Am Morgen im Schatten der Hochhäuser
Quelle: Julia Krohmer©

Urban_Green [6] | SoLaWi

Von der Acker-Allmende

Mit SoLaWis können alle besser leben

Auf der Webseite »Solidarische Landwirtschaft« findet man aktuell rund 400 »SoLaWis« in Deutschland (dazu bald 100 weitere in Gründung). SoLaWi boomt. Und warum auch nicht? Das Prinzip ist bestechend: Landwirt*innen in der Region produzieren, Verbraucher*innen nehmen direkt ab und beteiligen sich bedingt auch am Risiko. Es wird Obst und Gemüse produziert, manchmal auch Eier und Honig, seltener Milch und Fleisch. Die Produkte kann man abholen oder sich umweltfreundlich liefern lassen. Sehr häufig liegen SoLaWis in oder nahe Ballungsräumen – wo die Städter*innen dann beim exotisch geworden Landleben nicht nur mitreden, sondern bei gemeinsamen Pflanz-, Jät- und Ernteaktionen auch gerne selbst die Ärmel hochkrempeln und mit anpacken können. Wenn sie denn wollen …

Ein schnelles Googeln ergibt in Frankfurt und naher Umgebung gleich neun SoLaWis: SoLaWi Frankfurt, SoLaWi Maingrün, SoLaWi Ffm, SoLaWi Guter Grund, SoLaWi Luisenhof, SoLaWi 42, der Birkenhof Egelsbach, Auf dem Acker und Die Kooperative. Auch in Frankfurt, der engen, von Banken und Börsen regierten Hessenmetropole, und der aus allen Nähten platzenden, verkehrszerfurchten Rhein-Main-Region gibt es also Raum für sowas. Ein Sechstel des Frankfurter Stadtgebiets (4000 Hektar, also 40 Quadratkilometer!) ist landwirtschaftliche Fläche. In der Metropolregion FrankfurtRheinMain sind es sogar 42 Prozent – reichlich Platz also nicht nur für die übliche marktorientiert-produzierende konventionelle Landwirtschaft, sondern auch für viele Direktvermarkter und SoLaWis. Eine davon ist die 2018 gegründete, schnell und pragmatisch wachsende »Kooperative« mit ihrer Demeter-zertifizierten »Cityfarm« in Oberrad sowie weiteren Flächen des Quellenhofs in Steinbach. Sie versorgt bereits 550 Frankfurter Haushalte mit diversen Angeboten (groß/klein, Obst und/oder Gemüse, mit/ohne Eier etwa). Wobei für einen kleinen Haushalt mit einer kleinen Obst-Gemüse-Kiste, ein paar Eiern und, nicht zu vergessen, zwei Hühnern im Jahr etwa 25 bis 30 Euro die Woche plus/minus anfallen können (ohne Gewähr natürlich). Das eigene Sortiment der Kooperative wird durch Kooperationen mit anderen Höfen noch erweitert. Wenn nicht gerade Corona ist, kann man auch mitmachen. Man kann Obstbäume pflanzen, mitgärtnern und -imkern, Marmelade kochen oder Sauerkraut herstellen. Es gibt Kinderkurse, Pflanz- und Ernte-Tanz-Feste, Schnittkurse, aber auch Versammlungen, zahlreiche Dialogprozesse, ein Online-Forum und vieles mehr. Kommunikation und das gemeinsame Beschließen ist allen SoLaWis sehr wichtig. Doch man kann sich natürlich auch einfach nur wöchentlich die per Fahrradkurier direkt vom Feld ins Depot gelieferte Kiste abholen, ein bisschen mit anderen Abholer*innen schwatzen und hin und wieder nach Oberrad radeln, um die zutraulichen Hühner in ihrem Hühnermobil auf der grünen Wiese zu besuchen.

