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Wo Besucher*innen derzeit nicht rein können, muss die Kunst eben mal raus kommen
Quelle: DTdF / André Hirtz©

Darmstädter Tage der Fotografie

Live dabei beim Making of

Gast-Beitrag von Julia Reichelt

Die diesjährigen Darmstädter Tage haben Fotografie im wahrsten Worte groß raus gebracht – auf die Plätze, in den Park, in den Schlossgraben und nicht selten meterhoch. Das Rausgehen war corona-bedingt, eröffnete aber zugleich neue Möglichkeiten und Perspektiven – auch für die Macher*innen. Julia Reichelt, Leiterin des TU-Kunstforums und Kuratorin, schreibt über das »Live-Making of« ihrer Ausstellung »Trautes Heim« in der Darmstädter Innenstadt.  

Eigentlich sollte unsere Ausstellung »Trautes Heim« drinnen stattfinden. Vielleicht weil »nomen est omen«. Oder vielleicht auch, weil wir das schon immer so gemacht hatten. Und wir hatten ja auch zwei ideale, wenn auch ganz unterschiedliche Orte dafür vorgesehen: eine große, unter Denkmalschutz stehende Maschinenhalle aus dem Jahr 1957 mit ihrem industriellen Charme und ein von 1895 stammender Zeichensaal im Alten Hauptgebäude der TU Darmstadt. Eigentlich. Denn mit Corona kam alles anders. Schnell war uns klar: Die Kunst muss raus, nach draußen in den öffentlichen Raum, mitten in die Stadt, wo sie unmittelbar und für die Leute ungefährlich erlebt werden kann. Sieben Orte bespielten wir nun. Sechs davon im öffentlichen Raum …

Doch damit war natürlich auch sonst alles anders. Bislang geübt in der Hängung von Kunst in einem Innenraum, stellten uns die neuen Gegebenheiten im Außenraum vor vielfältige Herausforderungen. Die romantische Idylle eines historischen Schlossgartens, die Weitläufigkeit eines Stadtparks, aber auch der eher geometrisch-unterkühlte Charme städtischer Plätze galten es nun stimmig zu bespielen. Ort und Stimmung spielten plötzlich eine ganz eigene Rolle – sowohl bei der Auswahl der passenden künstlerischen Positionen wie jene der Finnin Iiu Susiraja oder der chinesischen Künstlerin Pixy Liao (die erstmals in Deutschland gezeigt werden), als auch bei deren Präsentation. Neue kommunikative Blickachsen und Verbindungen wollten geschaffen werden. Und dies eben nicht von Wand zu Wand, sondern nun mit großen Distanzen und auch noch dreidimensional.

Kunst ist Kommunikation. Im öffentlichen Raum plötzlich noch mehr als im Museum. Das wurde ganz schnell deutlich, schon beim Aufbau der Ausstellung. Viele Menschen blieben stehen, lachten (was in diesem Falle ja gut zum Thema »Skurrile Fluchten – Humor in der Fotografie« passte), sie machten Fotos, unterhielten sich oder suchten das Gespräch. Die Kunst wurde früher zum Gespräch als wir gewohnt waren (und wir auch gleich mit dabei). Es ist gut, Kunst nicht einfach unkommentiert in den öffentlichen Raum zu stellen. Und das im doppelten Wortsinn. Wer möchte, sollte informiert werden, wer mehr wissen will, sollte schnell finden, wonach er sucht. Nur wie, wenn es keinen Info-Point und keine ausliegenden Kataloge gibt? Wir mussten neue analoge und digitale Wege finden, die Leute über den Titel des Kunstwerks hinaus zu informieren, Texte und Vita zum jeweiligen Kunstschaffenden bereitstellen. Und da die Besucher*innen ja niemanden fragen oder im nächsten Gang nachschauen können, müssen wir auch Lagepläne hinterlassen, wo noch weitere Arbeiten im öffentlichen Raum zu finden sind. Auch für Kinder sollte es ein Angebot geben, das für sie passt, wenn sie Fragen haben. Doch nicht nur wir entdeckten einen völlig neuen Resonanzraum für unsere Arbeit. Die Chance, die Ausstellung »Trautes Heim« in den Stadtraum zu verlagern, brachte und bringt auch den Künstlerinnen und Künstlern viel mehr Resonanz und Sichtbarkeit, als dies sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Allerdings wurden wir uns auch klar, dass auch die Verantwortung größer ist. Man setzt Signale, die plötzlich weithin sichtbar sind. Man greift – gerade in diesen Corona-Tagen – auch ganz anders in öffentliche Debatten ein. Die Impulse, die von Künstler*innen wie AdeY im Schlossgraben oder Iiu Susiraja und Pixy Liao auf dem Friedensplatz gesendet werden, ihr spielerischer und humorvoller Umgang mit sich selbst und dem Gegenüber, können gerade in der aktuell angespannten Situation zu inspirierenden Gegenentwürfen werden. Wie sagte es Iiu Susiraja? »My art it is like a playful anarchism with equipment and the rituals of taking back the power«. So oder so: Alle Beteiligten lernen Kunst plötzlich noch einmal ganz anders.