Kultur in der Debatte
Gestalten wir, wie wir leben wollen!
Ein Gastbeitrag von Matthias Wagner K
Frankfurt und die Region RheinMain haben gemeinsam den Titel »World Design Capital 2026« gewonnen. Das Motto: »Design for Democracy. Atmospheres for a better life«. Matthias Wagner K, der Leiter der Bewerbung, skizzierte bereits 2022 in einer Rede zum 32. Jahrestag der Deutschen Einheit in der Paulskirche Idee und Geist der Bewerbung und spannte den Bogen von den Herausforderungen unserer Zeit über die im doppelten Wortsinn gestalterische Kraft Frankfurts und der Region bis zur Kraft von Gestaltung für Gesellschaft und Leben heute. Urban shorts – Das Metropole Magazin dokumentiert nochmals diese Rede.
»Wir leben in einer Zeit tiefer Verunsicherung und vieler Irritationen. Optimismus, auch einer, der die Deutsche Wiedervereinigung am Anfang begleitete, scheint immer mehr einem Pessimismus gewichen zu sein. Da kommt, so könnte man salopp sagen, wenig Freude auf im Angesicht des Nationalfeiertages. Doch ja, es brauchte auch vor dem Ende der SED-Diktatur sehr viel Fantasie, sich deren Ende und damit eine Wiedervereinigung vorzustellen – so wie heute einen Weg Russlands, ohne Putin, in eine freiheitliche Demokratie mit einem friedlichen und gedeihlichen Auskommen mit seinen Nachbarn. Wir stehen, so darf festgestellt werden, vor epochalen Herausforderungen. Sind wir so stark, in diesem unserem vereinten Deutschland uns antidemokratischer Kräfte zu erwehren, in Hanau und Halle, Kassel und München, überall in unserem Land? Sind wir bereit und auch in der Lage, uns jeglicher gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu erwehren, nicht allein der Hetze gegen Jüdinnen und Juden, gegen Ausländer:innen, gegen den Feminismus oder gegen LGBTQ? Sind wir standhaft genug, nicht dem Wunsch nach einem heterogen übersichtlichen vereinten Deutschland zu erliegen, sondern uns weiterhin für eine pluralistische Gesellschaft der Vielen, der Verschiedenen einzusetzen, was ein gemeinsames Verständnis von Zugehörigkeit ja überhaupt nicht ausschließen muss? Eine Zugehörigkeit, und ich darf an dieser Stelle die Journalistin Bascha Mika zitieren, »nicht einfach zur Nation sondern zur Demokratie.«
Wir sollten erkennen, dass es jetzt ein anderes Handeln braucht, weil uns schlichtweg die Zeit davonläuft. Womit wir beim Gestalten wären. Ein Gestalten, das sich als kreativer Schaffensprozess zu erkennen gibt, der bekanntlich als die ästhetische Gestaltung von unmittelbar Wahrnehmbarem, als auch von mittelbar Spürbarem wie etwa Lebens- und Persönlichkeitsgestaltung sowie Politik als Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse zu verstehen ist. Ein Gestalten, welches davon geprägt ist, Zustände, Strukturen, Dinge zu hinterfragen, das nach Fehlern und Irrtümern sucht, um sie korrigieren zu können, und das in die Zukunft gerichtet ist. Hier, in der Frankfurter Paulskirche, fällt es mir leicht, an gewichtige gesellschaftliche Gestaltungsmomente und Umgestaltungen zu erinnern. 1848 versammelten sich hier die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten, über Menschen- und Bürgerrechte, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte sowie die Abschaffung der Todesstrafe. Und auch wenn diese mit großen Hoffnungen angetretene liberale und demokratische Einheits- und Freiheitsbewegung bereits 1849 als gescheitert gilt, war wiederum Frankfurt am Main in der Zeit von 1919 bis 1933 das Zentrum einer modernen Gestaltung und einer neuen Gesellschaft. Auf dem Weg zu einer neuartigen Großstadtkultur waren unter der Führung des Oberbürgermeisters Ludwig Landmann Gestalter:innen aufgerufen, neue Formen für sämtliche Bereiche des Lebens zu entwickeln, was bekanntlich unter dem Namen »Neues Frankfurt« weit über das bekannte, von Ernst May initiierte Wohnungsbauprogramm hinausging. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg war es Frankfurt am Main, das mit den Auschwitzprozessen – den größten NS-Strafprozessen der Nachkriegszeit in Deutschland – für die Aufarbeitung des Holocaust steht. Hier widmete sich 1969 der Philosoph Theodor W. Adorno in seinem letzten Gespräch einer Erziehung zur Mündigkeit. Hier sind das 1970 gegründete Leibnitz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und der Forschungsverbund »Normative Ordnungen« der Goethe-Universität verortet. Hier wird im kommenden Jahr der ersten deutschen Nationalversammlung gedacht werden und soll das »Haus der Demokratie« entstehen.
