Beispiel Oeder Weg: Straßen mit weniger Autos laden oft zum Verweilen und Einkaufen ein
Quelle: Veronika Scherer (ver.)©

Geschäfte | Autos weg, Umsatz weg?

Auch Radler*innen geben Geld aus

Ein Gastbeitrag von Professor Dennis Knese

Lange galt in Geschäftsstraßen dieser Welt das Mantra: Je mehr Autoparkplätze, umso mehr Umsatz. Doch seit sich in immer mehr Städten Einkaufsstraßen zu autofreieren Zonen wandeln, häufen sich Studien, die eher von mehr als von weniger Umsatz berichten. Und nicht selten scheint die Mär von zahlungskräftigen Autofahrenden auffällig mit der Verkehrsmittelwahl der Händler*innen selbst zu korrelieren. Ein Gastbeitrag zum Thema von Prof. Dennis Knese (UAS Frankfurt).  

Ein Mittwochnachmittag in Frankfurt am Oeder Weg. Beschaulich liegt die langgestreckte Einkaufsmeile im Nordend mit den kleinen Cafés, Kiosken und Bistros, den Läden für Blumen, Bücher und Kinderkleidung sowie den Apotheken und Reinigungen in der Sonne. Auf der rotmarkierte Straße sind seit einiger Zeit deutlich mehr Radfahrer*innen unterwegs als früher. Im Supermarkt und beim Shop Zeit für Brot herrscht gerade emsige Betriebsamkeit. Und viele Menschen schlendern, eilen, verweilen dazwischen. Im Nordend sieht man, wie sich solche Straßen zuletzt verändert haben. Während heute auf jedes Auto auch ungefähr ein Fahrrad kommt, waren es vor einigen Jahren noch doppelt so viele Autos wie Fahrräder. Bummeln und Shoppen – Das hieß damals für viele, mal eben ins Auto hüpfen und mit diesem in die Stadt hinein. Doch die Zeiten haben sich geändert. Nehme ich das Fahrrad, egal ob per Pedes, mit Elektrohilfe oder als Lastenkahn? Nehme ich Bus, U-, S- oder Straßenbahn, oder fahre ich gar Tretroller? Was sich aber noch nicht geändert hat: die Mär, dass dies das Ende der Geschäfte wäre, weil einzig Autofahrende Geld ausgeben würden. Sicherlich ist das Auto nicht unverzichtbar, lässt sich ein Sofa doch weniger komfortabel – aber nicht unmöglich – mit (Lasten-)Rad oder ÖPNV transportieren als eine Tüte Lebensmittel. Doch die Erfahrung lehrt: bei den meisten Einkäufen in der Stadt geht es selten um Waren des langfristigen Bedarfs wie Möbelstücke … (weiter lesen)

Veronika Scherer (ver.)©
Per Knopfdruck lassen sich in Estland viele Dinge online erledigen – sogar wählen
Quelle: Screenshot auf der Seite des Software-Herstellers Valimised©

Blaupause | Estland

One Klick, one Vote

Estland wählt(e) einfach online

Steuererklärungen mit höchst sensiblen Daten werden immer häufiger online abgegeben. Gesundheitsdaten reihen sich zunehmend auch in diese Reihe. Einkäufe und Banktransaktionen per Klick sind vielfach längst Alltag. Dabei geht es überall um sensible Daten – und um nicht selten höchst komplexe Vorgänge. Doch ausgerechnet einer der simpelsten Vorgänge, bei dem Kriminelle obendrein nur bedingt mit den übertragenen Daten etwas anfangen können, ist vieler Ortens noch eine komplette virtuelle Blackbox: die Stimmabgabe per Mausklick bei Wahlen. Ganz anders in Estland. Bereits seit fast 20 Jahren gilt dort die Devise: One Klick, one Vote. Egal ob Europa-, Landes- oder Lokalwahl – Mittlerweile geben über die Hälfte der wählenden Estinnen und Esten ihre Stimme von Zuhause am heimischen Computer ab. Wie für viele andere Behördengänge auch benötigt man in Estland für eine Wahl lediglich die eigene ID-Karte samt Lesegerät (oder eine entsprechende mobile ID-Nummer). Mit dieser Identifikation meldet man sich sowohl im virtuellen Wahllokal an als auch hinterher mit Abgabe der Stimme auch wieder ab. Beides ist noch einmal zusätzlich über PIN- und Code-Nummern abgesichert. Einzig eines ist etwas anders als bei vielen anderen virtuellen Behördengängen: Das Wählen funktioniert nur über eine spezielle »i-Voting«-Wahlsoftware.

