Galerien gehören zu jenen Kunst-Orten, an denen Kunst und Menschen sich stets besonders nahe kommen. Ein steter Beobachter solcher ganz eigenen »Mensch und Kunst«-Begegnungen ist der Offenbach-Frankfurter Fotograf Hans-Jürgen Herrmann. Seit über einem Jahrzehnt hält der passionierte Vernissagen-Gänger das Aufeinandertreffen von Kunst und Kunstbetrachtern vornehmlich in den Galerien und Off spaces von Frankfurt und Offenbach fotografisch fest. Für sein Facebook-Blog »neuliXt« sind auf diese Art und Weise rund 400 Fotoserien mit gegen 4.000 Aufnahmen entstanden. Es sind Bilder, die im wahrsten Wortsinn die Menschen in der Kunst zeigen. Aber auch die Menschen mit der Kunst. Und die damit etwas zeigen, was (fast) keine Ausstellungsbesprechung aufzeigt und aufzuzeigen vermag: die Wirkung der Kunst auf die(se) Menschen. Wobei nicht selten Kunst und Kunstbetrachter*in bei diesen zufälligen Aufeinandertreffen eins werden – für sich, aber oft auch für die Betrachter*innen der Betrachtenden und des Betrachteten. Nicht selten der Moment zweier erstaunlicher, zuweilen tiefer, zuweilen auch skurriler Symbiosen – und allein für diesen Moment festgehalten. Urbans shorts – Das Metropole Magazin präsentiert einige dieser Momente in obiger Galerie zum Durchklicken (vss.).
Best of 2024 | KÜNSTLER*innenGAGEN
Fair ge-/behandelte Kunst
Ein Gastkommentar von Julia Eberz
Der Bund legt Mindeststandards bei der Entlohnung von Künstler*innen für von ihm mehrheitlich geförderte Kulturprojekte fest. Städte wie Stuttgart und Frankfurt führen Ausstellungshonorare ein. Julia Eberz, Vorsitzende im Kulturausschuss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, sieht darin erste Ansätze zu »fair gehandeltem und behandeltem Kulturschaffen«.
Zweifellos, sehr viele freischaffende Künstler*innen, insbesondere in der bildenden Kunst, aber auch in anderen Kulturbereichen, arbeiten in prekären Verhältnissen. Endlich hat auch die Bundesregierung reagiert und verknüpft die Förderung von Einrichtungen und Projekten, die zu mindestens 50 Prozent vom Bund gefördert werden, mit der Einhaltung von Mindeststandards bei der Entlohnung von Künstler*innen. Dieser Schritt war längst überfällig und es bleibt zu hoffen, dass Länder und Kommunen, die ebenfalls viele Kulturprojekte und -einrichtungen fördern, diesen Schritt nachvollziehen. Erste Schritte da und dort in diese Richtung sind bereits zu verzeichnen. Frankfurt hat zum Beispiel gerade Ausstellungshonorare und neue Stipendien auf den Weg gebracht.
Was für Arbeitnehmer*innen mit dem Mindestlohn inzwischen völlig normal ist, muss auch für freischaffende Künstler*innen gelten. So weit so nachvollziehbar. Aber bringen Honoraruntergrenzen auch Nachteile mit sich? (weiter lesen)
Best of • Kultur lebt Denkmal
Viel Alltag im Ambiente
Beate Kemfert und Rüsselsheims Opelvillen
»Die Opelvillen« – Für ein Museum klingt der Titel fast mondän, nach viel gediegenem Ambiente, einem üppigen Staff und einem ebensolchen Etat. Doch im Rüsselsheimer Ausstellungshaus am Main steckt vielmehr viel Arbeit, mit den historischen Gebäuden, mit Ausstellungen und Vermittlung, mit Akquise von
»Nein, wir sind kein Museum der Opel Automobile GmbH«. Auch wenn über zwanzig Jahre seit dem Start unseres Wirkens vergangen sind, bleibt dieser Satz ein fester Bestandteil unseres Alltags. Bei meinen Leihgesuchen und Förder-Akquisen, bei vielen neuen Gästen und selbst bei manchem Menschen aus Rüsselsheim erläutere ich immer zunächst, dass wir weder zum Autokonzern gehören noch von diesem finanziell unterstützt werden, sondern dass unser Name auf den einstigen Firmenmitinhaber Friedrich (»Fritz«) Opel, einem Sohn des Firmengründers Adam Opel, zurückgeht. Unser Namenspatron ließ von 1931 bis 1933 die größere Villa, das sogenannte Herrenhaus, erbauen. Den Komplex mit Wintergarten und der kleinen Villa Wenske bewohnten er und seine Frau bis zu seinem Tode 1938. Nach dem Krieg war es erst Lazarett, später Krankenhaus. Zeitzeugen konnten mir noch anschaulich erzählen, in welchem Zimmer ihnen im Kindesalter die Mandeln in den Opelvillen entfernt wurden. Und wahrscheinlich könnten manche noch von Scheidungen und Nachbarschaftsstreits erzählen, nachdem hier später das Amtsgericht und einige Ämter angesiedelt wurden … (weiter lesen).
