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Scheine, die Wertschätzung ausdrücken (können)
Quelle: Hayko Spittel©

Wertschätzen und Mischfinanzieren

Haste mal fünf Euro – oder mehr?

Kultur experimentiert mit Solidarpreisen

Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Kultur feste Preise haben oder ob das Publikum entscheiden sollte, was ihm Kultur wert ist. Seit 2020 experimentiert der Frankfurter Mousonturm mit einem »Solidarischen Preissystem«. Andere haben schon länger Erfahrung damit; vor allem die Freie Szene. Ob sinnvoll oder nicht – dazu gibt es keine klare Antwort. Allerdings: Schaden scheint es zumindest nicht. 

Hayko Spittel ist Künstler. In Offenbach. »Künstlerpech« könnte man sagen. Doppeltes. Reich kann man nämlich in der Regel weder mit dem Ort noch mit der Profession werden. Zumindest nicht an Geld. Aus diesem Umstand hat der Maler mit Expertise in Druckgrafik eine eigene Kunstform gemacht. Spittel hat ein eigenes »Künstlernotgeld« entworfen und bringt es zum Wechselkurs eins zu eins zum Euro unter die Leute; wenn auch meist mehr im privaten Umfeld, wo der eine oder andere Schein auch schon mal zum Geschenk mutiert(e). Geld selbst drucken – das würden sich viele Kultureinrichtungen und Kulturschaffende wünschen. Wenn man damit bezahlen könnte …

Doch eigentlich hat Spittels Idee ja noch eine zweite Seite. Faktisch nämlich ist jeder Schein gleich wertig. Erst Käufer oder Käuferin entscheiden, was er und damit die Arbeit des Künstlers ihm oder ihr wert ist. Eine Idee, die in Corona-Zeiten auch das Künstler*innenhaus Mousonturm aufgegriffen hat. »Solidarisches Preissystem« nennt man es am Turm seither. Besucher*innen entscheiden selbst, ob ihnen eine Aufführung 7 (anfangs 5), 11, 20 oder 35 Euro wert ist. Wie viel sie also zahlen wollen – oder auch gerade können. Dezent weißt das Haus noch kurz darauf hin, dass »20« der reguläre Preis wäre. Anfangs, so Intendant Marcus Dross, sei es eine Referenz an die vielen von der Corona-Zeit gebeutelten Menschen gewesen. Schlechte Erfahrungen, so Dross, habe man nicht gemacht. Der Durchschnittspreis sei mit Schwankungen recht gleich geblieben zu dem, was man vorher pro Besucher*in im Schnitt einnahm. Allerdings – das gibt er offen zu – seien Ticketeinnahmen bei Besucher*innenzahlen im gehobenen zweistelligen Bereich bei vielen Aufführungen für ein Haus wie den Mousonturm eben auch nicht der wichtigste Faktor. Die großen Batzen im Etat sind die städtische Finanzierung sowie – immer wichtiger – eingeworbene Gelder aus der Förderlandschaft. Beide Posten machen im Mousonturm gut 90 Prozent des Budgets aus. Ticketeinnahmen steuern also lediglich Beträge im einstelligen Prozentbereich bei. Gerade deshalb sieht Dross dieses Solidarische Ticketing auch weiter als Zeichen in die Gesellschaft hinein, um die Besucher*innen sozusagen mitzunehmen und einzubeziehen bei den Preisen. Auch ein Stück Publikumsbindung …

Solidarische Preissysteme also als Modell einer Kultur für alle und gleichsam ein solches für die Zukunft? Gerade dann, wenn in vielen Häusern Ticketeinnahmen ohnehin nur noch ein oft kleiner Teil des Budgets sind und mehr Spielraum da vielleicht sogar gerechter wäre und auch neues Publikum in die Häuser bringen würde? Nun ja, neu ist der Gedanke ja ohnehin nicht. In der Freien Szene ist er schon lange verbreitet. Bei kleinen Poetry Slams, Lesungen oder Konzerten ist es nicht unüblich, dass hinterher »der Hut« rumgeht und neben CD- oder Buchverkäufen auch so noch ein paar Euro »hängenbleiben«. Viel Erfahrung mit dem »Alternativen Ticketing« haben zwei große sommerliche Akteure in Frankfurt. Die Festivals Sommerwerft und Stoffel spielen ohne Eintritt, lassen hinterher rote Eimer oder Fischernetze kursieren. Ergebnis: Es kommt einiges zusammen. Doch auch bei ihnen ist das längst nicht mehr der einzige Posten. »Mischfinanzierung« gilt auch hier; auch wenn Publikumseinnahmen eine größere Rolle spielen. Doch ohne Sponsoren- und Fördergelder kämen sie nicht mehr über die Runden, sagen die Veranstalter. Zumal es ohnehin nur ein vages Über-die-Runden-Kommen sei. Gewinne, etwa für den Regelbetrieb der Stoffelaner*innen in der heimischen Stalburg, fielen nicht ab. Die Festivalmacher*innen verweisen aber auch auf eine Besonderheit: Obwohl beide Festivals über die Jahre immer mehr Besucher*innen haben (nicht selten mehrere Tausende an schönen Abenden), wächst der Zufluss nicht in gleichem Maße. Im Schnitt sinke er wohl sogar. Ob es an anderen, immer neuen Attraktionen liege (denen die Besucher*innen dann erst mal wieder mehr gäben), an der Gewöhnung (welche die Großzügigkeit ablöst) oder daran, dass mit mehr Menschen auch überproportional mehr Leute kämen, die wenig oder nichts geben (obwohl sie es könnten) – niemand weiß es zu sagen. Wenn dies stimmt, wäre es kein gutes Zeichen für den Mousonturm und andere Nachahmer*innen. Auch das Darmstädter Staatstheater hatte beispielsweise in Corona-Zeiten mal mit Solidarpreisen für ausgewählte Darbietungen experimentiert. Allerdings hat das Haus das Ganze mittlerweile offenbar wieder weitgehend eingestellt.

Hayko Spittel hingegen bietet sein »Notgeld« auch weiter an; wenn auch meist eher beiläufig. In gewisser Weise ist es für Künstler*innen wie ihn ohnehin auch nur ein weiteres Kunstwerk unter den vielen, die sie so im Laufe ihres Lebens schaffen. Und für die sie es ohnehin gewohnt sind, Preise mehr oder minder frei auszuhandeln. Immerhin: Spittel ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass auch freie Kulturschaffende mittlerweile künstlerische Mischkalkulation kennen. Seit 2017 arbeitet er auch an einer Schule als Kunstlehrer – die »Freie(n-) Form« der institutionellen Kunstförderung sozusagen. Eine, die mittlerweile ohnehin recht verbreitet ist unter Künstler*innen. Denn vom Notgeld ist auch Spittel nicht reich geworden. Wie auch? Am Besten, so Spittel, gehe der »Fünfer«. Nun ja: Für gute Antworten zum Solidarsystem bedarf es wohl doch eher größer angelegter Experimente als diejenigen in Frankfurt und Offenbach. Immerhin eines lässt sich sagen: Zu schaden scheint es nicht – und es öffnet immerhin auch manchen den Zugang zur Kunst, die ihn sich sonst eher vom Munde absparen müssten … (vss.).