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Quelle: Deutsche Botschaft Kiew©

Leitartikel | Putins Krieg

Mehr Mut, mutig zu sein

... und Menschen nicht unterschätzen

Es gibt in der Politik ein geflügeltes Wort: Politik müsse »die Menschen mitnehmen«. Wer sich aktuell jedoch Weltgeschehen und deutsche Politik anschaut, ist versucht, dieses politische Diktum umzudrehen und sich zu wünschen, dass »die Menschen« es hierzulande schafften, ihre Politiker*innen mitzunehmen. Schon während der beiden Corona-Jahre hat sich immer wieder gezeigt, dass viele Bürger*innen in diesem Land bereit waren, weiter zu gehen als ihre Regierung(en) meinte(n), ihnen zumuten zu können. Immer wieder legten Umfragen – jene der großen Institute als auch jene in der »empirischen Kleingruppe« der Freunde und Bekannten – nahe, dass Bürgerinnen und Bürger mutiger waren, harte Maßnahmen zu tragen. Auch bei Putins Überfall auf die Ukraine scheinen die Menschen einmal mehr weiter zu sein als ihre Regierenden. Zigtausende zeigen Solidarität, Zigtausende gehen auf die Straße(n). Sie spüren, dass es Zeit ist, dem Aggressor die Stirn zu zeigen. Sie spüren, dass es nicht reicht, Konten zu sperren und in kleinen Dosen Waffen zu liefern (die Anfangsidee, ein paar Helme zu schicken, hätte sich keine Karikaturistin besser einfallen lassen können). Sie spüren, dass Ukrainer und Ukrainerinnen nicht nur ihr Land verteidigen. Sie spüren, dass Betroffenheit und Solidaritätsbekundungen nicht ausreichen. Sie spüren, dass man die Menschen in Kyiv, in Charkiw, in Odessa nicht alleine kämpfen lassen kann, dass warme Öfen und eine wie geschmiert laufende Wirtschaft hierzulande keine alles überstrahlenden Argumente sein können. Sie spüren, dass es in diesen Tagen nicht zu viel verlangt ist, die Heizung etwas herunterzudrehen, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, mit ein paar Euro mehr am Tag Abhängigkeiten zu verringern (das Geld für die, die dies wirklich nicht tragen können, dürfte in einem Land wie diesem da sein). Sie wissen, dass man den Menschen in der Ukraine beistehen muss. Um der Menschen willen. Aber auch, weil es diesmal auch noch um mehr geht. Sie wissen, dass die Menschen in der Ukraine das freie Europa verteidigen. Sie wissen, dass die Menschen in der Ukraine in Bunkern übernachten, mit Raketen leben, mit der Waffe in der Hand kämpfen. Sie sind bereit, diesen Menschen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen – auch, wenn dies eigene, ganz sicher erst einmal kleine Opfer mit abverlangt. Man ist versucht, Regierenden zuzurufen: Regierende, sehet und höret die Signale – und höret auf, Eure eigenen Bürger*innen zu unterschätzen. Wann, wenn nicht jetzt, wäre es auch an der Zeit, Ansprüche und Lebensweisen zu hinterfragen und dabei auch wirklich etwas zu ändern und zu verändern. Die Klimakrise hat es nicht bewirkt, eine weltweite Pandemie auch nicht. Wenn es auch dieser Krieg nicht bewirkt, was dann … (vss.)?