Best of • Möglich-Macher*innen
Jakob Sturm … denkt Räume
Eine Basis auf dem Radar möglichen Wohnens
Ein Atelierhaus für Künstler*innen, eine Agentur zur Vermittlung von Räumen an Kreative, Bücher über Orte möglichen Wohnens (und Arbeitens), Beratung für Städte und Stadtobere, eigene Aktionen und Ausstellungen – Jakob Sturm denkt und schafft seit vielen Jahren Räume für eine urbane Kultur der Stadt. »Frei-« und »Denkräume« inklusive. Er schafft Möglichkeiten en gros und verändert subtil und weniger subtil. Werke von ihm sind zur Zeit gleich in mehreren Ausstellungen zu sehen …
»Ich mach’ das, damit etwas passiert«. Der Satz klingt banal. Und doch steckt darin das gesamte Credo Jakob Sturms. »Machen« ist das, was er seit zwei Jahrzehnten in dieser Stadt macht. Oder mit dieser Stadt. Und »Denken« – ebenfalls in, über und sogar mit ebenjener Stadt. Gemeint ist Frankfurt. Herausgekommen ist bereits vieles: das Atelierhaus Basis mit über 100 Räumen für Künstler*innen und Kreative oder die Leerstandsagentur Radar mit Dutzenden neuen Kreativ-Räumen und Fördergelder für Umbau und Gestaltung obendrein. Doch damit hört er nicht auf zu denken und zu machen. Basis und Radar waren gestern, heute denkt er weiter: über Wohn- und Atelierhäuser – über neue Formen von Wohnen und Leben und Arbeiten eben. Und fast ist auch das wieder gestern, ist doch das erste davon in Praunheim schon entstanden. Und nein, auch das reicht nicht. Er denkt – und macht – auch Stadt anders, mischt vielfach mit, berät und stößt an, mit Ausstellungen, Fotoserien, vor allem aber eigenen Installationen, die selbst oft Räume beschreiben wie andere Jugendherbergen, neue Wohnformen in Büroetagen oder das einst gegründete Kunstbüro, in dem erst recht drinnen steckt, dass Kunst etwas Vermittelndes hat … (weiter lesen).
Best of • Blaupausen
Das Stuttgarter Modell
Bis zu 840.000 Euro für Künstler*innen
Seit Anfang 2023 stellt der Stuttgarter Gemeinderat jährlich ein Budget von 210.000 Euro für Ausstellungshonorare von Künstler*innen zur Verfügung. 30 bis 40 Stuttgarter Institutionen der Bildenden Kunst sind seither berechtigt, beim Kulturamt Anträge auf Förderung zu stellen, wenn sie Werke bildender Künstler*innen in öffentlichen, nicht kommerziellen Wechselausstellungen zeigen. Nicht abgerufene Beträge können auch für freie Projekte vergeben werden.
Die Initiative ging einst von zwei Stuttgarter Künstlern aus. Wolfram Isele und Joachim Sauter, beide auch aktiv im Fachbereich Bildende Kunst der Gewerkschaft verdi und von dieser unterstützt, argumentierten, eine Ausstellung sei wie ein Live-Auftritt, und Musiker bekämen dafür ja auch ein Honorar. 50 Akteur*innen aus Künstler*innenschaft, Kunstinstitutionen und Verwaltung trafen sich daraufhin im Juni 2022 im Künstlerhaus Stuttgart. Tobias Wall, Fachreferent für Bildende Kunst im städtischen Kulturamt, hatte das partizipative Verfahren koordiniert. Die Aufgabe war, gemeinsam über Bedarfe und Erwartungen sowie über die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für Ausstellungshonorare zu diskutieren. Schon damals hatte der Gemeinderat dafür 50.000 Euro aus der Stadtkasse bewilligt.
