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Die Köche von Stalburg und Stoffel - Etwas allein(,) gelassen und auf der Suche nach den richtigen Rezepten
Quelle: Stalburg©

Krise (in den Griff) kriegen [5]

Publikumskontakt per Spendenquittung

Michi Herl: Alles schlimm - solange man nicht aufschaut

Kulturlandschaft und Kulturschaffende sind von der Corona-Krise schwer getroffen worden. Auf urban shorts beschreiben Kulturschaffende, wie sie in diesen Wochen die Krise krieg(t)en – und wie sie diese in den Griff kriegen. In Folge 5 schreibt Michael »Michi« Herl vom Frankfurter Stalburg-Theater über vergebliche Antrags-Marathons, einen amtlich ins Netz gegangenen »Stoffel« und darüber, wie schlimm alles ist – solange man nicht in die Welt hinausschaut … 

[> Beitrag auf eigener Seite lesenEs war »Freitag, der 13.«. Wir spielten zum 658. Mal seit 18 Jahren unser Erfolgsstück »Wer kocht, schießt nicht«, wie fast immer ausverkauft. »Es fühlte sich nicht gut an«, meinte danach unser Barchef, »eigentlich fühlt es sich seit Tagen nicht mehr gut an.« Etwa zehn Prozent der Gäste waren trotz bereits erworbener Tickets nicht gekommen, bei den anderen verspürte der Kollege eine »unterschwellige Beklommenheit«. Die Vorstellung am Folgetag, dem 14. März, sagten wir dann ab. Dass wir von da an geschlossen haben sollten, ahnten wir natürlich nicht. Bis heute weiß ja niemand, was morgen sein wird …

Ja, es ist schlimm, was dann kam. Wie sollte es auch anders sein, wenn man von jetzt auf gleich dazu gezwungen wird, sein Leben komplett zu ändern? Pläne über den Haufen zu werfen, Termine abzusagen, Zusagen nicht einzuhalten, Erwartungen zu enttäuschen? Wenn man nicht wie seit 22 Jahren täglich Stücke liest, Stücke schreibt, Proben organisiert, Proben begleitet, sich mit Kolleg*innen austauscht und zu anderen Theatern reist? Sondern wenn man unaufhörlich Subventions-Anträge ausfüllt, um Almosen bettelt, Sponsoren umgarnt und auf Pressekonferenzen statt Heldentaten Überlebensstrategien verkündet? Wenn der Kontakt zum Publikum nur mehr aus dem Unterschreiben von Spendenquittungen besteht? Was soll daran nicht schlimm sein?

Seit diesem Freitag taten wir, was alle taten, also Kurzarbeit anmelden für zehn Festangestellte – und hoffen, dass eines der vielen Unterstützungsprogramme greift. Um es kurz zu sagen: Bis heute griff keins. Übernommen wurden nur laufende Kosten, nicht jedoch Umsatzeinbußen. Das genau aber ist unser Problem. Wir hatten uns für die dreiteilige Bühnenfassung von »Das Leben des Vernon Subutex« mächtig aus dem Fenster gelehnt, ideell und finanziell. Die Premiere war ein Riesenerfolg – dann kam das Virus. Und das noch in einer Zeit, in der wir uns eigentlich ein Polster hätten zulegen müssen. Der nächste Schlag folgte im Mai. Eine Entschädigung für unser Open-Air »Stoffel« (kurz für: Stalburg Theater offen Luft) wurde uns verwehrt – weil wir »nur« ein freiwilliges Eintrittsgeld verlangen. Es fehle eine »Bemessungsgrundlage«, hieß es aus Wiesbaden, der belegbare Verlust im sechsstelligen Bereich spiele da keine Rolle. Etwas gemacht haben wir natürlich dennoch. Sogar etwas Großartiges. Finanziert durch eine Stoffel-Subvention der Stadt Frankfurt drehten wir zehn Tage lang im Theater Auftritte von 29 Bands und Solokünstler*innen und stellen sie nun vier Wochen lang ins Netz. Amtliche Werke sind das, von Profis gefilmt und gemischt. Sie brachten der Menschheit Kurzweil und den Künstler*innen Gagen. Toll – aber halt kein richtiger Stoffel.

Es ist also schlimm. Aber wirklich? Unser Claim »Wir wissen nicht, wie es weitergeht, aber wir wissen, dass es weitergeht« spricht uns aus dem Herzen. Warum? Wir haben ein wundervolles Publikum und großzügige Gönner, die uns unterstützen. Es laufen noch einige Anträge, und auch sonst haben wir eine Menge Ideen. Und: Wir erlebten und erleben Eigenartiges. Etwas, was wir in unserer Wohlstandsgeneration in einem Wohlstandsland nur von Erzählungen kennen. Man handelt und hält gelegentlich inne, um sich darüber zu wundern, dass man handelt. Es ist wohl ein Hauch dessen, was Menschen in Krisen überleben lässt. Aber eben nur ein Hauch. Ein Hauch auch dessen, was Milliarden täglich in fürchterlicher Geballtheit erleben müssen. Auch ohne Corona – sondern aufgrund des ganz normalen Wahnsinns, der auf die Namen Krieg, Hunger, Unterdrückung und Vertreibung hört. Menschen, für die das neue Virus nichts weiter bedeutet als ein weiteres Puzzleteilchen ihres Elends. Denen es vollkommen schnuppe ist, ob sie morgen an Hunger oder an Covid-19 verrecken. Wir hingegen leben in einem der reichsten Länder der Erde. Daran sollten wir täglich voller Demut denken (zumal wir große Teile unseres Wohlstands der Ausbeutung der Ärmsten zu verdanken haben). Und uns darüber freuen, dass unsere Gesellschaft immer noch die Mittel hat, künstlerisch Arbeitende zu unterstützen. Schlimm? Es gibt Schlimmeres …