SoLaWis gibt es in Deutschland schon seit fast 50 Jahren. Ursprünglich kam die Idee aus Japan. Dort schlossen sich 1974 engagierte Landwirt*innen und Verbraucher*innen im Kampf gegen Agrarchemie und Kunstdünger zusammen und »erfanden« so diese Form der Direktvermarktung und -gewinnung. Sie basiert auf gegenseitigem Vertrauen zwischen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen, garantiert letzteren gesunde Nahrungsmittel mit geringem ökologischem Fußabdruck durch Produktion und Transport, viel Mitsprache und heute oft auch viel Mitmachen. Die Landwirt*innen können ihrerseits wegen der garantierten Abnahme und Bezahlung ihrer Produkte durch die mehr oder weniger straff organisierte Gruppe frei von Marktzwängen arbeiten. Mögliche Risiken, etwa durch Ernteausfälle, werden gemeinsam getragen – solidarisch eben. Damit steht SoLaWi, die solidarische Landwirtschaft, nicht nur zum gegenteiligen Vorteil, sondern meist auch zum Nutzen der Umwelt – denn hier wird meist aus Überzeugung ökologisch gewirtschaftet (juk.).

Julia Krohmer©
Eine von vielen kleinen grünen Gemeinschafts-Oasen im Herzen Frankfurts
Quelle: Stefanie Kösling©

Urban_Green [7] | Gärtnern

Grüne Oasen des Miteinanders

Urbanes (Er-) Leben in Gemeinschaftsgärten

Krieg und steigende Preise für Lebensmittel rücken es dieser Tage noch stärker in den Blick. Doch auch zuvor schon stieg im Bewusstsein für Nachhaltigkeit das Interesse an neuen Formen der (Selbst-) Versorgung und des Umgangs mit Lebensmitteln. Gemeinschaftsgärten liegen im Trend – für mehr Regionalität von Lebensmitteln oder für eine Ökologie, die energieaufwendige Transporte vermeiden und Wasser sparen hilft. Oder auch im Wunsch nach urbanem Grün und Gemeinschaft.  

Man findet sie immer öfter in Hinterhöfen, auf freien Flächen, manchmal buchstäblich am Wegrand: kleine grüne Oasen, mit Hochbeeten, Gemüse und Obstbäumen, kleinen Bänken und Feuerstellen, dazu wuselnde Menschen, die Blumen gießen, Tomaten ernten oder einfach plauschen. Immer öfter suchen Großstadtbewohner*innen, die keinen eigenen Garten haben, nach solchen Gemeinschaftsgärten. Sie ermöglichen das Anbauen von Lebensmitteln zusammen mit Gleichgesinnten auf öffentlich zugänglichem Boden. Die Teilnehmer*innen versorgen sich ein Stück weit selbst, entwickeln ein gutes Gefühl für die Umwelt und haben ganz nebenbei Gewissheit über Herkunft, Frische und Natürlichkeit ihrer Ernährung. Als Nebeneffekt tragen sie zur Veränderung ihres Stadt- oder Stadtteilbildes bei und schaffen Orte für Begegnungen – für sich und andere, die oftmals rasch hinzukommen. Die Idylle dieser kleinen Gärten bietet nicht nur Zeit zum Unterhalten und Gärtnern, sondern auch eine gute Gelegenheit, eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen. Auf einer Bank zwischen den Hochbeeten sitzend und umhüllt vom Geruch des Frühlings. Rings herum ein paar farbenfrohe Blumen und in den Ohren das Summen der Bienen …

