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Ausschnitt Buchcover
Quelle: Blessing©

Buch des Monats | März

Mutter und Tochter, Krieg und Migration

»Weine nicht« - Ein Stück europäischer Geschichte

In »Weine nicht« (Originaltitel: »Ne pas pleurer«) erzählt Lydie Salvayre von einem in Deutschland weitgehend unbekannten Kapitel der europäischen Geschichte: von der Revolution in Spanien ab Sommer 1936. Sie schildert die Zeit am Schicksal ihrer Mutter Montse, die damals 15 Jahre alt war und von ihrem kaum älteren Bruder in der Euphorie der linken Revolutionäre dieser Zeit mitgerissen wurde. Montse stammte aus einer armen katalanischen Familie, wollte sich aber nicht wie ihre Eltern in ihr Schicksal fügen und die herablassenden Bemerkungen der reichen Großgrundbesitzer hinnehmen.

Der Roman, der 2014 in Frankreich mit dem wichtigsten Literaturpreis – dem Goncourt – ausgezeichnet wurde, schildert das Grauen des Bürgerkriegs. Salvayre stellt dem Leben Montses die Berichte des französischen Schriftstellers Georges Bernanos gegenüber, der von Mallorca aus das Kriegsgeschehen beobachtete. Franco-Anhänger ermorden – von der katholischen Kirche weitgehend geduldet – politisch wenig interessierte Bauern, die verschiedenen linken Gruppen zerfleischen sich derweil gegenseitig. Am Ende ihres Lebens wollte (oder konnte) sich die Mutter nur noch an glückliche Zeiten erinnern – nämlich an die Aufbruchstimmung in jenem Sommer 1936, als die Revolution in Spanien so hoffnungsfroh begann.

Lydie Salvayre hat sich die meiste Zeit ihres Lebens für ihre Mutter geschämt, die später – auf der Flucht vor der Franco-Diktatur – nach Frankreich gegangen ist, aber nie richtig Französisch gelernt, sondern immer eine Art Kauderwelsch gesprochen hat. In der deutschen Ausgabe sind die spanischen Originaltexte im Anhang übersetzt. Im Titel »Weine nicht« übernimmt Salvayre das unausgesprochene Lebensmotto der Mutter, der Roman ist eine Art späte Versöhnung der 1948 geborenen Autorin. Eine Versöhnung mit der Mutter und eine Versöhnung mit der eigenen Geschichte, der des Flüchtlingskindes, das sein wollte wie alle anderen und sich deshalb lange nicht für die Geschichte der Eltern interessiert hat (lys.).