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Kreativ Räume für die Kultur finden
Quelle: Moritz Bernoully©

Eigenes Konzept für Kultur

Vom Kopf her denken

Kommentar von Volker Stahr

Bayerns Wirtschaftsminister hat dieser Tage einen bemerkenswerten Satz gesagt: »Wir dürfen die Menschen nicht mehr länger in den Keller sperren«. Nun, unseres Wissens nach ist das selbst im Freistaat in Pandemie-Zeiten nicht geschehen. Aber sei’s drum: Es vergeht in Deutschland kein Tag ohne Öffnungsszenarium. Beste Karten scheint diesmal die Kultur zu haben. Nein, nicht alle Kulturschaffenden, aber einige. Das Staatstheater Kassel zum Beispiel. Da Kassel die einzige Stadt Hessens ist, die nach allen Zahlenplanspielen der Politiker*innen ihr Theater bald öffnen könnte, wird man dort wohl demnächst auf Subventionen und Fördergelder verzichten (können). Zumindest, wenn man den Schwarzmarkt für die 60 Karten pro Abend selbst in die Hand nimmt und sie unter Hessens ausgehungerten Theaterfans versteigert. Einziger Haken: In drei Wochen läge Kassels Inzidenz bei 199 – zumal dann in der Stadt wohl noch mehr Theater wäre …

Nun zeigt das Beispiel leider nicht, wie Theater künftig zu finanzieren wären. Sondern nur, welchen Stellenwert Kultur in den Plänen zur Öffnung hat – den letzten nämlich. Sie kommen meist im Paket irgendwo mit Sport oder Gastronomie daher. Was allerdings für Wirtshäuser und Sportanlagen funktioniert, muss für die Kultur noch lange nicht funktionieren. Wenige Darmstädter*innen werden etwa für ein Bier oder eine Joggingrunde nach Kassel fahren. Womit sich die Frage aufdrängt: Könnte man im Land der Dichter und Denker und der Region der Goethes und Adornos das Ganze nicht mal vom Kopf her denken und die Kultur als sogar gerade in der Pandemie wertvolles Gut für sich denken? Funktioniert »click & meet« mit Einzeltermin nur für die Wirtschaft? Oder ist sie der einzige Zweig, dem die Politik zuhört? Sicher: Man bräuchte für Kultur ein etwas differenzierteres Konzept, da Einzelkonzerte und Face-to-face-Theater nicht der Bringer sind. Aber 90 Prozent der Theaterleute und Musiker*innen könnte man ab Ostern locker mit Konzept und gutem Willen (und Wetter) nach draußen bringen. Da das mit Kunstwerken zu 90 Prozent nicht geht, wäre mit etwas differenzierendem Denken der Umkehrschluss möglich: Museen und Ausstellungsräume mit deren vielem, auch physischem Freiraum öffnen. Käme man dann noch auf die Idee, das Draußen als Festival zu gestalten, zu dem die Menschen nicht alle gleichzeitig kommen und gehen (und sich den Virus dann in der U-Bahn einhandeln), könnte man sogar von einem durchdachten Konzept sprechen – auf das man kommen könnte, wenn man vorher mit Kulturschaffenden spricht. Wobei die originellsten Abstands-Konzepte mit Pool Noodle und Hula-Hoop-Reifen ohnehin aus der Kultur kamen. Der Effekt: Statt einem Theater und einem Museum hätte man dann nämlich ganz viele offen. Das könnte auch die Menschen wieder inspirieren – und zwar ebenfalls viele auf einmal. Und am Ende womöglich sogar jenen Minister aus Bayern. Das richtige Museum vorausgesetzt, könnte er da sogar lernen, dass das mit jenen Menschen im Keller (egal, ob geflüchtet oder tatsächlich eingesperrt) in Deutschland nicht die Zeit der Pandemie war – zumindest nicht die der Virus-Pandemie …