Auch in Frankfurt gibt es immer mehr Zulauf für solche Projekte. Sie unterscheiden sich zwar in vielerlei Hinsicht, doch verfolgen sie alle die selben Ziele: Gemeinschaft und nachhaltige Lebensmittel. Manche sind themenbezogen, bauen zum Beispiel interkulturelle Lebensmittel an und bringen auf diese Weise auch unterschiedliche Kulturen näher zueinander. Andere sind einfach durch die Menschen geprägt, die sich nicht selten zufällig für sie oder in ihnen zusammengefunden haben. Durch das Entstehen und Fördern solcher Projekte, entwickelt sich ein Bewusstsein gegenüber der Umwelt, aber auch der Bezug zur Gesellschaft selbst. Als Gemeinschaftsgarten besteht außerdem die Möglichkeit einer Kooperation mit Institutionen, etwa einem Biobauernhof, von dem Grundnahrungsmittel bezogen werden können. Das erleichtert vor allem den Einstieg in den Gemeinschaftsgarten. Gebraucht wird oft nicht viel: tatkräftige, engagierte Helfer*innen, die bestenfalls schon Erfahrung mit dem Gärtnern haben, und die Fläche, welche bepflanzt werden soll. Um Orte und interessierte Menschen zu finden, gibt es soziale Netzwerke wie »Urbane-Gärten.de«, »Nebenan.de« oder »Nachbarschaft.net«. Sie ermöglichen die  Präsentation des eigenen Projektes und die Kommunikation mit anderen, Tipps und Erfahrungen können dort ausgetauscht werden. Empfehlenswert ist auch die Stiftung »Anstiftung.de«. Auch über sie lassen sich Gleichgesinnte finden. Sie listet aber auch weitere Stiftungen, die Gemeinschaftsgärten finanziell unterstützen. Oder man schaut sich gleich nach größeren Projekten in der Stadt um. Dazu gehören etwa »Die Gemüseheldinnen«, die einst am Günthersburgpark ihren Anfang nahmen und mittlerweile längst Ableger in anderen Teilen der Stadt »gezogen« haben. Oftmals reicht aber auch ein Streifen durch die Nachbarschaft und ein Fragen, ob man mitmachen könne. Grundsätzlich gilt also: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Oder in diesem Falle: ein Gartenweg … (lsw.).

Stefanie Kösling©
-
Quelle: Stefanie Kösling©

Urban_Green [5] | Obst to go

Gebotene Früchte

Die Plattform Mundraub.org

Zwetschgen, Äpfel, Birnen, Mirabellen, Beeren, Nüsse und Kräuter, die niemand erntet? Am Straßenrand oder auf Wiesen und Feldern trifft man oft auf solche Früchte. Die Plattform »mundraub.org« listet seit einigen Jahren solche wilden und freistehenden Obstbäume in der ganzen Republik auf. Das Ziel: sie zum kostenlosen Abernten freizugeben, bevor die kostbaren Nahrungsmittel verrotten. In den meisten Fällen sind die Besitzverhältnisse vorab geklärt. Fehlerhafte Einträge werden, so die Betreiber der Seite, zügig gelöscht. Besitzer von Obstbäumen, Streuobstwiesen und Obstgärten können ihr Eigentum auf dem Portal allerdings auch selbst freigeben.

Auf einer großen interaktiven Karte sind die zur Zeit mehrere zehntausend Fundstellen eingetragen, sortiert nach den einzelnen Fruchtsorten. Vorderhand können sich alle dort bedienen. So vergammelt das Obst nicht – und viele Menschen kommen in den Genuss der frischen Früchte. Außerdem trägt das Portal zum Erhalt der Obstkulturlandschaften bei, umschreiben die Gründer die Idee ihres Portals. Ziel sei es, in Vergessenheit geratene Früchte aus den Regionen wieder in den Fokus und ihren Wert wieder in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Sie sollen als Teil der Kulturlandschaft und der Biodiversität dauerhaft erhalten bleiben. Ein wenig Vor- und Nachsicht ist allerdings geboten. Die Seite basiert auf privater Initiative. So ist denn auch nicht jeder Fundort gleich ergiebig. Zudem sei eine kleine Warnung mitgegeben: Grundsätzlich kann Mundraub strafbar sein, wenn man sich an Früchten bedient, die nicht herrenlos oder von den Besitzer*innen freigegeben sind. Hier muss man dann schon ein wenig den gesunden Menschenverstand walten lassen, ist doch bei aller Prüfung der ehrenamtlichen Plattform ein fehlerhafter Eintrag nicht ausgeschlossen. Für die Zukunft denken die Betreiber übrigens auch darüber nach, über die Plattform ein Pflanzen öffentlicher Obstbäume durch Privatpersonen zu organisieren. Ihr Ziel sind »essbare« Städte und Landschaften. Ganz nebenbei erfüllt die Plattform noch einen weiteren Zweck. Sie konterkariert den in den letzten Jahren um sich greifenden Mundraub-Wildwuchs, der sich vor allem an viel befahrenen Ausflugsstrecken durch Radler*innen bemerkbar macht. Diese bedienen sich nämlich oftmals einfach mal so an nicht freigegebenen Stellen, von deren Nutzung ihre Besitzer*innen eigentlich leben müssten. Ein Phänomen, das gerade in Zeiten der E-Bikes immer mehr um sich greift …  (loe.).


