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»Tschuldigung. Bitte, welche Corona-Regeln gelten heute aktuell auf der anderen Straßenseite?«
Quelle: Zeichnung von Rahulla Torabi©

Zur Lage: Zuviel offen ...

Ewig lockerte der Lockdown

Das Projekt(-)Modellland Deutschland

Noch vor wenigen Tagen hatten wir in einem Kommentar zur Lage gemutmaßt, dass sich Anfang Mai 16 Ministerpräsident*innen – oder zumindest ein großer Teil von ihnen – kollektiv vor die Presse stellen würden und erklären: »Es war allein unser Fehler«. Nun, so weit wird es jetzt offenbar nicht mehr kommen. Die Länder-Regierungschef*innen werden wohl per Gesetz veranlasst, ihre Beschlüsse der letzten MPK umzusetzen; insbesondere jene zur Corona-Notbremse. Trotzdem sollte noch einmal festgehalten werden, was da eigentlich passiert ist. 16 Ministerpräsident*innen haben ein Papier unterschreiben, in das jede/r etwas anderes hineininterpretierte und manche sich zwei Tage später sogar nur noch an ein einziges Wort erinnern konnten: Modellprojekt(e). Und selbst da war die Erinnerung schwammig. Die meisten konnten sich wenigstens noch an den Plural erinnern, während Saarlands Premier gleich das ganze Land zum Modellversuch erklärte. Dass Frankreich um die Ecke Hochrisiko-Gebiet ist? Geschenkt. Dass das Saarland zum Start die 100 wohl nur dank Ostern noch knapp verfehlte? Geschenkt. Dass er selbst noch ein paar andere Sätze unterschrieben hatte?

»Was stört mich mein dummes Geschwätz, das ich gestern unterschrieben habe«, könnte man diese Politik zusammenfassen. Doch es sind ja nicht nur diese Sechzehn. Wie absurd die Situation ist und wie wenig Politiker von Lesen halten, zeigt(e) Frankfurt. Der dortige OB, der offenbar gar nichts gelesen hatte, wollte gleich mal die Mainmetropole zur Modellregion machen. Nein, nicht für Wohnen oder Verkehr, sondern: Sie wissen schon. Na ja, vielleicht hat er doch gelesen. Denn irgendwie wäre es schon eine Modellregion. In guten Vor-Corona-Tagen (wobei »gut« hier mal ganz wertfrei ist) hielten sich in der Stadt bis zu zwei Millionen Menschen auf – rund ein Drittel der hessischen Bevölkerung. In Corona-Zeiten hat sich dies entspannt. Geschätzt und gefühlt sind auch jetzt nur etwa eine Million in der Stadt. Wenn man den Menschen allerdings sagt, dass sie einkaufen und ausgehen können, sie dort zwei Mal die Woche im Office (ohne Home) den Test dazu erhalten und zu Hause noch den für den dritten Tag? Da wird wohl kaum einer mehr auf folgenden nebensächlichen Satz zurückkommen wollen: »Unternehmen sollen nach wie vor – wo möglich – Homeoffice ermöglichen«. Unterschrieben? Ach, nö. Gelesen? Ach, nö. Das galt wohl auch für den Satz ganz am Anfang des Papiers: »Die kürzlich vereinbarte „Notbremse“ bei gestiegenen Infektionszahlen muss konsequent umgesetzt werden«. Gelesen? Ach, nö. So wären denn – ginge es nach jenem OB – auch erstmals bald wieder alle rund um Frankfurt glücklich gewesen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen um sich scharen. Menschen, die wieder einkaufen und ausgehen können. Einwohner*innen, die schon die vielen Menschen aus dem Umland vermisst haben. Und Viren, die sich dann wieder auf Teeküchen freuen. Wenn es sie nicht nach Offenbach treiben würde. Wo der dortige OB auch modellversuchen wollte. Wahrscheinlich aber nur tagsüber, denn abends müssen bei einer Inzidenz von zeitweise fast 300 ja alle wieder rein. Übrigens: Zum Wort »Modell« könnte man auch mal einen Blick in den Duden werfen. Dort steht: »Form, Beschaffenheit, Maßverhältnisse veranschaulichende Ausführung … in bestimmtem (besonders verkleinerndem) Maßstab«. Man beachte, was dort in Klammern steht. Nun ja. Schade eigentlich. So werden wir niemals wissen, ob einige der »glorreichen Sechzehn« Mut und Größe von Angela Merkel gehabt hätten. Angela Merkel? Das war die Frau, die für die anderen drei Seiten des Papiers abseits der Modellprojekt(e) die Verantwortung trug – und die offenbar auch gelesen zu haben schien, was sie da unterschrieben hatte. Und danach handelt … (vss.).