Sorgen, so zeigen viele Umfragen, scheinen sich Estinnen und Esten bei diesem System keine zu machen. Über Wahlfälschungen oder irgendeinen Missbrauch mit den Wählerstimmdaten ist in fast 20 Jahren nichts bekannt geworden (anders etwa als bei vergleichbaren Versuchen anderer Betreiber in der Schweiz). Bemerkenswert ist in Estland zudem, dass Sicherheitsbedenken – die in anderen Ländern oft ins Feld gegen E-Voting geführt werden – in der estnischen Diskussion in all den Jahren praktisch keine Rolle spielten. Dabei erfreut sich das »i-Voting« zunehmender Beliebtheit. Hielt sich bei einer ersten Lokalwahl 2005 mit rund 9.000 virtuellen Stimmen der Andrang noch in Grenzen, so wählte bei der Europawahl etwa jede/r Zweite in Estland bereits online. Bemerkenswert dabei: Dass sich dieser Anteil allein in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Allerdings sind die 1,3 Millionen Menschen in dem kleinen baltischen Staat ohnehin sehr internetaffin, auch was sensible Daten angeht. IT-Kompetenz gibt es bereits im Kindergarten. Neun von zehn Est*innen machen Onlinebanking oder geben ihre Steuererklärung online ab. Es gibt zudem kaum noch einen Menschen im Land, der keinen Internetzugang hat. Ohnehin lassen sich in Estland weit über 100 offizielle Dienstleistungen online mit Hilfe der modernen digitalen ID-Karte abwickeln. Ein besonderes Goodie des estnischen »i-Votings« ist es übrigens, dass man seine Stimme auch noch mehrfach korrigieren kann. Es zählt immer die letzte Abgabe, die am Wahltag selbst dann sogar auch noch ganz klassisch im Wahllokal stattfinden kann (wobei die physische Abgabe immer als die endgültige Stimme gewertet wird). Da erhält das Wort »Wechselwähler*in« noch mal eine ganz neue Bedeutung …

Nur eine Hoffnung hat sich mit dem estnischen »i-Voting« (noch) nicht erfüllt: Dass dadurch mehr Menschen überhaupt an die Wahlurne gehen. Und erstaunlicherweise erreicht man auch nur bedingt junge Wähler*innen mit dem Online-Voting. Beides soll sich allerdings in Bälde mit einer neuen Idee der estnischen Wahlbehörde ändern. Bereits bei einer der nächsten Wahlen sollen Esten und Estinnen auch per App abstimmen können. Lediglich für die Europawahl hatte es die App noch nicht ganz geschafft. Für manche ein beruhigendes Zeichen, dass Sicherheit hier offenbar vor Machbarkeit gehe … (sfo.).

Screenshot auf der Seite des Software-Herstellers Valimised©
Übersehen konnte man Straßenbahnen in der Mittelmeermetropole Montpellier noch nie wirklich
Quelle: Magnus Manske / IngolfBLN • CC BY-SA 2.0 (s.u.)©

Blaupause | Montpellier

Einsteigen und losfahren

Stadt schenkt Bewohner*innen ÖPNV

Straßenbahnen in Montpellier sind schon seit geraumer Zeit etwas besonderes. Nicht nur, dass einige von ihnen zu den buntesten und farbenprächtigsten Exemplaren in ganz Europa zählen dürften. Wer einmal in der südfranzösischen Mittelmeer-Metropole war, weiß auch, dass Montpellier eine der wenigen Städte ist, in der man mit der Straßenbahn fast bis an den Strand fahren kann. Zumindest bis an die »Etang« geheißenen Wassergebiete ganz nahe am Meer. Für wen das ein Grund ist, nach Südfrankreich umzuziehen, der oder die haben seit einem halben Jahr noch mehr Freude an den Trams. Seit kurz vor Weihnachten ist Montpellier die größte Stadt Europas mit kostenlosen Bussen und Bahnen – zumindest für ihre Bewohner*innen. Rund eine halbe Million Menschen in und um Montpellier dürfen seither den ÖPNV der Stadt ohne Ticket nutzen. In dieser Größenordnung absolut einmalig in Europa.