Alles im grünen Bereich: Blick auf die Römerstadt
Quelle: Moritz Bernoully©

Urban_Green [2] | Ernst May

Alles Grün macht(e) der May

Frankfurt hat(te) schon mal viel Urban_Green

Urban shorts schaut 2021 darauf, wie sich Städte verändern müssen. In der Reihe »Urban_Green« geht es dabei im ersten Halbjahr um das Grün in Städten. In der zweiten Folge blickt Alexandra Flieth auf Frankfurt. Aber nur bedingt auf das Frankfurt von heute. Sondern mehr auf das Frankfurt Ernst Mays, der einst ein »grünes Frankfurt« mit vordenken ließ – bestens zu sehen noch immer in der Siedlung Römerstadt. 

Wer heute bei einem Spaziergang an der Nidda entlang, mitten in der Natur stehend, auf die Siedlung Römerstadt blickt, der kann noch erahnen, wie die Häuser einst in ihrer Entstehungszeit 1927 und 1928 strahlend weiß zum Flussufer hin geleuchtet haben müssen. Terrassenförmig entlang des Niddatals angelegt, erhebt sich die Siedlung fast wie eine mediterrane Stadt am Mittelmeer. Einst geplant vom Stadtbaurat, Architekten und früheren Siedlungsdezernenten Ernst May (1886 – 1970) und seinem Team, ist die Römerstadt ein Paradebeispiel für das »Neue Bauen« und Ausdruck für das von ihm 1925 aufgelegte Wohnungsbauprogramm »Das Neue Frankfurt«, mit dem innerhalb von fünf Jahren 12 000 Wohnungen neu geschaffen wurden.

Doch nicht nur das Weiß sticht ins Auge, sondern ebenso noch heute das Grün. Das Grün, das für Mays Team ein Lebenselixier der Siedlungen war. Für die Umsetzung holte er sich mit dem Gartenarchitekten und Frankfurter Gartenbaudirektor Max Bromme sowie Landschaftsarchitekt Leberecht Migge zwei Experten hinzu. Dem Team ging es aber nicht nur darum, in den Siedlungen zentrale Grünflächen als Orte der Begegnung und wohnnaher Erholung überall bereits vor der Bauphase großzügig mit zu planen. Die vorwiegend als Ein-Familien-Häuser errichteten Gebäude sind regelrecht in einer grünen Umgebung eingebettet. Die Häuser werden jeweils von einem Vorgarten mit Rasenflächen flankiert, zusätzlich bepflanzt mit Blumen und Hecken. Dadurch wird der Privatbereich zum Bürgersteig und zur Straße hin abgrenzt. Begrünt waren teils auch die Fassaden. Der eigene Garten auf der Rückseite wurde als Erholungs- und als Nutzgarten zur Selbstversorgung ebenfalls vorab in die Planungen einbezogen. Diese sind bis heute nicht nur über das Haus selbst, sondern auch von der Rückseite aus zugänglich – über einen kleinen Weg, der die Häuserreihen voneinander trennt und nur für Fußgänger passierbar ist. Für Mieter in Mehrfamilienhäusern ohne eigenen Garten, gab es als Alternative eine Kleingartenparzelle zum Pachten direkt an der Nidda, unterhalb der Bastionsmauern, die die Siedlung zum Flussufer hin umgeben. Diese Parzellen waren ebenfalls gegliedert nach Flächen zur Erholung und solchen, auf denen Gemüse und Obst zur Selbstversorgung angebaut werden konnten.

