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Ulrike von der Osten: in ihrer einen Welt
Quelle: Günther Dächert©

Künstlerinnen. Leben. Orte. [9]

Ulrike O. – Die Großräumige

In ihrer Welt zwischen Altbau und Atelier

Sechs Stockwerke liegen vor einem, wenn man das Atelier von Ulrike von der Osten besuchen möchte. Es gibt zwar auch einen Fahrstuhl als Alternative zum sportlichen Aufstieg. In den steigt die Künstlerin selbst jedoch nicht gerne ein. Ihr Atelier ist einer von zahlreichen Arbeitsräumen für Künstler*innen und Kreative im Gebäude des ehemaligen Offenbacher Zollamts, den Zollamt Studios in der Frankfurter Straße. Dass ihr Atelier ganz oben liegt, hat für Ulrike von der Osten einen besonderen Reiz. Es fällt nicht nur viel Licht auf die rund 40 Quadratmeter große Fläche, auch einen atemberaubenden Blick auf den Taunus gibt es gleich mit dazu. Es ist ein Ort, an dem der kreative Schaffensprozess von der Ostens überall sichtbar ist: Im hinteren Teil, dem eigentlichen Arbeitsort der Künstlerin, zeigt sich, dass sie meist an mehreren Werken gleichzeitig arbeitet. Ihre großformatigen, abstrakten Bilder, für die der großflächige Raum viel Platz bietet, hängen an der Wand, stehen daran angelehnt oder liegen einfach auf dem Boden verstreut. Auf einen langen selbstgebauten Tisch haben Farben und Pigmente ihren Platz, die in Kunststoffbeuteln aufbewahrt werden. Sie gestaltet ihre Bildgründe mit Acryl-Farben, viele davon rührt sie selber an. Auch die hierfür notwendigen Schalen befinden sich auf dem Tisch. Die zahlreichen Pinsel verwahrt sie in Glasbehältern auf. Freie Flächen gibt es nur wenige …

Der Teil des Ateliers, den man zuerst betritt, ist das Lager. Regale an den Wänden bieten Platz für die kleineren und größeren Formate. Die ganz großen Bilder sind auch hier an den Wänden angelehnt. Mittendrin eine Radierpresse, die sie vorübergehend ebenfalls als Ablagefläche nutzt. »Eigentlich«, sagt sie, »müsste ich hier mal alles neu ordnen.« In der Tat: Es ist ein sehr kreatives Chaos. Selbst die Kunstbücher im Regal sind bunt zusammengewürfelt – von Pierre Bonnard über Asger Jorn bis Herbert Brandl. »Ordnung« entsteht meist erst dann, wenn von der Osten oder ihre Kunst das Atelier verlassen. Etwa die 100 Köpfe aus Ton, Knete oder Pappmaché, die sie für eine Ausstellung in der B-Ebene der S-Bahn-Station Taunusanlage geschaffen hat und als Installation unter dem Titel »Scheitelpunkt« dort zeigt (bis 15.12.). Jeder Kopf ist geformt nach einer realen Person, die an einem 8. Mai geboren wurde. An einem Datum mit Symbolkraft – der 8. Mai 1945 markierte den Tag der Befreiung, des Zusammenbruchs von Nazi-Deutschland und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Idee hinter dem Projekt: Freiheit reflektieren – gesellschaftlich und individuell. Gesellschaftlich und individuell passt auch zu dem, was Ulrike von der Osten an ihrem Atelier hier oben in den Zollamt Studios schätzt. Zum einen die Möglichkeit zum Austausch mit vielen anderen Künstler*innen. Zum anderen die Möglichkeit, Arbeiten und Wohnen zu trennen. Von der Osten, die an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg bei Professor Georg Karl Pfahler freie Malerei und Grafik studiert hat, pendelt mit dem Fahrrad zwischen dem Atelier und der Altbauwohnung, die sie mit ihrem Mann auf der anderen Seite des Offenbacher Hauptbahnhofs bewohnt. Sie braucht dafür nur wenige Minuten. Genauso wie zu ihrem Job an einer Offenbacher Schule. Bücher sind das verbindende Element zwischen Atelier und Wohnung. Bücher scheint es hier mehr zu geben als alles andere. Kreatives Chaos herrscht in den Vier Wänden der Künstlerin hingegen nicht. Ganz im Gegenteil: in den ebenfalls großzügig geschnittenen, lichtdurchfluteten und diesmal mit Parkett ausgelegten Räumen, scheint alles seinen festen Platz zu haben. Chaos scheint dem Atelier vorbehalten. In der Tat eine saubere Trennung zwischen dem Wohnen und dem Arbeiten … (_us).