Rund 40 Millionen Euro lässt sich die Stadt das Fahrvergnügen ihrer Bürger*innen pro Jahr extra kosten. Der Großteil dieser Ausgaben sei, so die Mobilitätsdezernentin, aber schon wieder eingespielt. Montpellier profitiert dabei davon, dass es eine französische Boomtown am Mittelmeer ist – und dass in Frankreich Städte ansässige Unternehmen ab elf Mitarbeitenden an den Kosten für den örtlichen ÖPNV beteiligen dürfen. Da Montpellier seit Jahren wächst, immer mehr Unternehmen anzieht und jedes Jahr rund 8.000 Menschen sich neu in der Stadt ansiedeln, spült diese Steuer jedes Jahr viele Millionen Euro in die Kassen der Stadt. Für die Unternehmen, so die Dezernentin, sei diese Infrastruktur neben dem Meer und der fast garantierten Sonne ein echtes Plus für ihre Mitarbeiter*innen, wie Umfragen ergeben hätten. Nicht von ungefähr sind die Nutzerzahlen für das recht gut ausgebaute Netz von Bussen und Bahnen im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten gerade in den letzten Monaten um rund 25 Prozent gestiegen. Und es hilft gegenzusteuern, denn mit den Zugezogenen stieg zuvor auch jedes Jahr die Zahl der neu zugelassenen Autos um mehrere Tausend. Unternehmen sind übrigens nicht die einzigen, die in Montpellier noch zahlen. Auch die nach Südfrankreich kommenden Tourist*innen zahlen weiterhin ihr Billet. Verkehrsexpert*innen aus aller Welt schauen aber mittlerweile schon mit großem Interesse auf das Experiment im Süden Frankreichs. Bisher nämlich waren es vor allem kleinere Städte wie zum Beispiel Tallinn in Estland oder das ebenfalls französische Dunkerque / Dünkirchen, die mit einem kostenlosen ÖPNV experimentiert haben. Gerade wirtschaftsstarke Städte denken dabei ebenfalls an eine Art Mobilitätsabgabe wie in Frankreich. Zuletzt machte auch um den Jahreswechsel herum Frankfurts Verkehrsdezernent mit dieser Idee von sich reden. Bisher ohne Erfolg. Wobei es an den zuziehenden Wirtschaftsunternehmen und der steigenden Einwohner*innenzahl nicht liegen kann. Vielleicht fehlt aber irgendwie noch die direkte Verbindung zum Meer. Und die Sonne vielleicht auch des Öfteren … (sfo.).


Wo Offenbacher*innen sich bald aus tiefsten Tiefen in die Lüfte gen Frankfurt schwingen könnten ...
Quelle: OIMD / Moritz Zimmermann©

High Line | Über den Dingen schweben

Hibbdebach, Dribbdebach, Offenbach

Gedankenspiele für eine völkerverbindende Seilbahn

Es gibt zwei Antagonismen, über die Neu-Frankfurter*innen immer wieder staunen. Das eine ist die Geschichte von »Hibbdebach« und »Dribbdebach«. Wer nicht aus Frankfurt oder allernächster Umgebung kommt, kann mit den Begriffen wenig anfangen. Plastischer wird es, sich den Main als besagten »Bach« (zwischen beiden Teilen der Stadt) sowie »hibb« und »dribb« einfach als »hüben« und »drüben« vorzustellen. Der Main verbindet beide Teile der Stadt und der Stadtbevölkerung(en). Doch er trennt auch. Es braucht schon Brücken oder gar Tunnels, um die Menschen von hibb nach dribb und umgekehrt zu bringen. Und beide brauchen Zuführungen, was in der dichtbesiedelten Stadt auch kein einfaches Logistikproblem ist. Zudem: Seit das Auto nicht mehr das (Verkehrs-) Maß aller Dinge ist und neue Querungen eher dem ÖPNV dienen sollen, kommt auch fast nur noch der Tunnel in Frage. Und der ist teuer und aufwändig – und das beileibe nicht nur, um in Städten hibbdebach und dribbdebach zu verbinden. Brücken und Tunnels hingegen dürften nach Ansicht vieler alteingesessener und -sozialisierter Frankfurter*innen und Offenbacher*innen kaum ausreichen, den zweiten, leicht verschärften Frankfurter Antagonismus aufzulösen. Nämlich den, dass Frankfurter*innen Offenbacher*innen nicht mögen und umgekehrt. Und das, obwohl beide direkt aneinander grenzen. Zumindest grenzt Offenbach recht nah an Dribbdebach. Was es für Offenbacher*innen auch wieder besonders schwer macht, nach Hibbdebach zu kommen, ohne über Dribbdebach zu müssen. Dass an manchen Stellen zwischen Offen- und Dribbdebach noch Oberrad dazwischenliegt, ist da eher nebensächlich …

