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Die Kultur in den Startlöchern. Aber wie sieht die Ziellinie aus?
Quelle: Evangelische Akademie©

Blick auf 21 | Zukunft Kultur

Re-Start mit Augenmaß

... und an die Kulturschaffenden denken

Hessen gibt sich gerne zukunftsfähig. Das hat sich jetzt auch die  Kulturministerin gedacht und mitgeteilt, dass die Theater in Zukunft wieder öffnen – ab Ostern. Man weiß schon gar nicht mehr, ob man solche Meldungen mit Freude, Trauer oder Sarkasmus kommentieren soll. Immerhin: Theater haben schon mal eine Perspektive, Künstler*innen vorerst wohl eher mal noch nicht. Und Zuschauer*innen irgendwie auch nicht – wenn man mal die Aussicht auf künftige Aufführungen nicht alleine schon als solche sieht.

2021 beginnt also wie 2020 geendet hat: mit einem rudimentären Maß an Kultur. Denn »Ostern« gilt in ähnlicher Weise wohl auch für weite Teile der restlichen Kulturlandschaft(en). Bis dahin: Schmalkost im Netz und bedingt im öffentlichen Raum. Wenn man doch nur drinnen mehr Erfahrung mit Netzkultur hätte und es draußen nicht so kalt wäre. Oder umgekehrt. Leider ist nämlich die Erfahrung mit »Draußen-Kultur« auch recht rudimentär. Dabei haben Beispiele wie die Darmstädter Tage der Fotografie, die ihre Fotos großflächig draußen in die Stadtlandschaft gestellt haben, gezeigt, dass einiges ginge. Doch diesen Raum haben nicht viele entdeckt. Genauso online. Wenn doch das Medium nicht so kühl wäre, dass ein Schauspiel oder eine Performance dort einfach keinen Spaß machen. Doch Gedanken darüber, dass es im Netz eine andere, eine netz-affine Kultur braucht, haben sich erstaunlicherweise nur wenige kleine Festivals mit nerdigen Namen wie NODE oder PAD gemacht. Wobei deren Ansätze gut waren –  aber kaum außerhalb der Festivals ankamen. Sonst ließe sich kaum erklären, dass Museen live gestreamte Eröffnungen wochenlang ungekürzt ins Netz stellen – inklusive langweiliger Grußworte und langwieriger Eröffnungsreden sowie dem mehrminütigen Hinweis, dass die Übertragung gleich anfange. Oder ist es schon interaktiv, dass die Zuschauer*innen selbst vorspulen?

2021 braucht es denn wohl eigentlich und endlich Kultur auf drei Beinen: offline, online und outdoor – und zwar passgenau(er) für die einzelnen »Orte«. So ist es die Aufgabe der Institutionen und der Kulturschaffenden, mehr Kultur für draußen und (online-) drinnen zu schaffen – und »mehr« heißt nicht, einfach nur Indoor-Kultur raus in die Landschaft bzw. rein ins Netz zu stellen (auch wenn dies im Einzelfalle wie bei einigen digitalen Führungen durchaus funktioniert). Das würde auch die zwei großen Probleme 2021 zu lösen helfen. Zum einen würde es die Angebote entzerren. Denn 2021 wird ein – die Leser*innen mögen das Wort verzeihen – mörderisches Jahr für die Kultur und noch mehr für einfache Kulturschaffende. »Ab Ostern« heißt, dass von jetzt auf gleich alle um die Gunst des Publikums buhlen. Alle gleichzeitig. Die, die geplant waren. Die, die verschoben wurden. Die, die auch noch wollen. Es droht ein Overkill an Kultur, wie wir ihn eigentlich schon vor Corona hatten – nur diesmal noch heftiger. Womit wir beim zweiten Problem wären: Wer sollte Maß halten, um dies im Griff zu halten? Die Institutionen könn(t)en es. Sie sind öffentlich finanziert. Doch sie werden es kaum tun. Die Crux aber ist: Einfache Kulturschaffende werden es kaum können. Anders als 2020 werden sie keine großzügigen Stipendien kriegen (Argument: Ihr könnt ja wieder Kunst machen). Allerdings wäre zu überlegen, ob man nicht gerade 2021 diese Kulturschaffenden weiter großzügig fördert. 2020 hatte man ihnen Stipendien gegeben, damit sie irgendetwas machen (das oftmals niemand brauchte). 2021 wäre es angebracht, ihnen erneut Stipendien zu geben. Diesmal, um Neues zu entwickeln (selbst, wenn sie dabei etwas in den Sand setzten). Neues, mit dem sie nicht Geld verdienen und das sie vielleicht auch nicht einmal gleich umsetzen müssten – um sich nicht gleich eben jenem mörderischen Wettbewerb auszusetzen, in dem es für sie ohnehin schwer ist. Insofern wird es irgendwann 2021 einen Re-Start mit Augenmaß geben müssen, bei dem einfache Kulturschaffende nicht untergehen. Dafür aber braucht es frische Ideen für Outdoor- und Online-Kultur(en) und für die Finanzierung der Kulturschaffenden. Zeit, das alles zu entwickeln, haben alle Beteiligten ja nun. Insofern ist das mit Ostern vielleicht gar nicht schlecht. Und ob dieser letzte Satz nun Freude, Trauer oder Sarkasmus meint, mögen die Leser*innen selbst entscheiden … (red.).