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Buch des Monats | Juli

Teppich und Pritsche statt Couch

Stefan Orths Couchsurfing im Iran

Wie macht man Couchsurfing in einem Land, in dem es das eigentlich gar nicht gibt? Stefan Orth hat ganz privat den Iran bereist. Ein Land, dessen Menschen zwar zu den herzlichsten der Welt gehören, dessen Regime aber immer noch sehr genau über die Menschen zu wachen versucht. Seine Reise glich mithin einer Undercover-Mission. Viele private Gastgeber bekamen Fantasienamen. Nur die Geschichten sind echt. Geschichten von Pritschen und Teppichen statt Betten und Sofas. Und überraschende Geschichten von Bikini-Parties oder Schmugglerbussen (vss.).

An der Grenze

Im Polizeirevier

Wenn du Schiss hast, so richtig Schiss, wenn du denkst, jetzt geht’s dir an den Kragen, dann nimmst du plötzlich alles in doppelter Schärfe wahr. Das Gehirn schaltet in den Alarmmodus, in dem nur das Hier und Jetzt zählt. Für Dinge, die nichts damit zu tun haben, ist kein Platz mehr. Bei mir zeigt sich das daran, dass mir auf die Frage des Polizisten meine Postleitzahl nicht mehr einfällt.

Ich sitze in einem Verhörzimmer der iranischen Polizei. Die Einrichtung besteht aus einem großen Schreibtisch mit Samsung-Computer, einem flachen Glastisch in der Mitte und sieben Sesseln, deren braune Lederbezüge noch in Plastikfolie eingehüllt sind. Eine schmale Tür führt zum Eingangsbereich, eine andere zu einem Gang mit weiteren Bürotüren. Die hellgrüne Wand ist mit dem Landesemblem verziert, vier Mondsicheln und ein Schwert, daneben hängt golden gerahmt das obligatorische Diktatoren-Doppelporträt. Khomeini blickt finster drein wie immer, Chamenei dagegen grinst breit, noch nie habe ich ihn so lächeln sehen. Vielleicht ist er an Orten wie diesem besonders in seinem Element.

»Vor zwei Jahren wurden hier zwei Spione verhaftet«, sagt Yasmin, meine Begleiterin. »Die sind immer noch im Gefängnis in Teheran.«

»Was haben sie denn gemacht?«

»Weiß ich nicht.« Aber im Iran ist es ein Kinderspiel, in Spionageverdacht zu geraten. Ein paar Erinnerungsfotos von Flughäfen oder Regierungsgebäuden reichen da schon.

Oder der Umstand, dass man sich in der Nähe der Grenze zum Irak aufhält. Wir befinden uns in Nowsud im iranischen Kurdistan; nur zehn Kilometer sind es von hier bis ins Nachbarland.

»Wir haben den Hinweis bekommen, dass sich Ausländer hier aufhalten«, sagt einer der beiden Beamten. Er trägt eine kurdische Pumphose und ein khakifarbenes Hemd. »Eigentlich haben wir heute frei«, fügt er hinzu, um die fehlende Polizeiuniform zu erklären. Bulliges Gesicht, muskulöse Oberarme. Er scheint viel Zeit an Kraftgeräten im Fitnessstudio zu verbringen. Sein Kollege in Rosa dagegen wirkt sanfter, wohlwollender, er hat einen Bauchansatz unter dem breiten Gürteltuch und erweckt den Eindruck, als sei ihm die ganze Sache selbst unangenehm. »Bad cop« und »good cop«, die Rollen sind eindeutig verteilt.

Meine Postleitzahl?

Ich nenne vor lauter Angst eine falsche.

Der »good cop« fragt, ob wir Tee möchten, im Iran gibt es immer Tee. Kurz darauf bringt ein junger Mann in Militäruniform ein Tablett herein. Beim Trinken merke ich, dass meine Hand zittert, dabei wäre es jetzt wirklich besser, keine Nervosität zu zeigen.

»Guck lieber noch mal, ob du nicht doch deinen Pass findest«, sagt Yasmin. Vorher hatte ich nur eine Kopie gezeigt und behauptet, der Ausweis sei im Hotel. In Wirklichkeit habe ich seit Wochen keine Nacht in einem Hotel verbracht.

Ich wühle angemessen lange in diversen Rucksackfächern und fördere mit gespielter Überraschung das verlangte Dokument zutage. Ein Mitarbeiter im Anzug kommt durch die hintere Tür herein und nimmt den Pass mit in den Nebenraum.

»Er macht Kopien und ruft die Einreisebehörde an, ob alles in Ordnung ist«, erklärt Yasmin.

