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Stadt. Land. Nirwana. Das Frankfurter Juridicum
Quelle: Moritz Bernoully / DAM©

Bestand oder nicht Bestand

Grau ist alle Juridicum-Energie

Letzte Züge oder bald Leuchtturmprojekt?

Nicht nur wegen seiner zwölf Stockwerke hätte das bald ehemalige Frankfurter Juridicum das Zeug für ein Leuchtturmprojekt. Interessierte und Fachleute glauben, dass sich der Bau bestens für ein »zweites Leben« mit Kultur- und Wohnraum eignen würde und leicht zu sanieren wäre. Dem steht aber noch ein alter Plan entgegen: der Abriss und ein (ganz) neues Areal für Kultur, Gewerbe, Wohnungen und eine Hochschule. Das Ergebnis: Derzeit häufen sich mal wieder rund ums Gelände vor allem Entwürfe und Diskussionsrunden. Was allerdings auch nicht ganz neu ist …

Überschriften für die folgende Geschichte ließen sich viele finden: »Stadt, Land, Nirwana?«, »Grau ist alle Energie«, »Never Ending Campus«, »Kulturcampus ohne Kultur und Campus«, »Ein Leuchtturmprojekt für Frankfurt«, »Hauptsache, wir haben miteinander geredet«. Seit zwei Jahrzehnten plant und diskutiert Frankfurt – die Stadt und alle irgendwie Interessierten – über einen »Kulturcampus« im Stadtteil Bockenheim. Die Vision: ein urbanes Quartier für Kultur, Wohnen, Gewerbe und Wissenschaften. Die Horrorvision: ein gehobenes »Wohngebiet am Kulturcampus« ohne Kultur (und) Campus. Mittendrin, fast wie ein Kulminationsort: das alte Juridicum, in den 60er Jahren von Architekt und Stadtplaner Ferdinand Kramer zwölf Stockwerke hoch für angehende Jurist*innen erstellt – und nun schon seit Jahren in einem merkwürdigen Dämmerzustand. Der banale Plan am Anfang: ein Abriss und damit ein »Plan blanche«, um auf dem freien Gelände einen Neubau für die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK, wohnhaft derzeit noch im Westend) und drumherum viel Wohn-, Gewerbe- und eventuell noch Kulturraum zu schaffen. Beteiligt am Spiel seither: das Land Hessen, das den Hochschulbau forcieren möchte, die Stadt Frankfurt, die Wohnungen braucht und noch ein paar andere Dinge unterbringen möchte, zahlreiche Architekturbüros, die sich und anderes verwirklichen wollen, und nebenbei noch zahlreiche (Kultur-) Interessierte und Anwohner*innen, die hier künftig in der ein oder anderen Form zu Hause sein wollen oder es bereits sind. Und, ach ja, eine städtische Wohnbaugesellschaft …

