Es ist ein Ort, der temporär improvisiert wurde und an dem ein Jahr lang permanent improvisiert wird. Der Offenbacher »Rathaus-Pavillon«, der vielleicht besser »Stadt-« oder »Bürger*innen-Pavillon« heißen sollte, bietet Bürger*innen und Bike-Fahrenden, Kids und Künstler*innen Räume zum Sich-Finden und zum (Sich-)Ausprobieren – Labor und Experimentierfläche für neues Miteinander von Menschen in Innenstädten. Zumindest bis zum Sommer. Dann muss der Bau erst einmal saniert und ertüchtigt werden.
Das graue, flache Gebäude-Ensemble fügt sich eigentlich schon seit Jahren im wahrsten Wortsinn »unspektakulär« in den grauen, flachen Platz vor dem grauen, zur Abwechslung mal sehr hohen Offenbacher Rathaus in der – nun ja – auch etwas grauen, flachen Offenbacher Innenstadt ein. Alles wirkt fast ein wenig wie eine Zeitkapsel aus den Siebzigern. Zugegeben: Architektur-Gourmets würden von einem perfekten Zusammenspiel brutalistischer Beton-Architektur sprechen. Weniger kulturell Bewanderte eher von einem Ensemble, dessen bevorzugtes Schicksal es lange war, einfach unbeachtet in der Gegend herumzustehen. Wohl nicht ganz von ungefähr war hier in dem grauen, flachen Ensemble lange ein Polizeiladen einquartiert …
Doch seit ein, zwei Jahren ist hier Leben eingekehrt. »Stadtraum«, »Radraum«, »Jugendraum« – Die Idee klingt beim ersten Hören fast etwas akademisch. Auch Sunny, der gerade Fotografien an Drahtseilen im schwarz-getünchten Inneren des niedrigen »Stadtraums« im linken Teil des Ensembles hinter den großen Glasfassaden aufhängt, vermutete mal wie so viele andere Passant*innen vor ihm auch, dass in den drei Räumen des kleinen Glaspavillons etwas von und mit der HfG, der Offenbacher Kreativenschmiede Hochschule für Gestaltung, passieren würde. Die bunten Plakate an der Eingangsfront des ehemaligen Polizeiladens wiesen und weisen jedoch auf eine Vielfalt von nicht nur akademischen Veranstaltungen hin: vom Leseabend für Erwachsene über eine Design Werkstätte oder Workshops für Improvisationstheaterenthusiast*innen bis zu Clubabenden und Ausstellungen aller Art. Der leidenschaftliche Fotograf Sunny, der eigentlich in der IT arbeitet, hatte sich kürzlich denn auch spontan beworben, als er erfuhr, dass es ausreicht, ein kleines Konzept zu schreiben, um die Räume mal für ein paar Tage kostenlos nutzen zu können. Innerhalb von drei Wochen hatte er die Zusage, seine Werke eigenverantwortlich für drei Tage ausstellen zu können. Er schätzt die Möglichkeit, die ihm die Stadt Offenbach bietet – und hofft, dass es auch nach einem bevorstehenden Umbau weiter solche Angebote geben wird, einfach mal als Offenbacher*in diesen Pavillon für eigene Ideen nutzen und bespielen zu können. Denn das ist es, was seit vielen Monaten hinter dem neuen Leben an diesem lange Zeit so unspektakulären Orte steckt …