Bei so viel wohlgepflegten Gegensätzlichkeiten bedarf es schon pfiffiger und vielleicht sogar gewagter Ideen, die alten Antagonismen aufzulösen und die Menschen hier und dort einander näher zu bringen. Findige Verkehrsplaner*innen und -designer*innen aus Offenbach und Darmstadt (Frankfurter*innen waren offenbar keine dabei) hatten eine solch pfiffig-verwegene Idee, die gar nicht mal so junge Methode einer Seilbahn wiederzubeleben. Eine Idee, die sich – falls sie hier funktionierte – vielleicht sogar auf andere Orte übertragen ließe. Für ihren Prototyp haben sie die bisher nur unzureichend, nämlich autotechnisch, geschlossene Lücke an zwei östlichen Frankfurter Stadt- oder Fast-Stadträndern am Offenbacher Kaiserlei und am Frankfurter Ostend hin zum Industriegebiet ausgesucht. Und die Idee hat gerade an dieser Stelle Charme. Die Bahnhöfe Kaiserlei auf Offenbacher Seite (und gefühlt knapp neben Dribbdebach) sowie Eisstadion und Riederhöfe im Ostend auf der Hibbdebach-Seite sind schon da und ausbaufähig. Dazwischen bräuchte es, zugegeben stark vereinfacht, nur noch einige hohe Trägerstützen – und schon bald könnten Gondeln Menschen hoch über dem Fluss an zwei parallelen Stahlseilen in wenigen Minuten gleichsam von hibbdebach nach dribbdebach (und umgekehrt) sowie von Offenbach ins östliche Herz Frankfurts (und ebenfalls umgekehrt) bringen. Grandioser Ausblick auf die Stadt Frankfurt und darüber hinaus auch noch inklusive.

Die Planer*innen und Designer*innen am Offenbacher Institut für Mobilitätsdesign (OIMD) und an der Darmstädter Hochschule preisen die Idee zudem nicht nur für diese beiden heiklen Grenzen, sondern auch ganz allgemein als »kostengünstig, effizient und umweltfreundlich«. Lange Planungs- und Bauphasen könnten vermieden werden, der Aufwand ist insbesondere im Vergleich zu Tunnellösungen erheblich geringer und es werde in der Luft vorhandener Raum genutzt. Nicht von ungefähr empfehlen die Macher*innen die Idee auch für andere Standorte. So wird etwa bereits seit Jahren in Neu-Isenburg über eine entsprechende Seilbahn über der zentralen Verkehrsachse Frankfurter Straße und auch hier darüber hinaus nachgedacht, da auch hier weniger in den vorhandenen Straßenraum eingegriffen werden müsse. OIMD-Designer*innen haben auch passende Kabinen mit Platz für rund vier Dutzend Menschen sowie Rollstühle, Fahrräder oder Kinderwagen angedacht, sodass die Idee Bus- und Bahnbetrieb kaum nachstehen müsse. Neben der Möglichkeit, rund 5.000 Menschen pro Stunde von Offenbach und Dribbdebach nach Frankfurt-Hibbdebach zu transportieren, sehen die Macher*innen auch weitere Vorteile. Zum einen kann diese »High Line« getaufte Idee auch Tourist*innen anziehen. Zum anderen könne sie sogar »identitätsstiftend« wirken, auch wenn die Macher*innen da wohl eher an Silhouetten vor Skylines als an die Idee einer gemeinsamen Großstadt dachten. Zumal es womöglich gerade in Frankfurt kaum lange dauern dürfte, bis findige Lokalpatriot*innen die »Hibbde-Dribbde-Bahn« ausrufen dürften; auch wenn das Offenbacher Lokalpatriot*innen wohl wieder als Affront sehen würden, da der eine Endpunkt ja nun eindeutig auf ihrem Grund zu finden ist. So oder so ließe sich der Bahn viel Völkerverständigendes andichten, verbindet sie doch sodann vom Kaiserlei die Offenbacher Stadtgrenze direkt mit dem östlichen Ostend-Herz Frankfurts. An der Stelle könnten manche auch schnell den alternativen Namen »O-Bahn« (eigentlich für »Obergrund-Bahn«) gleich für Offenbach, Ostend und Oberrad neu deuten. Auch wenn dieses verbale und tatsächliche Näherrücken an den östlichen Nachbarn wiederum für manche Frankfurter Stadtpatriot*innen auch etwas Bedrohliches in sich tragen könnte. Aber über dies könnte irgendwann eine »HDO-Bahn« buchstäblich hinweggehen … (sfo.).

