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Paris arbeitet auf allen Ebenen an mehr Grün
Quelle: Julia Krohmer©

Urban_Green [1] | Paris

Vive la révolution – verte!

Gast-Kommentar von Julia Krohmer

Urban shorts schaut 2021 darauf, wie sich Städte und vor allem Innenstädte verändern müssen. In der Reihe »Urban_Green« geht es im ersten Halbjahr um das Grün in diesen Städten. Zum Auftakt blickt Julia Krohmer auf Paris. Die Seine-Metropole wandelt sich gerade in atemberaubendem Tempo zur grünen Hauptstadt Europas …  

Paris als grünes Vorbild für die Metropolen dieser Welt? Als ich im Herbst 1986 nach Paris kam, hätte ich bei dieser Vorstellung schallend gelacht. Während meiner fünf dort verbrachten Jahre hat sich das nicht geändert. Paris, das war eine urbane Herausforderung, in der Steine und Autos regierten, in der man zwar flanieren, aber nur mit hohem Risiko radeln konnte. Mein Highlight: morgens um neun mit dem Rad durch die zwölf Spuren Berufsverkehr am Arc de Triomphe. Grün gab es in den wunderschönen Parks – aber in den Straßen? Fehlanzeige, ich habe keinerlei bewusste Erinnerung an Bäume in den Straßen und Vierteln, in denen ich über die Jahre lebte.

Inzwischen verfolge ich mit großen Augen aus der Ferne, wie sich die Stadt zum grünen Paradies mausert. Bereits 2014 begann die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo die ökologische Revolution auszurufen – anfangs vor allem für den Verkehr, mittlerweile auf fast allen Ebenen. Erst dieser Tage verkündete sie, bis 2024 die Champs Elysées – »die Himmlischen Felder« – buchstäblich in solche zu verwandeln, für 250 Millionen Euro. Die Fläche für den Autoverkehr soll halbiert werden und ein »jardin extraordinaire« entstehen – ein außergewöhnlicher Garten. Man zweifelt keine Sekunde, dass das genau so passiert. Es ist nämlich nicht das erste, was Hidalgo zu ihrer »ökologischen Transformation der Stadt« angekündigt und auf den Weg gebracht hat. 30 Hektar Straßen sollen entsiegelt und zusammen mit Dächern, Terrassen und Fassaden begrünt, weitere 30 Hektar bebaute Fläche zu Parks und Gärten werden. Ebenfalls bis 2024 sollen 170.000 neue Bäume den aktuellen Bestand nahezu verdoppeln, »wo immer möglich auf Hängen, Gehwegen, Plätzen, Parkplätzen oder Schulhöfen«. »Ein Baum für jedes neugeborene Kind« lautet ihr plakatives Programm. Genauso ambitioniert sind 100 städtische Mini-Wälder, die auf kleinen Parzellen von ca. 200 m² mit je etwa 30 Bäumen und viel Rasen entstehen. In allen Bezirken entstehen zudem Dutzende grüner Fußgängerzonen, restriktivere Maßnahmen sollen eine weitere systematische Fassadenbegrünung durchsetzen, und im Rahmen der Kampagne »Végétalisons Paris« dürfen Bürger*innen Baumscheiben, Straßenränder, Brachen – sprich jeden freien Fleck – begrünen und begärtnern …

Damit hat Hidalgo das Tempo, das sie 2014 vorgab, noch einmal beschleunigt. Um die Stadt umzugestalten zu einer entschleunigten 15-Minuten-Stadt, in der alle wesentlichen Einrichtungen innerhalb dieser Spanne per ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden können, musste der Platz irgendwo herkommen. Auch Paris war in den letzten 50 Jahren aufs Auto ausgerichtet, getreu der Devise des damaligen Premiers und späteren Präsidenten Georges Pompidou, die Stadt müsse sich dem Auto anpassen. Mit der Umwandlung der Schnellstraße »Voie Pompidou«, die 13 Kilometer des schönsten Seine-Ufers in ein Teerkorsett gezwängt hatte, gelang der resoluten Bürgermeisterin ein erster, noch dazu hochsymbolischer Paukenschlag, als sie diese komplett Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zurückgab. Nach anfänglichem Murren war die Bevölkerung begeistert. Gleichzeitig setzte Hidalgo den Plan auf, den bei 5% Verkehrsanteil dümpelnden Radverkehr bis 2020 durch konsequenten Ausbau der Fahrradinfrastruktur zu steigern, Paris damit zu einer der bedeutendsten Fahrradstädte der Welt zu machen und gleichzeitig auch den ÖPNV mit 200 zusätzlichen U-Bahn-Kilometern zu stärken. Trotz einer starken Autolobby wurden daraufhin überall im Stadtgebiet Radwege gebaut – zulasten des Autoverkehrs, Autospuren und zehntausende Parkplätze mussten und müssen weichen, ebensoviele Leihräder wurden bereitgestellt. Die Corona-Krise beschleunigte dies noch, aktuell ist sogar die zentrale Rue de Rivoli autofrei und regelmäßig schützen autofreie Sonntage die Innenstadt vor zu viel »Blech«. Insgesamt sollen bis 2024 mit 70.000 Parkplätzen zudem die Hälfte derselben verschwinden und Platz machen für noch mehr Grün in der Metropole.

Paris erreichte damit 2020 im Green City Index der europäischen Großstädte Platz 1. Wohl keine andere Metropole hat in so kurzer Zeit solch eine rasante Entwicklung in Richtung einer nachhaltigeren klimafreundlichen Zukunft geschafft, mit der es gelingt, das Schöne und Angenehme mit dem angesichts des Klimawandels dringend Nötigen zu verbinden. Ach ja: Bei meinem letzten Paris-Besuch traf ich einen früheren WG-Mitbewohner wieder, damals Unternehmensberater. Jetzt realisiert er mit einer eigenen Firma Rooftop-Farmen, welche die Städter*innen mit Obst und Gemüse versorgen – darunter das weltgrößte Projekt seiner Art auf dem Dach des Messegebäudes Paris Expo Porte de Versailles. Die Begrünung der Stadt auf buchstäblich allen Ebenen ist nicht mehr aufzuhalten …