Ein Brief aus Berlin

Wildwuchs wird eingehegt

Hyper-Urbanes statt Brache und Kultur

Es ist ein Ort mit Berliner Historie: lange Jahre eine Brache, dann zeitweise für Kunstfestivals genutzt und seit 2005 wiederum eine Art Parkanlage im Herzen der Stadt. Doch nun gibt es neue Pläne für die nordwestlich des ULAP-Parks gelegenen 32.000 Quadratmeter Fläche: das »ULAP-Quartier« soll entstehen, begrenzt von Invalidenstraße, der Straße Alt Moabit, der Emma-Herwegh-Straße und dem Bahnviadukt. Und ja: Grün soll es auch wieder werden. Und von Kultur ist ebenfalls die Rede. Aber beides anders, sorgsam eingehegt – und trendig »hyper-urban«. Eine Begehung mit Marc Peschke. 

Das Konzept des neuen Quartiers versteht sich gleichermaßen als traditionell wie innovativ. Eine hohe Aufenthaltsqualität solle der Ort behalten, der schon ein sehr besonderer ist: Denn das Business-Quartier mit seinen Hochhäusern trifft hier in Moabit – in der Nähe des Hautbahnhofs und des Regierungsviertels – auf ganz andere, nachbarschaftliche Kiez-Strukturen der zwischen 1976 und 1981 gebauten Heinrich-Zille-Siedlung. Eine reizvolle Aufgabe für die Planer des Berliner Büros ISSS Research Architecture Urbanism, die gemeinsam mit dem Büro Bauchplan aus München und Wien den vom Land Berlin ausgelobten Wettbewerb für sich entscheiden konnten. Das Land tritt auch als Entwickler des Projekts auf. Vernetzung mit dem Bestehenden, mit den öffentlichen Räumen der Umgebung, ist gewünscht. Freiräume sollen geschaffen werden. Offene Gebäudestrukturen sollen für Frischluftzirkulation, natürliche Kühleffekte und ein positives Stadtklima sorgen. Ein neuer »Stadtbaustein im Herzen Berlins« solle der Ort werden. Was die Planung jetzt schon zeigt, ist eine auffällige, gestaffelte, nach Norden abfallende Skyline, sind grüne Terrassenlandschaften und differenzierte Raumabfolgen, die sich in den urbanen Kontext einfügen. »Hyper-urban und nachbarschaftlich« werde es hier zugehen, »zukunftsweisend und lebendig«, lassen die Planer und Planerinnen von ISSS verlautbaren, die auch den denkmalgeschützten Theatersaal der alten Berliner Urania aus dem Jahr 1889 in das neue Quartier einbeziehen wollen.

Urban, grün und viel Kultur – So möchten die Quartiersentwickler und -vermarkter die Zukunft des kleinen Viertels in ihrem »Sprech« gerne durchschimmern lassen. Was ein wenig kurios anmutet. Denn genau so könnte man auch das heterogene Terrain mit seiner Mischung aus Park, Brache und aufgegebenen Gebäuden hier im Herzen der Stadt bisher schon beschreiben. Die Fläche ist nämlich ein Ort mit Geschichte: »ULAP«, der ehemalige »Universum Landes-Ausstellungs-Park« in Moabit, hat eine lange Tradition als urbaner Park, durch den von Anfang an auch die Berliner Stadtbahn führte. Schon im frühen 18. Jahrhundert wurde hier von hugenottischen Familien Gartenbau und Seidenraupenzucht betrieben. 1868 wurde der Lehrter Bahnhof eröffnet, der das Gelände nach Süden abschloss. 1882 folgte die Betriebsaufnahme der Stadtbahn. Ein Ausstellungspalast entstand, in dem unter anderem jährlich die »Große Berliner Kunstausstellung« zu sehen war. 1922 eröffnete im nordwestlichen Teil des Geländes ein Vergnügungspark. Gut, später exerzierte hier die SA auf dem Gelände. Die Nazis folterten politische Gegner und richteten ein Luftfahrtmuseum ein. Doch in den 1960er Jahren wurden fast alle von Kriegsschäden gezeichneten Reste dieses ULAP gesprengt. Nachkriegsbauten entstanden, wie das ehemalige Stammhaus des Berliner Landeslabors, das nun seinerseits wieder abgerissen werden soll. Doch bis auf die kurze Zeit des Nationalsozialismus hat das Gelände eben schon eine Tradition von Grün und Kultur als ein Biotop in vielerlei Hinsicht. Zwei Farben, die nun aber zumindest sorgsam eingehegt werden sollen …

Das Konzept klingt modern, aber auch sehr trendy, einschließlich jener grünen und kulturellen Beigaben. Ein Nutzungsmix wird angestrebt: Raum für Büro und Verwaltung soll entstehen, aber auch ein Standort für die Polizei und Flächen für Wohnen, Schule, Einzelhandel und Gewerbe. Im Zentrum des Quartiers werden zwei bis zu 101 Meter hohe Bürotürme für Polizei und Justizverwaltung stehen. Weitere, kleinere Wohntürme sind geplant. Was das Wohnen betrifft, ist die Sache ein wenig diffizil, denn Straßenverkehr und die Bahnstrecke belasten das Areal mit Lärm: eine nicht ganz einfache Herausforderung, die gemeistert werden will. In gewisser Weise ist das ganze Projekt auch ein Sinnbild für die heterogene Architektur in Berlin: Gelegen zwischen der modernen Europacity und dem zum Teil noch gründerzeitlichen Alt-Moabit, will man hier, perfekt an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, irgendwie diese beiden Stile verbinden und zugleich Raum für Innovation schaffen, aber eben auch Aufenthaltsqualität an einem zentralen Ort der Stadt. Zehn Jahre wird es wohl noch dauern, bis das neue ULAP-Quartier Realität wird. Damit alles reibungslos verläuft, sind Abstimmungen mit der Deutschen Bahn und der Berliner Verkehrsgesellschaft erforderlich, denen Gleisanlagen und Flächen unter der Hochbahnstrecke auf dem Areal gehören. Hier könnten sich – auch aus Sicherheitsgründen – Schwierigkeiten ergeben. Und auch die Denkmalpflege ist ein Thema, aber auch die spezifische politische Geschichte des Areals. Dieser Geschichte zu gedenken, an sie zu erinnern, könnte und sollte auch eine Aufgabe innerhalb der Planung sein. Und vielleicht eines sollte man bei aller Planung auch nicht vergessen: Etwas Eigenleben sollte hier hoffentlich auch entstehen – das Gelände hat viel Erfahrung damit … (mpe.).