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Arbeit des israelischen Friedensaktivisten und Graffiti-Künstlers Kis-Lev
Quelle: Foto: Psychology Forever / CC-BY-SA-4.0 (Details: s.u.)©

To link | Neue Zürcher Zeitung

Piña Colada und Politikbewusstsein

Tel Aviv bis Ramallah: Die neue palästinensische Jugend

In der jungen palästinensischen Szene in Ramallah, Haifa und Tel Aviv echauffiert man sich gerade sehr über einen Artikel, der in der New York Times erschienen ist. Eigentlich sollte es ja ein wohlwollendes, gut gemeintes Feature über eine hippe, moderne und coole, neue palästinensische Jugend gewesen sein, fernab von Messerstechern und Politik. Und vieles in dem Artikel war nicht falsch. Es gibt sie, die junge, coole, hippe und teils homosexuelle »Szene«, der Diskos, Piña Coladas und spacige Kunst zum Alltag geworden ist. Und sie ist auch nicht klein. Doch der letzte Zungenschlag kam nicht gut an. Denn unpolitisch sieht sich ein guter Teil dieser Jugend nicht. Und deshalb laufen sie auch gegen eine zweite, feine Nuance Sturm. Nämlich dass diese coole, moderne, libertäre Kultur, die sie da lebten, eine westliche, ja gar von Israels Gnaden bestimmte sei …

Vor diesem Hintergrund hat sich der NZZ-Nahostredakteur Ulrich Schmid aufgemacht in jene Szene von Tel Aviv bis Ramallah und hat ein üppiges, beindruckendes wie differenziertes Porträt dieser Jugend mitgebracht. Er traf in Tel Aviv die Hebräisch sprechende, junge palästinensische Studentin Anwar, die in einer Bank jobbt, Arabisch-Unterricht gibt, sich mit schwulen und lesbischen Freunden trifft und ihre jüdischen Kumpel zu ihren Eltern mitbringt. Und die Araber und Juden als ein Paar sieht, »das sich niemals scheiden lassen werde«, und die deshalb tagtäglich das Zusammenleben lebt, nicht ohne immer wieder ihre Wurzeln zu betonen. Er trifft Ayed und Muhammad, die in der hippen Szene von Haifa abhängen und ebenfalls jüdische Freunde haben – aber sich vehement dagegen wehren, für unreflektierte Artikel über die schöne und unpolitische Koexistenz herzuhalten. »Besatzung« bleibt »Besatzung«. Und westlich liberal? Da erinnern dann auch die doch so Unpolitischen mal gerne an arabische Blütezeiten und daran, dass die vorislamistischen palästinensischen Bewegungen links und liberal waren.

Doch Schmid erlebt nicht nur die arabisch-palästinensische Jugend in Israel so. Kaum anders ist die Szene im Schmelztiegel Ramallah, wo eine (sehr) reiche, eine säkulare, aber auch eine islamistische Welt und viele UN-Mitarbeiter aufeinandertreffen. Schmid schaut ins Szeneviertel Masjun, wo man sich im »Garage« oder im »La Vie Café« trifft – Junge, Intellektuelle, Künstler, Lesben, Bisexuelle und viele(s) andere. Er beschreibt eine Welt, die hier cool und widersprüchlich ist, aber auch hochpolitisch. Die sich Freiheit(en) erkämpft und erkämpfen muss. Wo schwul und lesbisch sein aber auch noch immer riskant ist, Meinung sagen auch. Er trifft dort Menschen wie Ghada und Yazid, die verändern wollen – hin zu mehr Politik und zugleich zu mehr Piña Colada, vereinfacht gesprochen. Und deren Idol nicht von ungefähr der Theatermacher Juliano Mer Khamis ist. Der von sich behauptete, zu 100 Prozent Palästinenser und zu 100 Prozent Jude zu sein. Und dafür vor genau fünf Jahren von einem Attentäter mit fünf Kugeln getötet wurde. Ob Tel Aviv oder Ramallah – cool und politisch sind hier keine Gegensätze. Und als eins betrachten sich die Palästinenser hüben wie drüben sowieso (hak.).