Gemeinsames Grün, Frischluftschneisen, Urban Gardening, Urban Farming, Selbstversorgung sowie mehr oder minder solidarische Landwirtschaft – viele der heute modernen Schlagworte waren bei May und seinem Verständnis von Wohnen und Leben als Einheit bereits mitgedacht. Zugegeben: Der Stadtbaumeister hatte, was die Erweiterung und das Denken der Stadt betraf, oftmals buchstäblich die grüne Wiese vor sich, konnte bei Flächen noch aus dem Vollen schöpfen und musste sich auch an weniger Begrenzungen halten. Heute sind bebaubare Grundstücke für große Wohnbauprojekte in Frankfurt Mangelware. Oft heißt es deshalb Nachverdichtung – meist verbunden mit der Vernichtung bereits bestehender Grünflächen. Umso wichtiger scheint mit Blick auf May und im heutigen Wissen um das Klima ganzheitliches Planen bei den wenigen Projekten unabdingbar. In Frankfurt ist aktuell an vielen Stellen erkennbar, was es bedeutet, wenn Begrünung nur ein nebensächlicher Aspekt bei den Planungen war oder nach der Umsetzung gar nicht genutzt werden kann. Ein Beispiel ist der »Europagarten«, der in der Mitte der Europaallee angelegt wurde und als das »grüne Herz« des neuen Europaviertels gedacht war, aber bis heute nicht eröffnet ist. Umso aufwändiger ist es oft, Mays grünes Lebensumfeld nachträglich zu implementieren. Etwa durch Apelle an Hauseigentümer, ihre Fassaden oder Flachdächer zu begrünen oder versiegelte Hofflächen aufzubrechen und zu bepflanzen. Dafür hat die Stadt das Förderprogramm »Frankfurt frischt auf« aufgelegt, mit dem ein Beitrag für das städtische Klima und für mehr Artenvielfalt geleistet werden soll. Doch einer solchen rückwirkenden Begrünung könnte eben vorgebeugt werden, indem diese, wie einst bei May, schon in den Planungen mitgedacht wird – wenn man Wohn- und Lebensumfeld früher als Einheit betrachtet (alf.).

Moritz Bernoully©
Mit etwas Kreide ins Blickfeld gerückt
Quelle: Julia Krohmer©

Urban_Green [3] | Verkanntes Grün

Nicht mehr mit Füßen treten

Von Plant Blindness und Krautschauen

An das letzte Tier, das sie gesehen haben, erinnern sich die meisten Menschen. Und oft können sie es auch noch in allen Details beschreiben. Aber die letzte Pflanze? Vor dem Haus? Ein Baum halt. An der Straße? Eine Hecke. Und sonst? Die Form der Blätter, die Besonderheiten der Gehölze? Das können die wenigsten sagen. Viele nehmen Pflanzen lediglich als grünen Hintergrund oder »Straßenbegleitgrün« wahr. Die US-Botaniker*innen Elisabeth Schussler und James Wandersee prägten dafür den Begriff »Plant Blindness« (Pflanzenblindheit) – »die Unfähigkeit, die Pflanzen in der eigenen Umgebung zu sehen«. Ein BBC-Beitrag aus dem Jahr 2019 brachte auf den Punkt, warum dies gerade heute gefährlich ist: Es führt zur mangelnden Wertschätzung von Pflanzen – und zu einem begrenzten Interesse an ihrem Schutz und ihrer Bewahrung. Fatal gerade in Städten, wo wir Pflanzen dringend brauchen, um die Folgen des Klimawandeln abzumildern.

