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Stadt braucht neue Perspektiven und neues Mi(e)t-Denken
Quelle: Robert Seidemann / new-camera.de©

Urban .21 | Wohnen mit Zukunft

Ländle macht auf Musterstädtle

Bundesland führt Wohnungsbau-Ministerium ein

Ein sicheres und bezahlbares Zuhause ist für jeden Menschen existentiell. Hierbei ist zunehmend auch wieder der Staat gefordert. Dies gilt insbesondere in Zeiten rapide steigender Immobilienpreise und Mieten in den urbanen Zentren. Nachdem sich der Staat und viele Städte in den letzten Jahrzehnten aus dem Thema Wohnen zurückzogen, ändert sich dies nun langsam wieder. Mit Baden-Württemberg hat der erste Flächenstaat ein eigenständiges Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen geschaffen. Das gab es zuvor nur in Stadtstaaten.

Es ist ein vielversprechendes Signal aus Baden-Württemberg: Wohnen soll zusammen mit der Landesentwicklung im eigenen Ministerium zur Chefsache werden. Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen sind Kern der Mission, zu der sich diverse Handlungsansätze im seit Mai geltenden Koalitionsvertrag der einzigen grün geführten Landesregierung in Deutschland finden. Welche davon das neue Haus erfolgreich angepackt, wird sich zeigen müssen. Neben einem auf sieben Jahre angelegten Strategiedialog sind auch viele andernorts thematisierte Stichworte genannt: Von der Stärkung der gemeinwohlorientierten Akteure bis zu nachwachsenden Materialien als Baustoffen und Urban Mining oder der effektiveren Nutzung bestehender Räume beziehungsweise Flächen. Bei all dem soll es auch um eine veränderte Haltung, Wertschätzung und Akzeptanz eines vielfältigen innovativen Bauens und Wohnens gehen. Hinzu kommen die Querschnittsthemen Klimaschutz, Mobilität und Digitalisierung, an denen heute niemand mehr vorbeikommt.

In der Summe ist dies ein ambitioniertes Programm. Doch es ist ein Problem weit über das künftige Musterländle hinaus. Die ersehnte Trendwende an den Wohnungsmärkten ist – je nach Sichtweise – noch kaum absehbar oder zumindest noch ein gutes Stück Arbeit. Im Gegenteil wächst weiter der Druck, steigen die Immobilienpreise vielerorts weiter. Vor allem auf die Stadtregionen wird sich nach Expert*innenmeinung auch künftig der Fokus der Wohnungssuchenden richten. Da nur die Wenigsten ausschließlich im Home Office arbeiten werden und viele sich weiterhin eine urbane Infrastruktur wünschen, wird die mitunter postulierte »Landflucht« nur sehr bedingt als Lösung taugen. Das Dilemma: Wohnungen auf rarer werdenden Flächen im Ballungsraum zu bauen, belastet künftige Generationen, weil ein fortgesetzter Flächenfraß die Lebensgrundlagen gleich mit verschlingt. Nichtbauen hingegen wäre verantwortungslos gegenüber all denjenigen, die heute keine bezahlbare Wohnung dort finden, wo ihr Lebens- und oft auch Arbeitsmittelpunkt ist. Was also tun? Anders wohnen und nachhaltiger bauen ist ein guter Anfang – eines längeren Weges. Der deutsche Traum vom Einfamilienhaus wird dabei wohl kaum zur Disposition gestellt. Das würde vorläufig scheitern. Aber gleichsam muss der Raum an Alternativen noch erweitert werden und so auch die sich wandelnde Lebensrealität der Menschen von heute und morgen bereichern. Und dies, ohne an einem gigantischen Sondermüllberg von morgen mitzubauen. In der Summe ist dies nicht weniger als ein Generationenprojekt, das einen Perspektivwechsel erfordert, neue Ideen und ebenso die Ausschöpfung all des Wissens, der Instrumente auf verschiedenen Ebenen und der vielfältigen Ideen, die bereits auf dem Tisch liegen. »Schaffe, schaffe, Häusle baue« für das 21. Jahrhundert: Was das Musterländle Baden-Württemberg künftig schafft, dürfte auch von anderen in Bund und Ländern aufmerksam beobachtet werden … (pem.).