Nun kann man ja vieles über Offenbach sagen, kann es auch gerne da und dort als grau, flach, unspektakulär empfinden (vor allem, wenn man sich dieses Urteil nicht als Frankfurter*in erlaubt). Doch am »Rathaus-Pavillon« wird seit einiger Zeit viel unternommen, um Innenstadt hier neu zu denken, Bürger*innen zu beteiligen und Anreize zu schaffen, Menschen selbst gestalten zu lassen. »Gründe zu finden, auch bei weniger werdenden Geschäften in die Innenstadt zu kommen«, wie Offenbachs OB Felix Schwenke sagt. Anfangs noch sehr improvisiert, wurde vor etwa einem Jahr alles mit etwas städtischem Geld ein wenig mehr in Form gegossen. Drei Räume, drei Konzepte – So die einfache Idee. Während der seither einjährigen Zwischennutzung bis zum Umbau des denkmalgeschützten Pavillons ab dem kommenden Sommer wurden für die drei abgeschlossenen Räume jeweils eigenständige Konzepte kreiert: eben jener frei verfügbare, kulturell geprägte »Stadtraum«, ein im wahrsten Wortsinn hilfreicher »Radraum« nebenan sowie ein exklusiv selbstverwalteter »Jugendraum« im hinteren Teil des Komplexes. Mag ersterer das prominent zum Platz hin platzierte Herzstück sein und durch seine vielen bodentiefen Fenster auch von Draußen die Teilhabe an dem ermöglichen, was im Inneren passiert, so ist der »Radraum« vielleicht der Ort, der am meisten angelaufen, pardon: angefahren, wird. Es ist ein Ort, der Fahrradkultur und Fahrradmobilität im Alltag fördern soll.
Initiiert und geleitet wurde und wird der »Radraum« von Daniel Rese, einem Fahrradfreak des benachbarten neuen Offenbacher Instituts für Mobilitätsdesign (OIMD). Drinnen sieht es aus wie in einem Fahrradladen: Es stehen wiederaufbereitete, gespendete Fahrräder herum, dazu läuft laute Musik. Jony, ein weiterer Fahrradenthusiast, der eigentlich Produktdesign studiert, schiebt an einigen Nachmittagen ehrenamtlich Dienst und steht mit Rat und Tat zur Verfügung. Es geht darum, für Radfahren zu begeistern und obendrein Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. So steht ein Werkzeugkasten mit allen gängigen Fahrradwerkzeugen zur Verfügung. Von Donnerstag bis Samstag kann man nachmittags mit seinem Rad oder auch nur auf ein Schwätzchen vorbeikommen. Im hinteren Teil des Raumes kann man zudem sich informieren oder Vorträge hören. Und der Raum erfüllt offenbar seinen Zweck, bleiben doch nicht nur Radfahrende stehen. Ebenso wie der etwas versteckt im hinteren Teil des Pavillons liegende »Jugendraum«. Er entzieht sich etwas dem Einblick, soll aber allen Angaben zufolge auch gut genutzt sein. Wiewohl die Jugendlichen hier sich offenbar etwas ungerner »ausstellen« lassen. Weswegen wir es bei diesen kurzen Worten bewenden lassen wollen. Bis Ende Juni soll das Projekt – oder genauer: sollen die Projekte – an diesem Platze noch fortgeführt werden. Dann muss der nur notdürftig ertüchtigte Pavillon generalüberholt werden. Das Projekt soll aber danach und während des Umbaus weitergeführt werden. Koordinieren soll dies weiterhin die »Station Mitte«, von der aus die Stadt gerade neu entwickelt wird. Hilfreiche Vereine befinden sich auch bereits in Gründung. Da es vorerst keine neue(n) feste(n) Immobilie(n) gibt, ist weiter Improvisieren gefragt. Für den Radraum gibt es etwa die Idee, aus einem LongJohn, einem Lastenrad, heraus weiterzumachen. Geplant ist, ihm pop-up-mäßig immer neue Räume zu erschließen; einen davon etwa während des jährlichen HfG-Rundgangs. Vor allem aber: Der Rathaus-Pavillon, der sich gerade zu einer Art »Stadt-« oder »Bürger*innen-Pavillon« entwickelt, soll eine Art Nukleus sein für eine neue Innenstadt, von der dann wohl nicht mehr so viele sagen, dass sie grau, flach und unspektakulär wäre (sfl.) …