Doch dabei geht es nicht nur um Bäume und Hecken. Wer hinschaut, findet in unseren von Beton und Asphalt geprägten Städten fast überall Pflanzen. Sogar unter unseren Füßen. Zunächst springt einem dort zwar der Müll ins Auge, die Scherben und unzählige Zigarettenstummel. Doch dazwischen entdeckt man winziges, zähes Grün fast überall: zwischen Pflastersteinen, in Rinnsteinfugen und in Mauerritzen. Und nicht nur einfach Grün – sondern eine Vielzahl von Kräutern, Gräsern und Moosen, die sich an diese extremen Bedingungen angepasst haben und kleine Mikro-Ökosysteme für zahlreiche Insekten und andere Organismen bilden. Sie sind unbedingt einen zweiten Blick wert. Und immer mehr Menschen schauen inzwischen tatsächlich genauer hin. Dank der Aktion »#Krautschau«, eine − im wahrsten Wortsinn − Grassroot-Bewegung von Botaniker*innen und Pflanzenfans. Den Anfang machte in Frankreich der Toulouser Botaniker Boris Presseq, der ein neues Bewusstsein für die Präsenz von Wildpflanzen auf Gehwegen und überhaupt für die Natur in Städten schaffen wollte. Von dort kam sie über England, wo die Botanikerin Sophie Leguil ihr den Namen »More Than Weeds« gab, nach Deutschland. Auch hier hat sich neben #Krautschau auch der Hashtag #MehrAlsUnkraut etabliert. Beider Prinzip ist einfach: Jede/r, wer möchte, kann den pflanzlichen Kämpfernaturen in Mauern und unter unseren Füßen mit etwas Kreide Aufmerksamkeit verschaffen, dies fotografieren und im Netz teilen. Apps wie FloraIncognita (floraincognita.com) helfen auch Botaniklaien bei der zielsicheren Bestimmung dieser Kleinstflora, bei deren Vielfalt man gerne mal in die Knie geht: wegen ihres Wuchsortes, aber auch vor Bewunderung für die omnipräsenten Überlebenskünstlerinnen. Wer also verwunderte Blicke der Passanten nicht scheut, ist eingeladen, diesen Streifzug durch die städtische Mikro-Wildnis mit Gleichgesinnten zu unternehmen … (juk.).

Julia Krohmer©
Ein Blick in den Bürgergarten am Rande der Wallanlagen
Quelle: Frank Behnsen • CC BY-SA 3.0 (s.u.)©

Urban Green [4] | Parkkultur

Ein freyes Vergnügen

Kunst des Seins und des Spazierens

Parks sind gemeinhin die größten Grünflächen in Städten. Oft waren sie Teil fürstlicher Schlösser und Anlagen. Bürger*innenstädte wie Hamburg und Frankfurt haben ihre eigene Parkkultur. Und mit ihr entwickelte sich schon früh die Kultur des Spazierens. Davon erzählt ein Spaziergang durch Frankfurts Parks und die Kultur des Spazierens mit Nina Gorgus.

Schon der Schriftsteller Alexandre Dumas war im 19. Jahrhundert beeindruckt von der damals ersten Frankfurter Parkanlage und lobte die Umsetzung nach einem englischen Landschaftsgarten durch den Gärtner Sebastian Rinz als ein »riesiges Kamelienbukett in einem Kranz von Heidekraut«. Die Rede war von den Wallanlagen – einem Ort, den viele Frankfurter*innen heute gar nicht mehr so recht als Park empfinden. Die zackige Form erinnert noch an das, was hier ursprünglich stand: die ehemalige Stadtbefestigung. Zwischen 1804 und 1812 wurden deren Mauern niedergelegt, private Gärten und Promenaden entstanden und damit tatsächlich der erste öffentliche Park der Stadt. Erstmals konnte sich damit die gesamte Bevölkerung inklusive Gästen und Reisenden auch der neuen Kultur des Spazierengehens widmen. Durch die »Wallservitut« (eine amtliche Bestimmung zum Schutz der öffentlichen Grünanlagen) und Zukäufe durch die Stadt ist die Anlage mit einigen Veränderungen bis heute erhalten, auch wenn der lärmende Autoverkehr den einstigen Parkgenuss doch etwas trübt …