Best of | Gärten

Grüne Lungen

Ausgewählte Grünanlagen

Nun ist wieder die Zeit: Offene Gärten, Gartenpforten oder Grünanlagen laden buchstäblich landauf, landab zur Stippvisite ein. In der Region wohl am berühmtesten sind die Offenen (Privat-) Gärten in Buchschlag und die Offenen (Wild- und Schreber-) Gärten in der »Grünen Lunge« in Frankfurt. Beide öffnen Mitte Juni ihre Gartentürchen. Eine sehr charmante Abwandlung oder auch Ausweitung dieser Idee sind die »Blühenden Gärten«, welche der Regionalverband und die Kulturregion FrankfurtRheinMain initiiert haben. Es ist dies zum einen ein offener Fotowettbewerb, für den die schönsten grünen Oasen der Region eingereicht werden können. Gekürt wurden sodann je fünf »Gewinnergärten« in den Kategorien Private Gärten, Private Balkone und Städtische Grünflächen. Besonders wichtig nur: klimabewusst und insektenfreundlich sollten sie sein. Aus den Gewinnergärten wurde dann eine Veranstaltungsreihe: Zu Besuch in den Blühenden Gärten. Bürger*innen konnten sich anmelden, einige der Plätze und Gärten (Balkone waren ausgenommen) zu besuchen, sie zu genießen und auch ein Stück weit aus ihnen zu lernen. Denn zu lernen gibt es in diesen Oasen der Artenvielfalt vieles. Bestes Beispiel ist am Wochenende des 22. Juni der mehr oder minder blühende Garten in Kelkheim, in dem es auch ein »Sandarium« zu sehen gibt. Es dient (auch) in der Erde lebenden Insekten wie Wildbienen als willkommenes Zuhause. Und man sieht gerade dort: Grün muss nicht immer grün sein, um grün zu sein … (ver.).

Impulse | Kulturcampus

Einfach mal geplant

Studentische Ideen rund ums Juridicum

Manchmal hat man das Gefühl, es ist nur eine Schimäre; gelegentlich aus dunklen und diffusen Nebeln auftauchend. Tatsächlich ist es aber eine der beiden Lieblings- und offenkundigen Dauerbaustellen der Frankfurter Kulturlandschaft. Die Rede ist von dem für manche Beobachter*innen noch immer imaginären »Kulturcampus« rund um das ehemalige Juridicum in Bockenheim. Rund zweieinhalb Jahrzehnte überdauern Idee und Diskussionen nun schon, vor gut einem Jahrzehnt erhielt sie zumindest ihren klingenden Namen. Viele Protagonisten haben sich in dieser Zeit schon zu Wort gemeldet. Nun haben Studierende für Architektur und Soziales der Frankfurter University of Applied Sciences (UAS) sich des Geländes und seines Leuchtturms Juridicum einmal angenommen. Eine durchaus originelle Idee, auch mal diejenigen mit einzubeziehen, die am Beginn der Diskussion teils noch gar nicht auf der Welt waren – aber womöglich zu den künftigen Bewohner*innen dieses Campus gehören könnten. Auch wenn das angedachte Studierendenwohnen im Juridicum für sie wohl zu spät kommen dürfte. Trotzdem hat man das Gefühl, dass die Studierenden den Campus so angedacht haben, als würden sie selbst dort künftig wohnen wollen oder dürfen: ein Beispiel für eine gemeinwohlorientierte Stadt, viel Kultur, viel öffentlicher Raum, sehr gemischtes und sozial verträgliches Wohnen sowie eine Vielzahl von Umwelt- und Ökologieaspekten sind in die verschiedenen Entwürfe eingeflossen. Besonders auffällig: das Bewahren vorhandener Gebäude und Ressourcen. Obwohl: Das ist auch anderen bereits gelungen – zweieinhalb Jahrzehnte lang … (red.).


