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Mousonturm baute (sich) neue und parallele Welten
Quelle: Raumlabor / Mousonturm©

Krise (in den Griff) kriegen [4]

Üppige Corona-Kurzarbeiten

Matthias Pees: Mehr-Arbeiten, -Werte und -Losigkeiten

Kulturlandschaft und Kulturschaffende sind von der Corona-Krise schwer getroffen worden. Auf Urban shorts beschreiben Kulturschaffende, wie sie in diesen Wochen die Krise krieg(t)en – und wie sie diese in den Griff kriegen. In Folge 4 schreibt Matthias Pees vom Frankfurter Mousonturm über ein neu erbautes Corona-Theater im Theater, über Kurz-Arbeiten als Mehr-Arbeiten und über »Theatersicherheitsfachleute«.

[> Beitrag auf eigener Seite lesen»Great Wide Open« klingt wie ein – natürlich abgesagtes – Tennisturnier. Stammt aber aus Tom Pettys James-Dean-Abgesang »Into The Great Wide Open« und handelt von einem Aufbegehrenden ohne Grund und Ahnung, der kaum zwischen Krise und Chance unterscheiden kann, zwischen Verhinderung und Möglichkeit, Unterbrechung und Stillstand, freiem Flug und haltlosem Absturz. So ahnungs – und orientierungslos kamen auch wir uns mitunter vor in den vergangenen Monaten. Denn wenn Corona eines nicht war, dann eine Pause. Kurz-Arbeit macht vor allem Mehr-Arbeit, und das Managen von Absagen, Ausfällen, Notfallfonds-Anträgen, Home Offices, Hygiene-Konzepten und digitalen Ersatzprogrammen ebenso. Es macht Sorgen, um Selbständige, Projekte und Reisebedingungen internationaler Partner, um Gesundheit, Kinderbetreuung, Publikum und künftige Finanzierung. Und es befremdet durch soziale Distanz, Berührungslosigkeit, Masken, Desinfektion, Plexiglas und Digitales, Warteschlangen und geschlossene Kneipen. Denn soziales Leben gehört auch zu kreativer Arbeit.

Mehr Arbeit also und mehr Losigkeiten. Ein paar Erfahrungen jedoch waren bemerkenswert. Die neuen digitalen Zuschauer etwa, die ziemlich plötzlich, via Youtube oder Zoom, von überall her, immer wieder zusammenkamen, tatsächlich teilhatten und miteinander kommunizierten. Das war ganz anders als früher, als 200 Leute auf Facebook »Nehme teil« markierten, und dann trotzdem kaum einer kam. Und es war auch eine originäre, nur im digitalen Raum mögliche Erfahrung. Bemerkenswert auch das angesichts der erdrückenden pandemischen Lage sonst eher fernliegende Gefühl einer gesteigerten Solidarität –  mit besonders Betroffenen (Kranken, Risikopatienten, Pflegekräften, Angehörigen, Alleinerziehenden, Selbständigen, Einzelhändler*innen, Wirt*innen) und gerade auch mit Opfern des europäischen Grenzregimes oder rassistischer Übergriffe. Last but not least der offen gelegte und ehrlich gelebte Beratungsbedarf der Politik, nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern auch in Fragen der Künstler-Krisen-Förderung. Ein solches Vertrauen in uns Kunst – und Theater-Fachleute (und auch: Theatersicherheitsfachleute) hätte man sich gewünscht in den eher überstürzt dekretierten Schließungen und Öffnungen, zu Mindestabständen und -flächen, zu den Gefahren exaltierten Sprechens, Tanzens und Blasens.

Als größte Schwierigkeit stellt sich uns nun dar, das Vertrauen des Publikums zurückzugewinnen. Nicht nur ins Theater als gesundheitlich unbedenklichen Ort. Sondern in ein Theater, das erst recht ansteckt und viral gehen kann, das nicht nur der Überrest eines Theaters aus besseren Zeiten ist. Das nicht nur als defizitär erlebt wird, sondern das die Menschen wieder Lust haben zu besuchen, und in dem sie gemeinschaftlich zusammenkommen, Ambivalenzen aushalten und austesten, und das eben möglichst vorbehalts- und distanzlos. Deshalb haben wir für uns beschlossen, mit Corona zu spielen. Und uns dafür gleich ein Corona-Theater bauen zu lassen. Ein Corona-Theater, in dem wir für mindestens sechs Monate arbeiten, spielen und produzieren wollen, auch wenn dort nie mehr als etwa 40 Besucher*innen Platz finden werden. Aus der von der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes entwickelten Idee entsteht ein mehrstöckiger, leicht amorpher und »atmender« Rundbau, eine Korona aus Holz und Lehm, mit lauter kleinen Logen. Aus ihnen heraus können Zuschauende in kleinen Immun-Gemeinschaften auf das Geschehen in der Mitte blicken, wie in ein unterirdisches Nest. Da wächst was drin, so hoffen wir, and that we rock underground, während da oben weiter auf die nächste Lockerung oder Quarantäne, auf Versammlung oder Zerstreuung gewartet werden muss. Damit wir bald wieder nicht mehr wissen, was wir tun. Sondern ahnen …