In der Stadt spazieren zu können, ist eine Errungenschaft, die sich Ende des 18. Jahrhunderts durchsetzt. Zur neuen Lebenswelt der Bürger*innen jener Zeit gehörte ein »kulturelles und ästhetisches Programm«, wie die Kulturwissenschaftlerin Gudrun König es einmal beschrieb. Dazu zählten ein verändertes Verhältnis zur Natur, neue Formen der bürgerlichen Selbstdarstellung und der Beginn der Trennung von Arbeit und Freizeit. Erste Ratgeber sorgten für den richtigen Gang. So beschreibt Karl Gottlob Schelle 1802 in »Die Spatziergänge oder die Kunst Spatzieren zu gehen« das Spazieren als »freyes Vergnügen«, das unter keinem Zwang stehe. Ein gutes Leitmotiv, das bis heute Gültigkeit hat. Spazierend lässt sich ganz zwanglos der Grünraum der Stadt erfahren. Ob auf den geschwungenen Wegen im Grüneburg- oder im Günthersburgpark, begleitet von vielen unterschiedlichen Baumarten, die an die Anfänge der Parks als englische Landschaftsgärten erinnern. Oder auf den weiten Flächen des Ostparks, wo die damalige Stadtplanung zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wiesen zum Tummeln und Toben vor Augen hatte. Heute geht es hier allerdings mehr um Fußball und Grillen. Weiter draußen beim Spazieren im GrünGürtel entlang der Nidda merkt man, wie sehr der Nutzungsdruck und die Ansprüche an das öffentliche Grün gestiegen sind. Hier ist die Konkurrenz zwischen Fußgänger*innen und Radfahrenden zunehmend größer geworden. Der Soziologe Lucius Burckhard wollte das Spazieren übrigens gerne als Wissenschaft etablieren. Ihn interessierte besonders die Wahrnehmung und »die Determiniertheit unserer Wahrnehmungsformen« während des Spaziergangs. Anders formuliert: Menschen sind zu oft mit Klischees und Stereotypen im Kopf unterwegs. Seine Lösung: Kopf frei machen für neue Gedanken, Ideen und Impulse, durch das Rausgehen und das Erkunden der Parks im eigenen und in anderen Stadtteilen – also schlicht die vielfältigen Freiheiten des Spazierengehens einfach genießen. Nicht von ungefähr feierte diese alte Kulturform gerade in Lockdown-Zeiten ein viel beachtetes Comeback …

Frank Behnsen • CC BY-SA 3.0 (s.u.)©
Paris arbeitet auf allen Ebenen an mehr Grün
Quelle: Quelle: Julia Krohmer©

Urban_Green [1] | Paris

Vive la révolution – verte!

Paris als grüne Hauptstadt Europas

Urban shorts schaut in einem neuen Schwerpunkt darauf, wie sich Städte und vor allem Innenstädte verändern müssen. In der Reihe »Urban_Green« geht es um das Grün in diesen (Innen-) Städten. Zum Auftakt blickt Julia Krohmer auf Paris. Die Seine-Metropole wandelt sich gerade in atemberaubendem Tempo zur grünen Hauptstadt Europas …  

Paris als grünes Vorbild für die Metropolen dieser Welt? Als ich im Herbst 1986 nach Paris kam, hätte ich bei dieser Vorstellung schallend gelacht. Während meiner fünf dort verbrachten Jahre hat sich das nicht geändert. Paris, das war eine urbane Herausforderung, in der Steine und Autos regierten, in der man zwar flanieren, aber nur mit hohem Risiko radeln konnte. Mein Highlight: morgens um neun mit dem Rad durch die zwölf Spuren Berufsverkehr am Arc de Triomphe. Grün gab es in den wunderschönen Parks – aber in den Straßen? Fehlanzeige, ich habe keinerlei bewusste Erinnerung an Bäume in den Straßen und Vierteln, in denen ich über die Jahre lebte.