Viele Fäden in der Hand – Doch sehr selten stellt Nazim Alemdar sich wirklich in den Mittelpunkt
Quelle: Barbara Walzer©

SERIE • MÖGLICH-MACHER*INNEN

Offen für alle, die offen sind

Nazim Alemdar: Gibt's nicht gibt's nicht

Eigentlich könnte Nazim Alemdar die berühmte Atlas-Figur des Bildhauers Gustav Herold, die auf der Spitze des Hauptbahnhofes steht, aus dem Schaufenster heraus sehen. Eigentlich. Denn die Fensterfronten seines weit über Frankfurt hinaus bekannten Kultkiosks »Yok Yok«, der sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite an der Adresse Am Hauptbahnhof 6 befindet, sind mit Aufklebern übersät. Aufkleber, die Kunden und Passanten daran aufgebracht haben. »Das hat sich so schon am alten Standort in der Münchner Straße entwickelt«, erzählt Alemdar. Als sie im vergangen Jahr mit ihm und dem Kiosk an den Hauptbahnhof gezogen seien, ging es dort mit den Aufklebern weiter. Täglich schaue er aber, dass an den Schaufenstern nichts klebt, was in irgendeiner Weise dem rechten Spektrum zugeordnet werden könne. »Hier«, so Alemdar, »gibt es keinen Platz für Nazis und für Dealer«. Das Yok Yok sei ein Ort, der offen ist für alle, die offen sind …

Die »Sticker-Wall«, wie sie heißt, bekommt auch an diesem Tag »neues Futter«. Alemdar, den alle nur Nazim nennen, steht hinter dem Verkaufspult im Kiosk, in dem 22 Kühlschränke mit Getränken vor sich hin brummen. Obwohl es noch früher Nachmittag ist, schauen bereits viele Gäste vorbei und unterhalten sich mit dem Inhaber, den die meisten seit langem kennen, quasi mit ihm und seinem Kiosk an den Hauptbahnhof »umgezogen« sind – Menschen unterschiedlicher Berufe und gesellschaftlicher Schichten, Künstler*innen, Studierende, Banker, Anwälte, Eintracht-Fans oder einfach Reisende. Die Gäste, wie er sie nennt, sind für ihn auch Familie. Nicht wenige sehen es ähnlich. Respekt begleitet ihn, wenn er hier, am vielleicht schwierigsten Punkt des schwierigen Bahnhofsviertels vor die Tür tritt. Einige verweilen an dem Nachmittag an den Tischen, die direkt vor der Tür stehen – mitten im Trubel, der rund um den Bahnhof herrscht und genießen die zugleich besondere Atmosphäre des Ortes und des Viertels. Das »Yok Yok«, was aus dem Türkischen übersetzt so viel heißt wie »Gibt’s nicht – gibt’s nicht«, ist ein Treffpunkt, ein Ort, an dem Begegnung und Austausch möglich ist, aber auch ein Platz, der zeigt, dass das Bahnhofsviertel nicht nur Kriminalität und Drogenkonsum ist. Und: eine Institution, obwohl erst Monate an dieser Stelle …

