Jakob Sturm - ein Frankfurter Vorausdenker
Quelle: Katrin Binner©

Impulse | Jakob Sturm

Neue Innenstädte? Oder welche Kultur für alle?

Über Kultur, Innenstadt und eine Kultur der Gemeinsamkeit

Angesichts des Strukturwandels im Einzelhandel, den die Corona-Pandemie wohl bestenfalls noch beschleunigt hat, wird allenthalben die Zukunft der Innenstädte diskutiert. Von öffentlicher Seite werden städtebauliche Förderprogramme gegen ihre Verödung aufgelegt. Doch rein investive Maßnahmen dürften zu kurz greifen. Was aber kann die Rolle und Bedeutung der Innenstadt für die Stadt der Zukunft und für ihre Bewohner*innen sein – jenseits eines Umschlagplatzes für Massenkonsumgüter, die bisher landauf, landab in den uniformen Tempeln des Konsums angeboten wurden und inzwischen einfacher und in größerer Auswahl und ohne relevante Abstriche der Inaugenscheinnahme im Internet bezogen werden können?

In der Tradition unserer Städte befinden sich in zentraler Lage auch unsere öffentlichen »Leuchttürme« der Kultur, die Museen, Theater, Kunsthallen. Doch scheinen diese – längst vor den Konsummeilen – die konkrete Bedeutung für unser Leben, zumindest für das der Mehrheit der Gesellschaft verloren zu haben. Die SPD hatte zuletzt auf einem Wahlplakat zur Kommunalwahl den in Frankfurt altbekannten Slogan »Kultur für alle« reaktiviert. Ja, bitte! Aber welche Kultur ist hier gemeint, welche Rolle in der Gesellschaft wird ihr zugewiesen, und wer sind eigentlich »alle«? Meint »alle« wirklich die gesamte Stadtgesellschaft in ihrer aktuellen Zusammensetzung? Und geht es bei der Veranstaltung Kultur noch um die zentralen Fragen, die uns wirklich alle beschäftigen und verbinden? Oder ist unsere Kultur längst ein Konsumgut mit zunehmendem Eventprofil, das, je nach Schicht und Bildungsstand, die Gesellschaft mehr oder weniger anspruchsvoll unterhält, oder sich, hochsubventioniert, als gehütetes Residuum unseres überkommenen Selbstbildes der Dynamik der digitalen Welt entzieht?

Unser Kulturbegriff kennt kaum mehr die Rolle der Kultur als gemeinsam zu gestaltender Grundlage des Zusammenlebens einer wie immer zusammengesetzten Gemeinschaft. Die Kultur muss nicht raus aus den Museen. Die Museen und sonstigen Kultureinrichtungen müssen sich, indem sie sich tatsächlich allen gesellschaftlichen Gruppen öffnen, auch den wichtigen Fragen der Gesellschaft insgesamt öffnen oder diese zumindest wieder identifizieren, damit Kultur ist, was sie sein sollte: deren Spiegel, ihre Repräsentanz und Ort zentraler Aushandlungsprozesse. Eine der zentral zur Diskussion stehenden Fragen ist dabei, gerade in Verbindung mit unserer zunehmend digitalisierten Welt, die Frage des Raumes. Virtuelle Welten suggerieren uns, dass dieser an Bedeutung verliert. Real tut er das nicht. Kulturelle und kreative, ja, Avantgarden in den großen Städten machen diesen seit geraumer Zeit zum Thema, indem sie sich neue Räume in Gebäuden, deren bisherige Nutzung nicht mehr besteht, vielfältig mit alternativen und neuen Konzepten erobern.

Wie können wir ein solches kreatives Neu-Denken von Raum fruchtbar machen für die Nutzung von Flächen, die sich jetzt durch Leerstand in den Innenstädten darbieten, damit Räume entstehen und, ganz nebenbei, die Kultur wieder den Bezug zu unserer Lebensrealität anknüpft? Natürlich spielt bezogen auf die aktuelle Debatte um die Innenstädte nicht zuletzt der ökonomische Aspekt eine bedeutsame Rolle. Aber wenn es uns gelingt, mit neuen Konzepten des Raumes zu experimentieren und Kultur in ihrer grundlegenden Bedeutung wieder in Verbindung mit den für unser Zusammenleben relevanten Themen – Wohnen, Kommunikation, Teilen, Tauschen, Wirtschaften, Umwelt etc. – zu verstehen, müssen wir uns womöglich um unsere Innenstädte nicht so große Sorgen machen …