Wie der ganze Kulturcampus am Ende aussehen und wann dieses Ende eigentlich sein wird, weiß wohl heute noch kein/e Beteiligte/r seriös zu sagen. Derzeit steht erst einmal das Juridicum im Fokus und an ihm scheint sich alles wie unter dem Brennglas zu fokussieren. Ob Abriss oder Sanierung ist offen. Hauptprotagonist des Abrisses ist die Wohnbaugesellschaft ABG, für die diese Lösung naturgemäß die einfachste wäre. Das Land, das auch mit viel Geld am Projekt beteiligt ist, mahnt vor allem den baldigen Bau der Hochschule an. Die Stadt sucht weiter nach der Quadratur des Viertels und treibt derweil eine Zwischennutzung für Kultur, Geflüchtete und soziale Projekte voran. Zudem sind Architekturbüros und Bürger*innen auf dem Plan, die genau dies als Nukleus einer vorbildlichen Dauerlösung wollen. Rückenwind geben ihnen die identitätsstiftende Rolle des Gebäudes und die aktuelle Debatte um die Bewahrung »Grauer Energie«, also dem Bestand, der in Gebäuden steckt und beim Abriss verloren ginge. Architekturbüros haben dem Juridicum bereits  attestiert, dass Sanierung und Umnutzung recht unkompliziert zu machen wären. In der Ausstellung »Nichts Neues – Besser Bauen im Bestand« (Deutsches Architekturmuseum) wird dies so zusammengefasst: »Die geringe Gebäudetiefe bietet sehr gute Belichtungsmöglichkeiten für eine Wohnnutzung. Die Gebäudestruktur und -konstruktion lassen auf Grund der vorgehängten Fassade eine einfache thermische Sanierung zu«. Soll heißen: eine Umnutzung in Kultur- und Wohnflächen sollte zügig und unproblematisch möglich sein. In der Ausstellung und in Bürger*innen-Versammlungen heißt es zudem, dass das Gebäude »voll funktionsfähig« sei. Zur Zwischennutzung für Kultur und Geflüchtete müssten fürs Erste wohl nur Küchen und Toiletten nachgerüstet werden. In den Bürger*innen-Versammlungen wurden weitere Konzepte für Um- und Weiternutzung vorgestellt. Eine Expertin des Frankfurter Büros Schneider + Schumacher sprach dabei kürzlich davon, dass das Gebäude »völlig intakt« sei und regte eine Sanierung und Nutzung mit Kultur, Wohnen und Coworking an. Und für die HfMDK sei das 16,5 Hektar umfassende Gelände groß genug für einen eigenen Bau neben dem Juridicum. Wobei in dem Zusammenhang allerdings erschwerend hinzukommt, dass die Stadt auf dem Gelände auch noch ein »Haus der Künste« mit Räumen etwa für das Frankfurt Lab (derzeit draußen im Gallus an der Schmidtstraße) vorsehen möchte. Aktuell ist vom Kulturcampus aber lediglich der Nukleus des Offenen Hauses der Kulturen im ehemaligen Studierendenhaus gegenüber dem Juridicum zu sehen. Weitere Initiativen im Stadtteil setzen sich für eine Sperrung der Bockenheimer Landstraße ein, die das alte Unigelände durchschneidet. Die meisten Initiativen präferieren den Bestand des Juridicums. Aus Klimaschutzgründen und sicher auch, weil dann die dräuende Gefahr von Luxuswohnungen deutlich geringer sein dürfte. Allerdings gibt es auch Stimmen, die die Weiternutzung durchaus kritischer sehen. Wie geht es nun also weiter auf der Dauerbaustelle Kulturcampus und mit dem Juridicum? Ende des Jahres zieht die Universität endgültig aus dem Kramer-Bau aus. Dann ist eine Zwischennutzung für Kultur, Soziales und Geflüchtete wahrscheinlich. Und danach passiert wahrscheinlich das, was in solchen Fällen in Frankfurt die Politik zur Zeit immer macht, wenn sie (noch) nicht weiter weiß: Sie schreibt, wohl gemeinsam mit dem Land, einen schon länger anvisierten Architekturwettbewerb aus, der womöglich erst mal noch alle Möglichkeiten offen lässt. Parallel werden wohl auch Beteiligungsforen für Bürger*innen gestartet – wie es sie derzeit für zahllose Projekte an allen anderen Ecken und Enden der Stadt auch gibt. Am Ende steht dann entweder (a) ein Abriss und eine Neukonzeption des Areals, (b) ein mehr oder minder Leuchtturmprojekt für Neues Bauen oder (c) schlicht ein weiteres Jahrzehnt »Planspiele rund um einen Kulturcampus«. Oder in der Stadt von »Frankfurter Bad« und »Frankfurter Küche« vielleicht ein Hybrid aus mehreren der genannten Optionen. Aktuell scheinen aber zumindest die Fans des Leuchtturmprojektes ein wenig Oberwasser zu haben … (vss./sfo.).