Wenn die Tage grauer werden, kommt schnell mal der Wunsch nach einem Abstecher ans Mittelmeer auf. Erster Reflex: einfach ins Auto steigen. Zweiter Reflex: weit, anstrengend, teuer. Praktischer wäre: mitten in Frankfurt, Musterschule zum Beispiel, in die U-Bahn, am Hauptbahnhof in den Zug, flugs nach zum Beispiel Marseille und dann noch mit der Tram ans Meer. Am besten freitagmittags los, abends dort sein – und alles für ein paar Euro. Geht nicht? Geht doch! Die Formel: U5 plus TGV (Frankfurt Hbf – Marseille Saint-Charles) plus M1 zum Alten Hafen. Abfahrt etwa 13.30 Uhr, Ankunft etwa 23.30 Uhr. Kosten: mit etwas Glück um die 50 Euro. Das Problem: Viele Menschen haben eine solche Möglichkeit gar nicht auf dem Schirm. Genauso wenig, dass das Gleiche auch – mit höchstens ein Mal mehr umsteigen, aber bestenfalls einem Stündchen mehr Vorlauf – auch vom Darmstädter Martinsviertel, dem Offenbacher Mathildenviertel oder von Mainz-Mombach aus ginge. Und genauso einfach wäre es umgekehrt, von Roms Via Appia an fast jeden Punkt im Rodgau oder von Berlin-Kreuzberg nach Bürgel zu kommen …
Zugegeben: Die letzten Beispiele setzen schon einiges an Vorstellungskraft voraus. Doch eigentlich reicht bereits ein Umdenken: bei Menschen und Mobilitätsanbietern. Beginnen wir beim Menschen. Also bei uns. Was es zunächst braucht, ist ein Umdenken und die Bereitschaft, sich vom Gewohnten zu verabschieden: von dem Gedanken, jedes Mobilitätsbedürfnis mit dem Auto zu erledigen. Zugegeben, das ist nicht ganz einfach. Die Vielzahl der Mobilitätsangebote jenseits des eigenen Autos ist komplex: Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen, Busse, Taxen, das Sharing von Autos, Fahrrädern und Scootern, regionale und überregionale Zugverbindungen und nicht zuletzt das Zu-Fuß-Gehen. Sie alle müss(t)en jedoch als zusammenhängendes, leicht verknüpfbares System gedacht und verstanden werden. Wir müss(t)en gewissermaßen eine neue Sprache mit eigener Grammatik lernen, um dieses System verstehen und alle Angebote ähnlich schnell wie bei dem eigenen Auto nach unseren Bedürfnissen miteinander verknüpfen zu lernen.
An dieser Stelle kommt das zweite Umdenken ins Spiel, denn alleine schaffen wir das kaum. Auch Mobilitätsanbieter und -vermittler müssen da noch einiges an Umdenken leisten. Grundsätzlich nämlich wäre jede Busstation im Rhein-Main Gebiet ein Mobilitätszentrum, von dem aus man eigentlich ohne Probleme und ohne viele Umstiege den Weg nach Barcelona, Berlin oder Buxtehude finden sollte. Doch an der Station selbst finden wir oft nur ein paar dürftige Informationen für die einzelne Linie, keinen Hinweis auf den Scooter oder den Fahrradverleih um die Ecke – und der Netzplan ist auch noch viel zu klein. An der (nächsten) S-Bahn-Station oder am Hauptbahnhof finden wir dann schon wieder ein anderes Informationsdesign mit einer – um das Bild nochmals aufzunehmen – anderen Grammatik. Leider sind auch die Apps der Anbieter und sogar scheinbare Über-Apps spezialisierter Vermittler da oft kaum hilfreich. Schon das simple Verknüpfen digitaler Informationen und die kombinierte Buchung unterschiedlicher Angebote scheitert oft an Apps, die nur Ausschnitte abbilden und obendrein vielfach nicht miteinander korrespondieren. Die Fülle an digitalen oder analogen Informationen, in denen eigentlich unser Weg zu finden wäre, korrespondieren oft genug einfach nicht miteinander.
Wie also sollen wir dann selbst eine Vorstellung vom Gesamten entwickeln? Davon, dass Rom tatsächlich direkt mit dem Rodgau, Bürgel mit Berlin oder die Musterschule mit dem Mittelmeer verbunden sind? Was es also braucht, ist ein Umdenken bei den vielen und unterschiedlichen Mobilitätsanbietern, bei den Verkehrsverbünden, den städtischen kommunalen Verkehrsbetrieben und auch den privaten Sharing-Unternehmen aller Art, dass sie nur gemeinsam und gemeinsam wahrgenommen wirklich stark und eine Alternative sind. Was es also braucht, sind erstens mehr übergreifende oder zumindest transparent auf den Wissensfundus anderer zugreifende Apps sowie zweitens ein gleichsam einfacheres wie umfangreicheres Informationsdesign an den vielen Mobilitätsstationen vom Hauptbahnhof bis zur letzten Busstation, das uns quasi von selbst von der Musterschule bis ans Mittelmeer geleitet. Warum? Damit auch wir das genauso einfach verstehen wie das Einsteigen und Fahren mit dem eigenen Auto – und endlich damit anfangen, umzudenken. Dann sollte nämlich am Ende sogar eine Strecke wie Glashütten – Glasgow eigentlich keine allzu große Herausforderung mehr sein …