Zum Kino-Schauen über den Rhein? Das Caligari in Wiesbaden ...
Quelle: Barbara Staubach / Caligari©

Brief aus Mainz (ucm.)

Wohnen im Programmkino?

Letzte Mainzer Programmkinos auf der Kippe

Kinos haben es schwer in diesen Zeiten. In Frankfurt musste das Berger Kino schließen. Zukunft ungewiss. Das Eldorado konnte gerade noch gerettet werden. Noch dramatischer in Mainz: Dort könnte sich die Zahl der Kinos in Kürze halbieren – von vier auf zwei. Besonders pikant: Immer öfter müssen in der Medienstadt Kinos Wohnungen weichen. Aber es regt sich Widerstand … 

Zwei Kinos, fünf Säle, 607 Sitzplätze und fast 20.000 Cineast*innen, die für deren Erhalt kämpfen. So könnte man die Situation des »Capitol & Palatin« runterbrechen. Die Zukunft der letzten beiden und gemeinsam geführten Mainzer Programmkinos liegt aktuell in den Händen einer Baufirma. Sie ist neuer Eigentümer jenes Gebäudes im Bleichenviertel, in dem sich das Palatin und der Club »Alexander The Great« befinden. Doch der Bauträger ist nicht gerade als Kinoliebhaber bekannt. »Wir realisieren Ihre Wohnträume«, heißt es auf dessen Website – und genau das ist die Befürchtung vieler Filmbegeisterter. Bereits 2017 musste in Mainz das »Residenz- und Prinzess-Kino« nach 60 Jahren weichen – für 31 Wohnungen eben jenes Bauträgers. Und ohne das Palatin wäre auch das Capitol kaum überlebensfähig …

Derzeit verhandeln die Betreiber mit den neuen Besitzern. Sollte es kein Ergebnis geben, wäre das so ziemlich das Aus für die Mainzer Kinokultur. Schon 2017 waren es nur noch drei Programmkino-Betreiber – dabei hat die Landeshauptstadt eine große Lichtspielhaus-Geschichte. An Pfingsten 1906 wurde in der Flachsmarktstraße das erste Kino eröffnet. »Etablissement ersten Ranges« hieß es, und nur drei Monate später folgte »Webers Kinematograph«. 1909 eröffnete das »Union Theater« am Neubrunnenplatz, dessen Filmauswahl die lokale Presse als »Weltstadt Wunderprogramm« pries. 20 Jahre später ging der Vorhang im »UFA-Filmpalast« hoch: 1.200 Plätze hatte dieser zu bieten – wurde jedoch schon bald zum Propaganda-Instrument für die NSDAP. 1933 entstand schließlich das Capitol. Dafür wurde eigens eine alte Reithalle umgebaut. Seinen damals bereits feuerfesten Türen war es zu verdanken, dass es den Zweiten Weltkrieg überlebte – als einziges Kino in Mainz. Eine solche Brandmauer im übertragenen Sinne könnten Capitol & Palatin auch jetzt gut gebrauchen. Seit 2009 betreiben Jochen Seehuber und Eduard Zeiler beide Kinos. Immerhin gibt es eine Initiative »Capitol & Palatin erhalten!«, deren Petition fast 20.000 Cineasten unterschrieben haben. Ein offener Brief wurde ebenfalls veröffentlicht und dem Bauträger und der Stadtspitze zugestellt. Kurzer Auszug: »eine Landeshauptstadt ohne Programmkino ist eine kulturelle Bankrotterklärung, erst recht für die selbsternannte ‚Medienstadt‘ Mainz!«. Zu den Unterzeichnenden gehören Vertreter*innen aus Kultur und Politik …

Capitol ohne Palatin – das war bereits in der Vergangenheit aus wirtschaftlichen Gründen kaum machbar. Ein einziger großer Kinosaal lässt sich in Mainz nicht betreiben. Wird das Gebäude des Palatin abgerissen, muss auch das Capitol schließen. Dabei laufen beide Kinos laut den Betreibern gut, auch die Corona-Krise habe man ohne gravierende Einschnitte überstanden. 2019 sei mit 90.000 Besucher*innen sogar das stärkste Jahr gewesen. Es müsste also ein gut laufendes Unternehmen schließen. Dutzende Kinobesucher*innen würden täglich wegfallen – ebenso der Restaurant-Besuch davor und die Drinks danach. Für Mainz ein Einschnitt: 1957 hatte die Stadt noch 14 Kinos, die Lichtspielhäuser in den Stadtteilen sind schon lange Vergangenheit. Was bliebe, wäre das kommunale Kino »CinéMayence«, in dem auch Filme abseits des Mainstreams gezeigt werden, und das Blockbuster-Kino »CineStar«. Zur Eröffnung des Capitol schrieb die lokale Presse einst von einem »Theater, das […] der Würde und der Bedeutung der Stadt Mainz weiteste Rechnung trägt. […] Mainz ist durch diesen Licht-Palast – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Sehenswürdigkeit reicher geworden.« In der Firmenbroschüre des Bauträgers heißt es: »Würde ich hier selbst einziehen, gilt seit jeher als Maßstab all unserer Projekte«. Genau das ist die Frage, die sich die Stadt und ihre Bürger*innen nun stellen müssen: Möchte man in einer Stadt sein, in der man zwar wohnen, aber nicht wirklich leben kann? (ucm.).