nicht auf die leere Zeil, sondern in die zahlreichen Parks. Nicht von ungefähr flüchteten Anwohner dort schon vor Corona vor »ihren« Straßenfesten. Nicht von ungefähr … – aber lassen wir das Altstadt-Bashing an dieser Stelle. Eigentlich, um auf den Punkt zu kommen, müssten sich Stadtobere fragen, ob sie die Innenstädte genügend an den dort lebenden Menschen ausrichten – oder zu sehr an solchen aus China und Russland einreisenden und einkaufenden, in Illinois (Sitz von McDonald’s), London (Vodafone) oder Essen (Galeria Kaufhof) sitzenden Menschen. Doch mit dem Blick auf die Innenstädte allein ist es nicht getan: Zur Entwicklung der Innenstädte gehört auch die Peripherie. Es mag wie ein Widerspruch klingen. Aber wenn die Innenstädte in Zukunft wieder Orte des Zusammenkommens sind, müssen die Menschen drumherum leben. Manche näher, manche weiter. Wenn die Innenstädte nicht zugeparkt werden sollen, müssen die Suburbs mobil angeschlossen werden. Wenn die Menschen dort leben sollen, muss die Infrastruktur, müssen Läden, Cafés und Friseure dorthin zurückkehren. Letztendlich müssen nicht nur die Innenstädte, es müssen die ganzen Städte neu gedacht werden. Innenstädte und Suburbs müssen lebenswerter werden. Denn was »lebenswert« ist, kann nicht sterben … (red.).