Auch »Nazim« ist eine Institution. Jemand, der Menschen zusammenbringt. Verbindet. Ein Gefühl für Orte hat. »Die Tische, die draußen stehen«, so Nazim, »stammen noch aus einem alten Fischgeschäft aus der Münchner Straße. Die waren ganz früher sogar mal Hoflieferant«, erzählt Alemdar, der Ende der 1970er Jahre nach Deutschland kam und das Bahnhofsviertel sehr gut kennt. In früheren Jahren habe er dort einen Großhandel für VHS- und Musikkassetten gehabt und habe die Produkte von Kopenhagen bis nach Sydney vertrieben. Das Internet habe aber alles verändert. Aber am Ende auch dazu geführt, dass er das »Yok Yok« in der Münchner Straße eröffnet habe. Als Vorsitzender des im Bahnhofsviertel ansässigen Gewerbevereins macht er sich für ein Miteinander im Viertel stark. Dafür, dass sich Menschen mit Respekt begegnen. Die Menschen schätzen seine offene Art, auf jeden zuzugehen und sie miteinander zu verbinden, durch Gespräche. Und durch die Kunst, die auch in den Räumen am Hauptbahnhof ihren Platz gefunden hat – in der »Treppengalerie«, wie er sie selbst nennt, hinter dem Verkaufsraum. Kunst – und das dürften längst nicht alle seiner Gäste hier im Schatten des Hauptbahnhofs wissen – gehört zu Nazim wie Kiosk. Ausstellungen haben im »Yok Yok« Tradition. Gerade denen, die nicht in Museen hängen, gab er schon immer Raum. Und sei es nur eine Wand. Bereits in der Münchner Straße, wo er 2008 eröffnet hatte, gehörte die Kunst mit dazu, ließ er Wände bespielen. Legendär seine Dependance in der Fahrgasse. Mitten in der Frankfurter Galerienstraße mischte er einen etwas besseren Kiosk mit einem Kunstort. Jeder Zentimeter Wand wurde zur Ausstellungsfläche: Fotografien, Zeichnungen, Malerei. In einem sehr viel feineren Ambiente, auf den dunkelgrünen Wänden, mit dem Schreibtisch als Theke, den Fensterbänken als Sitzgelegenheit. Auch Konzerte in Anlehnung an die 1920er gab es dort. Ein Hauch von Bohème. Fast eine Ironie des Schicksals, dass er ging, als sich in der Galerienstraße die Cafés, Eisdielen und Biertastings ausbreiteten. Ein Hauch dessen, was die Fahrgasse war, ist auch wenige Meter vom Yok Yok entfernt, das lauschige Parkcafé Yok Yok Eden, das er mitinitiiert hatte, wenn auch nicht selbst betreibt. Auch dort gab es Musik und Lesungen unter Bäumen. Was die Ausstellungen anging, seien es rückblickend wohl bisher an die 70 Schauen gewesen – und das soll immer weitergehen. Viele Frankfurter Künstler wie den 2018 verstorbenen Max Weinberg habe er in den vergangenen Jahren gezeigt. »Ich fühle mich auch als ein Teil der Frankfurter Kunst- und Kulturszene«, beschreibt er es. Viele aus dieser Szene würden das sofort unterschreiben. Paradox: Sein Name steht wahrscheinlich in keinem Kunst- und Kulturführer der Stadt. Und doch hat er mehr Frankfurter Künstler*innen Raum gegeben als viele Bekanntere. Und das mit sehr bescheidenen Mitteln. Nur mit viel Wohlwollen …

»Deutschland hat mir viel gegeben und ich habe hier ein tolles Leben«, betont Nazim Alemdar. »Volles Leben« wäre wohl auch nicht falsch. Für ihn sei es aber wichtig, auch wieder etwas zurückzugeben. Sein Credo laute, alles, was er mache, von Herzen zu tun und Negatives in Positives umzuwandeln und aktiv mitzugestalten. Was die Drogenproblematik im Viertel betreffe, so wünsche er sich ein Frankfurter Modell 2.0., unter anderem mit mehr sicheren Räumen für den Konsum. Es sei außerdem wichtig, die Integration stärker zu fördern und nicht immer nur zu fordern. Sagt’s und geht raus und zeigt uns, was »wir« hier um die Ecke in der Kaiserstraße gerade wieder alles vorhaben. Weniger Autos, mehr Sicherheit, Sitzgelegenheiten – Kleinigkeiten, für die er sich tagein, tagaus einsetzt. Rührig im besten Sinne. Viele Politiker*innen reden gerne, was sie im Bahnhofsviertel tun (würden). Alemdar handelt. Einen Traum, den hat er noch. Ihn erzählt er, wer ihn lange kennt. »Ein, zwei Jahre eine Halle, ein altes Gebäude bespielen. Muss nichts besonderes sein. Für einen Platz, an dem Menschen sein können, reden, tanzen, Kunst sehen, trinken …«. Noch hat er einen passenden Ort noch nicht gefunden … (alf.).