Inzwischen verfolge ich mit großen Augen aus der Ferne, wie sich die Stadt zum grünen Paradies mausert. Bereits 2014 begann die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo die ökologische Revolution auszurufen – anfangs vor allem für den Verkehr, mittlerweile auf fast allen Ebenen. Erst dieser Tage verkündete sie, bis 2024 die Champs Elysées – »die Himmlischen Felder« – buchstäblich in solche zu verwandeln, für 250 Millionen Euro. Die Fläche für den Autoverkehr soll halbiert werden und ein »jardin extraordinaire« entstehen – ein außergewöhnlicher Garten. Man zweifelt keine Sekunde, dass das genau so passiert. Es ist nämlich nicht das erste, was Hidalgo zu ihrer »ökologischen Transformation der Stadt« angekündigt und auf den Weg gebracht hat. 30 Hektar Straßen sollen entsiegelt und zusammen mit Dächern, Terrassen und Fassaden begrünt, weitere 30 Hektar bebaute Fläche zu Parks und Gärten werden. Ebenfalls bis 2024 sollen 170.000 neue Bäume den aktuellen Bestand nahezu verdoppeln, »wo immer möglich auf Hängen, Gehwegen, Plätzen, Parkplätzen oder Schulhöfen«. »Ein Baum für jedes neugeborene Kind« lautet ihr plakatives Programm. Genauso ambitioniert sind 100 städtische Mini-Wälder, die auf kleinen Parzellen von ca. 200 m² mit je etwa 30 Bäumen und viel Rasen entstehen. In allen Bezirken entstehen zudem Dutzende grüner Fußgängerzonen, restriktivere Maßnahmen sollen eine weitere systematische Fassadenbegrünung durchsetzen, und im Rahmen der Kampagne »Végétalisons Paris« dürfen Bürger*innen Baumscheiben, Straßenränder, Brachen – sprich jeden freien Fleck – begrünen und begärtnern …

Damit hat Hidalgo das Tempo, das sie 2014 vorgab, noch einmal beschleunigt. Um die Stadt umzugestalten zu einer entschleunigten 15-Minuten-Stadt, in der alle wesentlichen Einrichtungen innerhalb dieser Spanne per ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden können, musste der Platz irgendwo herkommen. Auch Paris war in den letzten 50 Jahren aufs Auto ausgerichtet, getreu der Devise des damaligen Premiers und späteren Präsidenten Georges Pompidou, die Stadt müsse sich dem Auto anpassen. Mit der Umwandlung der Schnellstraße »Voie Pompidou«, die 13 Kilometer des schönsten Seine-Ufers in ein Teerkorsett gezwängt hatte, gelang der resoluten Bürgermeisterin ein erster, noch dazu hochsymbolischer Paukenschlag, als sie diese komplett Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zurückgab. Nach anfänglichem Murren war die Bevölkerung begeistert. Gleichzeitig setzte Hidalgo den Plan auf, den bei 5% Verkehrsanteil dümpelnden Radverkehr bis 2020 durch konsequenten Ausbau der Fahrradinfrastruktur zu steigern, Paris damit zu einer der bedeutendsten Fahrradstädte der Welt zu machen und gleichzeitig auch den ÖPNV mit 200 zusätzlichen U-Bahn-Kilometern zu stärken. Trotz einer starken Autolobby wurden daraufhin überall im Stadtgebiet Radwege gebaut – zulasten des Autoverkehrs, Autospuren und zehntausende Parkplätze mussten und müssen weichen, ebensoviele Leihräder wurden bereitgestellt. Die Corona-Krise beschleunigte dies noch, aktuell ist sogar die zentrale Rue de Rivoli autofrei und regelmäßig schützen autofreie Sonntage die Innenstadt vor zu viel »Blech«. Insgesamt sollen bis 2024 mit 70.000 Parkplätzen zudem die Hälfte derselben verschwinden und Platz machen für noch mehr Grün in der Metropole.

Paris erreichte damit 2020 im Green City Index der europäischen Großstädte Platz 1. Wohl keine andere Metropole hat in so kurzer Zeit solch eine rasante Entwicklung in Richtung einer nachhaltigeren klimafreundlichen Zukunft geschafft, mit der es gelingt, das Schöne und Angenehme mit dem angesichts des Klimawandels dringend Nötigen zu verbinden. Ach ja: Bei meinem letzten Paris-Besuch traf ich einen früheren WG-Mitbewohner wieder, damals Unternehmensberater. Jetzt realisiert er mit einer eigenen Firma Rooftop-Farmen, welche die Städter*innen mit Obst und Gemüse versorgen – darunter das weltgrößte Projekt seiner Art auf dem Dach des Messegebäudes Paris Expo Porte de Versailles. Die Begrünung der Stadt auf buchstäblich allen Ebenen ist nicht mehr aufzuhalten … (juk.)