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Ausschnitt Buchcover
Quelle: Rowohlt©

Buch des Jahres | 2018

Das Pro-Down-Syndrom-Kind-Buch

Sandra Schulz' Geschichte einer Entscheidung aus Liebe

In Frankreich hat eine junge Frau mit Down-Syndrom den Wetterbericht im Fernsehen präsentiert. In Frankreich liegt die Zahl der Abtreibungen wegen »Trisomie 21«, so der medizinisch korrekte Name, bei 77 Prozent. Und da immer mehr Mütter immer später schwanger werden, steigt das Risiko für Trisomie 21 zunehmend. Doch immer öfter wissen die Frauen auch schon vor der Geburt Bescheid. Wird es also bald keine Kinder mit Down-Syndrom mehr geben?

Nach dem »Spiegel«-Artikel »33 Millimeter Mensch«, in dem die Journalistin Sandra Schulz (39) über ihre erste Schwangerschaft schrieb, musste ich ihr Buch einfach kaufen. Ich wollte lesen, wie es weitergeht und was die werdende Mutter der kleinen Marja zu sagen hat. In der 13. Schwangerschaftswoche zeigt eine Blutuntersuchung »kein komplett unauffälliges Ergebnis«. Es folgt eine nicht enden wollende Odyssee von einem Spezialisten zum anderen, von der Psychologin zur Beratungsstelle – gespickt von grausamen Kommentaren von Ärzten. Einer ist der Titel des Buches »Das ganze Kind hat so viele Fehler«. Andere sind noch drastischer, noch brutaler, denn beim Ungeborenen werden nicht nur Trisomie 21, sondern auch ein Herzfehler und ein Wasserkopf diagnostiziert.

Die Stärke dieses Berichtes der werdenden Mutter liegt darin, dass sie ihre eigenen Zweifel, ihr Leid und ihre Wut so ehrlich wie möglich preisgibt. Die Reporterin, die jahrelang im Ausland unterwegs war und eine Fernbeziehung führte, kann sich ein Leben mit einem behinderten Kind zunächst kaum für sich selbst vorstellen. Geradezu trotzig aber ringt sie sich durch. Je mehr medizinische Probleme aufkommen, je mehr ihr die Ärzte und auch ihre Eltern dazu raten, das Kind nicht zu bekommen, desto stärker wird der Wille der Autorin, sich für ihre behinderte Tochter zu entscheiden …

Wie schwierig dieser Prozess ist – trotz oder gerade wegen der modernen Pränataldiagnostik, deren Grenzen das Buch gut aufzeigt -, erlebt der Leser hautnah mit. Und er erfährt – zusammen mit Sandra Schulz -, welche verborgenen Schätze in behinderten Kindern und ihren Familien stecken. Sie haben es schwerer. Aber im Buch wie im wirklichen Leben sind sie dadurch auch anders und reicher. Der achtjährige Down-Junge Paul hat gegen Ende des Buches ein Geschenk für die fast zweijährige Marja ausgesucht: einen Bären, der singt und tanzt. »Von Experten für Experten«, sagt Pauls Mutter – und Marjas Mama und Papa tanzen dann tatsächlich zusammen mit der Tochter morgens um acht im Kinderzimmer zur Musik des Bären. Ein Expertengeschenk (lys.).