Das Ergebnis: das Modellprojekt »Stuttgarter Modell«, das auf vier Jahre angelegt ist und für das der Stuttgarter Gemeinderat Kultur-Einrichtungen jährlich 210.000 Euro für Ausstellungshonorare von bildenden Künstler*innen bereitstellt (inklusive 10.000 Euro für Künstlersozialabgaben) … (mehr lesen).
Best of • Blaupausen
Eine Allianz fürs Leben
Oslo fördert Künstler*innen Jahrzehnte
Skål! Die Gläser klingen. Der Toast gilt dem norwegischen Maler Kenneth
Varpe. Er hat ein vom norwegischen Staat finanziertes Stipendium erhalten. Der flachsblonde Mann mit den hellen Augenbrauen und dem gewinnenden Lächeln strahlt. »Das Stipendium macht mich frei«, sagt Varpe. »Es ist nun schon mein zwölftes Jahresstipendium in Folge. Mein erstes erhielt ich 2012. Seitdem kann ich mich voll und ganz auf die Weiterentwicklung meiner Kunst konzentrieren. Die langfristige Künstler*innenförderung hier in Norwegen hat mir ermöglicht, meine Malerei konzeptuell und technisch konsequent weiterzuentwickeln – ohne dass meine Kunst instrumentalisiert wird.«
Norwegen – ein Land, das durch seine Ölvorkommen vor der Küste eine Sonderstellung in Europa einnimmt und zu den reichsten des Kontinents zählt – geht einen recht eigenen Weg bei der Förderung von Kunst. Mehr als andere Länder sichert es seine Künstler*innen ab, vor allem mit zahlreichen Stipendien mit bis zu zehn Jahren Förderdauer. Ziel der staatlichen Stipendien ist ein garantiertes Einkommen für Künstler*innen, um ihnen wirtschaftliche Sicherheit zu geben, ihre künstlerische Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg zu entwickeln … (mehr lesen).
Wertschätzen und Mischfinanzieren
Haste mal fünf Euro – oder mehr?
Kultur experimentiert mit Solidarpreisen
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Kultur feste Preise haben oder ob das Publikum entscheiden sollte, was ihm Kultur wert ist. Seit 2020 experimentiert der Frankfurter Mousonturm mit einem »Solidarischen Preissystem«. Andere haben schon länger Erfahrung damit; vor allem die Freie Szene. Ob sinnvoll oder nicht – dazu gibt es keine klare Antwort. Allerdings: Schaden scheint es zumindest nicht.
Hayko Spittel ist Künstler. In Offenbach. »Künstlerpech« könnte man sagen. Doppeltes. Reich kann man nämlich in der Regel weder mit dem Ort noch mit der Profession werden. Zumindest nicht an Geld. Aus diesem Umstand hat der Maler mit Expertise in Druckgrafik eine eigene Kunstform gemacht. Spittel hat ein eigenes »Künstlernotgeld« entworfen und bringt es zum Wechselkurs eins zu eins zum Euro unter die Leute; wenn auch meist mehr im privaten Umfeld, wo der eine oder andere Schein auch schon mal zum Geschenk mutiert(e). Geld selbst drucken – das würden sich viele Kultureinrichtungen und Kulturschaffende wünschen. Wenn man damit bezahlen könnte …
Doch eigentlich hat Spittels Idee ja noch eine zweite Seite. Faktisch nämlich ist jeder Schein gleich wertig. Erst Käufer oder Käuferin entscheiden, was er und damit die Arbeit des Künstlers ihm oder ihr wert ist. Eine Idee, die in Corona-Zeiten auch das Künstler*innenhaus Mousonturm aufgegriffen hat. »Solidarisches Preissystem« nennt man es am Turm seither. Besucher*innen entscheiden selbst, ob ihnen eine Aufführung 7 (anfangs 5), 11, 20 oder 35 Euro wert ist. Wie viel sie also zahlen wollen – oder auch gerade können. Dezent weißt das Haus noch kurz darauf hin, dass »20« der reguläre Preis wäre. Anfangs, so Intendant Marcus Dross, sei es eine Referenz an die vielen von der Corona-Zeit gebeutelten Menschen gewesen. Schlechte Erfahrungen, so Dross, habe man nicht gemacht. Der Durchschnittspreis sei mit Schwankungen recht gleich geblieben zu dem, was man vorher pro Besucher*in im Schnitt einnahm. Allerdings – das gibt er offen zu – seien Ticketeinnahmen bei Besucher*innenzahlen im gehobenen zweistelligen Bereich bei vielen Aufführungen für ein Haus wie den Mousonturm eben auch nicht der wichtigste Faktor. Die großen Batzen im Etat sind die städtische Finanzierung sowie – immer wichtiger – eingeworbene Gelder aus der Förderlandschaft. Beide Posten machen im Mousonturm gut 90 Prozent des Budgets aus. Ticketeinnahmen steuern also lediglich Beträge im einstelligen Prozentbereich bei. Gerade deshalb sieht Dross dieses Solidarische Ticketing auch weiter als Zeichen in die Gesellschaft hinein, um die Besucher*innen sozusagen mitzunehmen und einzubeziehen bei den Preisen. Auch ein Stück Publikumsbindung …
