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Nico Semsrott - ein (chronisch Un-) Glöcklicher mit Glocke
Quelle: 3sat©

Im Netz | Deutscher Kleinkunstpreis

Die »Glöcklichen« vom unterhaus

Große Kleinkunst von Konstantin Wecker bis Hazel Brugger

Man kann es sich kaum mehr vorstellen. Aber in Deutschland gab es mal sehr karge und dunkle Zeiten für Kabarettisten. Kleine Bühnen mit einer »Handvoll Publikum« und kaum bis gar keine TV-Übertragungen (wohl zu gefährlich für die damals noch konkurrenzlosen öffentlich-rechtlichen Sender). So kam es Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, dass »Ce-eff« Krüger, Mitgründer und Chef der noch jungen Mainzer Kleinkunstbühne »unterhaus«, mal wieder grübelte, »wie man der Kleinkunst auf die Sprünge helfen und Mainz nebenbei von seinem Helau-Komplex befreien könnte«. In einer seiner darob zahllosen schlaflosen Nächte kam ihm die Eingebung. »Ein Preis musste her, einer für die Traumtänzer ohne Seil und Bogen, ohne Lob und Lobby«. Gesagt, getan. Doch wie? Krüger über Krüger: »Da fiel ihm eines Nachts die Glocke auf den Kopf«. »Die Glocke«, das war das Maskottchen des Hauses, einst von Altmeister Hanns Dieter Hüsch gestiftet. Und da Krüger selbst nicht auf diesen Kopf gefallen war, notierte er fix: »Dies ist die Geburtsstunde des Deutschen Kleinkunstpreises«. Und die Glocke wurde zum Preis für die »Glöcklichen« der deutschen Kleinkunst.

Seither sind viereinhalb Jahrzehnte vergangen, der Preis ist zum deutschen »Oscar« der Kleinkunst geworden und fast 200 »Glöckliche« wurden gekürt. Die Liste liest sich wie ein »Who is who« des Genres in allen seinen Facetten. Hanns Dieter Hüsch (natürlich), Dieter Hildebrandt, Konstantin Wecker, Mathias Richling, Wolf Biermann, Lisa Fitz, Urban Priol, Volker Pispers, Sissy Perlinger, Loriot, Martina Schwarzmann und sogar Gert Fröbe stehen in den Annalen der mittlerweile fünf jährlichen Kategorien. Viele davon hatten noch gar keinen Namen, als sie den Preis erhielten. Das ist in Zeiten boomenden Kabaretts und zahlreicher TV-Übertragungen mittlerweile seltener geworden. Doch auch im Jahre 2017 sind noch Perlen zu entdecken mit dem chronisch depressiven Poetry Slamer Nico Semsrott (»Geburtsdatum 11.03.1986 – der Tag von Fukushima und das Jahr von Tschernobyl«) und vor allem mit der jungen Schweizerin Hazel Brugger (unser öffentlicher Geheimtipp), die den Unterschied zwischen Kabarett und psychischer Störung so definiert: das eine finde vor Publikum statt, das andere ohne. Wahrlich kein Unbekannter ist hingegen der Ehrenpreisträger 2017, Konstantin Wecker. Er sorgte mit seinen ernst-engagierten Liedern sogar für stille Momente im Publikum. Bestes Zeichen übrigens dafür, dass man in der obersten Etage der kleinen Kunst war – und sich nicht in einem Comedy-Programm verirrt hatte … (vss.).