Das Buch | Frankreich
La France – oben und unten
Leïla Slimanis »Dann schlaf auch du«
Das Grauen ist von Anfang an präsent: »Adam ist tot. Mila wird ihren Verletzungen erliegen«. In Leïla Slimanis »Dann schlaf auch du« (frz.: »Chanson douce«) hat die Tagesmutter die beiden Kinder umgebracht. Der Roman – der versucht, den doppelten Kindsmord zu ergründen – wurde 2016 mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, ausgezeichnet – und hat überhaupt in Frankreich viel Aufsehen erregt. Kaum ein Buch verrät so viel über die Kluft zwischen »oben« und »unten« in diesem Land …
Myriam, die Mutter von Mila und Adam, hält es auf Dauer zu Hause nicht aus, sie möchte als Anwältin arbeiten. Zusammen mit ihrem Mann Paul, einem Musikproduzenten, entscheiden sich die Eltern, die ihre Kinder zuvor noch nie jemandem anvertraut haben, für eine Nanny: Louise. Die Frau, für die Louise zuvor gearbeitet hat, beschreibt sie als »ein Glück« und »zweite Mutter für meine Söhne«. Nach und nach erschleicht sich die Nanny die Oberhand in ihrer neuen Familie, indem sie die Wohnung umdekoriert und alle umsorgt. Myriam und Paul nehmen Louise mit in den Urlaub nach Griechenland, damit sie sich auch dort um die Kinder kümmert. Der Vater bringt ihr Schwimmen bei. Mila und Adam lieben Louise: »Adam strampelt auf dem Arm seiner Mutter. Er hat Louises Stimme gehört (…). Er stemmt seine Händchen gegen Myriams Brust, die ihr Kind lächelnd Louises Zärtlichkeiten übergibt«.
Der Roman beschreibt eindringlich, wie die Nanny die dreijährige Mila für ihre Zwecke zu manipulieren versucht. Als Kontrast zur – vermeintlichen – Idylle der jungen Familie erscheint Louises eigenes einsames, von Geldsorgen geprägtes Leben in einer kleinen Wohnung in einem tristen Vorort. Louises Mann ist verstorben, zur erwachsenen Tochter hat sie keinen Kontakt mehr. Wirklich erklären kann der Roman die grausame Tat nicht. Die Figur der Kindsmörderin Louise bleibt fremd und verstörend. Doch die in Marokko geborene Leïla Slimani zeichnet ein aufschlussreiches Bild der Pariser Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der die »Bobos« – die zur schicken Elite gehören – kein Gespür haben für die »kleinen Leute«. Und vielleicht für manch’ anderes auch nicht … (lys.).