Aufgrund jener profunden Basis bewirbt sich die Stadt Frankfurt am Main im Verbund mit zahlreichen Städten und Gemeinden der Region und mit dem Slogan »Design for Democracy. Atmospheres for a better life« um den Titel »World Design Capital 2026«. Eine Unternehmung, die auf das Potenzial von Design, von guter Gestaltung setzt und also auf eine potentielle Gestaltbarkeit einer lebenswerten Zukunft. Eine Bewerbung, die zu einer neuen Bewegung finden will, getragen von Akteur:innen, die bereit sind, glaubhaft neue Möglichkeiten für Prozesse, Strukturen und also Atmosphären zu entwickeln, die ein Aufeinander-Zugehen, ein streitbares Miteinander im Hier und Jetzt ermöglichen. Ein Gestalten zum Erlangen von Mündigkeit sowie der Erleichterung, Erweiterung, Erhaltung und Intensivierung des Lebens und also einer freiheitlichen Demokratie. Und vielleicht hilft es dabei, diese unsere freiheitliche Demokratie, die Einheit zweier einst getrennter Systeme wie eine Bühne zu verstehen, als einen Ort, den Akteur:innen nicht ernsthaft verlassen können, weil sie dann nicht mehr mitspielen würden. Mitspielen aber heißt, teilzuhaben und eben mitzugestalten an guten Lösungen für die zahlreichen Probleme. Und wenn hier wiederum die Rede von Problemen ist, dann sollten uns diese nicht davon abhalten, uns genaue Vorstellungen von der Zukunft zu machen, ist es doch wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, auf das man hinwirken kann. Und deshalb gehört zu dieser Bewegung auch der Aufruf, (wieder) zu beginnen, Visionen, Utopien und entsprechende Narrative als Treiber und Kompass zu entwickeln und auszuarbeiten, die es dann gilt, im kleinen Maßstab zu testen, ihre Umsetzung zu begleiten und Rahmenbedingungen für ihre Verbreitung zu schaffen. Und zwar in allen wichtigen Bereichen des Zusammenlebens wie etwa Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Klima, Bildung, Medien, Energie oder Konsum.
»Design for Democracy. Atmospheres for a better life« stellt ein Versprechen in den Raum, das besagt, dass wir ein besseres Leben noch gar nicht erreicht haben. Ein Versprechen, das sich eindeutig an die Demokratie knüpft, die als Regierungsform das Versprechen der eigenen Verbesserungswürdigkeit in ihre Grundlage aufgenommen hat. Das besagte bessere Leben kann dabei nur eines sein, das auch nachfolgenden Generationen ein solches ermöglicht. Das sollte, ja das muss die Leitidee sein, wenn es um ein neues Gestalten geht. Die damit einhergehende Verantwortung ist eine, deren Basis, im Sinne Nietzsches, auf einem Eigen-Willen beruht, weil am eigenen Sein die Probleme erspürt werden können, und weil es bekanntlich glücklicher macht, schöne, gute Dinge zu tun. Es ist eine Verantwortung im erweiterten Sinne und also in Bezug auf eine andere Person, eine Gruppe oder diese unsere Gesellschaft mit dem Willen, ein Gestalten zu unterlassen, das eine existenzielle Gefährdung der Umwelt und unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft nach sich ziehen könnte. Lassen sie uns also diesen heutigen Tag und die Bewerbung der Region Frankfurt RheinMain zur World Design Capital 2026 zum Anlass nehmen, ein Signal in die gesamte Republik zu senden, eine Einladung zur aktiven Beteiligung an der Gestaltung unserer freiheitlichen Demokratie, auch als Vorbild und Hoffnung für all jene Menschen, denen diese genommen wurde, gerade genommen wird oder die nach ihr streben. Gestalten wir, wie wir leben wollen!«