Weiter mit dem Verhör. Handynummer? Familienstand? Name des Vaters?

Der Khakimann hält meine Daten auf einem DIN-A4-Blatt mit Durchschlag fest, Typ Pelikan Handicopy 303H. Yasmin übersetzt die Fragen und Antworten.

Beruf?

»Er ist Student«, lügt sie, ohne mich zu konsultieren. Beim Visumsantrag hatte ich noch »Website Editor« angegeben, das ist näher an der Wahrheit.

Wie alt?

»34.«

»Was studierst du?«, übersetzt sie eine Nachfrage.

»Englische und amerikanische Literatur«, sage ich. Das war vor acht Jahren, das anschließende Journalismusstudium erwähne ich nicht.

Was machen Sie hier?

Wie ist euer Verhältnis?

»Er ist ein Freund meiner Familie. Er macht Urlaub hier«, sagt Yasmin.

Ein Soldat holt unser Gepäck von draußen aus dem Taxikofferraum und lehnt die Sachen an den Glastisch in der Mitte.

»Alles auspacken«, verlangt der Khakimann.

Staatsführer Chamenei scheint noch etwas breiter von seiner Wand zu grinsen. Gute Zähne für sein Alter, er ist über siebzig. Während ich die ersten Klamottentüten herausziehe und ein Handtuch, das nach nassem Hund riecht, gehe ich in Gedanken alles durch, was ich dabeihabe.

Reiseführer und Iran-Bücher? Nichts Kritisches im Gepäck, das einzige verbotene Buch, »Persepolis« von Marjane Satrapi, habe ich in Teheran gelassen. Zum Glück habe ich kein deutsches Nachrich­tenmagazin dabei und keine Illustrierte, in der unverschleierte Frauen zu sehen sind.

Drogen, Alkohol, Schweinefleisch? Nicht vorhanden.

Die Notizbücher? Sehr verdächtig. Ich habe schon zweieinhalb Moleskine-Kladden vollgeschrieben. Auf der jeweils ersten Seite steht unübersehbar »Iran 1«, »Iran 2« und »Iran 3«.

Presseausweis? In der Geldbörse. Ich Idiot, den hätte ich zu Hause lassen sollen.

Die Kamera? Da wird es heikel. Militäranlagen, ein Atomkraftwerk, Mädchen ohne Schleier, Alkoholpartys, alles dabei. Ich könnte sogar ein paar meiner Freunde in Gefahr bringen damit. Wenigstens sind einige besonders brisante Bilder auf einer Speicherkarte, die sich nicht in der Kamera befindet, sondern etwas versteckt in der Fototasche.

Erstes Interesse erregt der Kulturbeutel mit meiner Reiseapotheke. Der Beamte in Pumphose schaut sich jede Tablettenpackung genau an. Imodium, GeloMyrtol, Aspirin, Paracetamol, Iberogast, Umckaloabo. Ein Drogenschmuggler bin ich offensichtlich nicht. Dann mein Netbook: einmal anschalten, auf dem Desktop findet er keine verdächtigen Ordner, ist alles mit unverfänglichen Dateinamen getarnt. Ich darf wieder ausschalten. Interessiert dreht und wendet er den E-Book-Reader, lässt ihn ungeschickt auf den Boden fallen, entschuldigt sich, dann schmökert er ein bisschen im »Dumont-Kunst-Reiseführer Iran«. Sehr touristisch, sehr harmlos, sehr gut.

Er findet einen Notizblock, einen iranischen allerdings, den mir ein Gastgeber geschenkt hat. »In the name of god, presented to Mr Stephan during his travel to Lorestan Province, 3.2.1393.« Der Polizist blättert alle Seiten durch: nach der Widmung vorn nur leeres Papier, ein besseres Geschenk habe ich nie bekommen. Zum Glück findet der Kerl die anderen Notizbücher nicht, die zwischen ein paar Eintrittskarten und Rechnungen verborgen sind.

Fertig. Alles wieder einpacken. Ich muss mich beherrschen, nicht tief durchzuatmen. Wäre auch deshalb nicht so klug, weil das Verhörzimmer unverkennbar nach feuchtem Handtuch riecht. Ich zurre die Rucksackgurte fest, setze mich wieder auf den Plastikfolienstuhl und greife nach meinem Teeglas. Die Hand zittert nicht mehr.

»Und jetzt zeigen Sie mal Ihre Kamera«, sagt der Khakimann, und hinter ihm an der Wand lacht Chamenei in seinen ­Riesenbart. Er lacht und lacht und hört gar nicht mehr auf damit.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.