Solidarische Preissysteme also als Modell einer Kultur für alle und gleichsam ein solches für die Zukunft? Gerade dann, wenn in vielen Häusern Ticketeinnahmen ohnehin nur noch ein oft kleiner Teil des Budgets sind und mehr Spielraum da vielleicht sogar gerechter wäre und auch neues Publikum in die Häuser bringen würde? Nun ja, neu ist der Gedanke ja ohnehin nicht. In der Freien Szene ist er schon lange verbreitet. Bei kleinen Poetry Slams, Lesungen oder Konzerten ist es nicht unüblich, dass hinterher »der Hut« rumgeht und neben CD- oder Buchverkäufen auch so noch ein paar Euro »hängenbleiben«. Viel Erfahrung mit dem »Alternativen Ticketing« haben zwei große sommerliche Akteure in Frankfurt. Die Festivals Sommerwerft und Stoffel spielen ohne Eintritt, lassen hinterher rote Eimer oder Fischernetze kursieren. Ergebnis: Es kommt einiges zusammen. Doch auch bei ihnen ist das längst nicht mehr der einzige Posten. »Mischfinanzierung« gilt auch hier; auch wenn Publikumseinnahmen eine größere Rolle spielen. Doch ohne Sponsoren- und Fördergelder kämen sie nicht mehr über die Runden, sagen die Veranstalter. Zumal es ohnehin nur ein vages Über-die-Runden-Kommen sei. Gewinne, etwa für den Regelbetrieb der Stoffelaner*innen in der heimischen Stalburg, fielen nicht ab. Die Festivalmacher*innen verweisen aber auch auf eine Besonderheit: Obwohl beide Festivals über die Jahre immer mehr Besucher*innen haben (nicht selten mehrere Tausende an schönen Abenden), wächst der Zufluss nicht in gleichem Maße. Im Schnitt sinke er wohl sogar. Ob es an anderen, immer neuen Attraktionen liege (denen die Besucher*innen dann erst mal wieder mehr gäben), an der Gewöhnung (welche die Großzügigkeit ablöst) oder daran, dass mit mehr Menschen auch überproportional mehr Leute kämen, die wenig oder nichts geben (obwohl sie es könnten) – niemand weiß es zu sagen. Wenn dies stimmt, wäre es kein gutes Zeichen für den Mousonturm und andere Nachahmer*innen. Auch das Darmstädter Staatstheater hatte beispielsweise in Corona-Zeiten mal mit Solidarpreisen für ausgewählte Darbietungen experimentiert. Allerdings hat das Haus das Ganze mittlerweile offenbar wieder weitgehend eingestellt.
Hayko Spittel hingegen bietet sein »Notgeld« auch weiter an; wenn auch meist eher beiläufig. In gewisser Weise ist es für Künstler*innen wie ihn ohnehin auch nur ein weiteres Kunstwerk unter den vielen, die sie so im Laufe ihres Lebens schaffen. Und für die sie es ohnehin gewohnt sind, Preise mehr oder minder frei auszuhandeln. Immerhin: Spittel ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass auch freie Kulturschaffende mittlerweile künstlerische Mischkalkulation kennen. Seit 2017 arbeitet er auch an einer Schule als Kunstlehrer – die »Freie(n-) Form« der institutionellen Kunstförderung sozusagen. Eine, die mittlerweile ohnehin recht verbreitet ist unter Künstler*innen. Denn vom Notgeld ist auch Spittel nicht reich geworden. Wie auch? Am Besten, so Spittel, gehe der »Fünfer«. Nun ja: Für gute Antworten zum Solidarsystem bedarf es wohl doch eher größer angelegter Experimente als diejenigen in Frankfurt und Offenbach. Immerhin eines lässt sich sagen: Zu schaden scheint es nicht – und es öffnet immerhin auch manchen den Zugang zur Kunst, die ihn sich sonst eher vom Munde absparen müssten … (vss.).