Refugees Lives Matters

Ich glaube nur der Statistik …

Was haben rund die Viertel der US-Amerikaner*innen und ein mindestens ebenso großer Anteil der Bevölkerung von Wiesbaden gemein? Nun, den Satz: Die Fakten und Studien sind alle falsch. Dies ist so bei vielen der Menschen, die in den USA in erstaunlich großer Zahl Donald Trump erneut zu ihrem Präsidenten gewählt haben, und nicht wahrhaben wollen, dass er von noch mehr Menschen in diesem Lande abgewählt wurde. Und die zu einem wiederum erstaunlich hohen Anteil dies nicht nur nicht wahrhaben wollen, sondern auch allen Fakten und sogar den Beteuerungen von Politiker*innen ihrer eigenen Partei nicht glauben wollen, sondern sie für falsch oder gefälscht halten. Doch von Washington führt leider mittlerweile auch ein bedenklich direkter Weg nach Wiesbaden. Denn ähnliches vernahm man jüngst auch aus der hessischen Landeshauptstadt. Das »Hauptargument« von Wiesbadner*innen gegen die geplante Citybahn durch die Stadt war, dass die Daten und Studien dazu alle falsch seien. Und das behaupteten, glaubt man Medien-Berichten aus der Landeshauptstadt, die Gegner*innen in großer Mehrheit. Also ein großer Teil jenes Drittels der Wiesbadener Bevölkerung, die letztlich mit ihrem Veto die Bahn aus der selbigen warfen. Trump wird in einigen Wochen nicht mehr US-Präsident sein. Doch die Saat, die er in vier Jahren gesät hat, ist längst auch hierzulande aufgegangen und wird die Zukunft auch in diesem Lande weiter prägen. Wie sagte Winston Churchill: Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe. Bis vor einigen Jahren war die erste Hälfte des Satz Common Sense. Mittlerweile scheint der komplette Satz des ehemaligen britischen Premiers immer mehr Gemeingut zu werden … (vss.).

Und der Rest der Welt ?

Afrika, Amerika, Asien - Corona kennt keine Grenzen

Im Zuge der Corona-Krise fokussiert sich der Blick der Medien und der Menschen hierzulande zunehmend auf das eigene Umfeld. Soll heißen: Auf die großen sichtbaren Brandherde in den USA, in Europa und in China. Auf die wohlhabenden Länder also, die aktuell im Zentrum der Pandemie zu stehen scheinen. Doch der Nährboden der Pandemie – fortschreitende Urbanisierung und unzureichende Gesundheitssysteme – ist erst recht ein Menetekel vieler weniger wohlhabender Länder und Gesellschaften rund um den Erdball in Afrika, Asien und Lateinamerika. Ein Blick auf die größten und gleichzeitig am engsten besiedelten Megacities dieser Welt zeigt, dass die wahren Probleme der Pandemie für diesen Globus vielleicht erst noch bevorstehen. Zu den zehn bis 20 größten Städten dieser Welt (je nach Statistik) zählen etwa Kairo, Dehli, Jakarta, Kalkutta, Dhaka, Mexico City oder Manila mit jeweils mehr als zehn Millionen Einwohnern, ganz zu schweigen von den vielen anderen wachsenden Millionenstädten auf diesen drei Kontinenten. Dass der Virus erst mit Verzögerung dort ankommt, ist sicher einer der wenigen Vorteile dieser Länder, die nicht im Zentrum der globalen Reiseströme stehen – und sich erfreulicherweise nun bereits abgeschottet haben …

Doch die Experten sind sich sicher: Corona wird auch in diesen Megacities ankommen, wenn er nicht vielerorts bereits angekommen ist. Und damit wird er auf Länder, Städte und Menschen treffen, die ihm noch weniger entgegenzusetzen haben als die wohlhabenden Städter des globalen Nordens. Ganz langsam nehmen auch die Medien diese Gefahr zur Kenntnis. Die Süddeutsche Zeitung oder die Hilfsorganisation medico international etwa wiesen zuletzt in mehreren lesenswerten Beiträgen auf das Ankommen des Virus im globalen Süden hin. In einem SZ-Artikel über die Favelas in Brasilien treten die Probleme pars pro toto mehr als deutlich zu Tage. Die Enge der Favelas, die es auch in allen anderen Megacities gibt und die Abstand halten  unmöglich macht. Der eingeschränkte Zugang zu Strom und Wasser, die oft nur wenige Stunden am Tag zur Verfügung stehen und den Aufruf zum Händewaschen ebenso ad absurdum führen wie das Betreiben von Beatmungsgeräten. Gesundheitssysteme, die stark privatisiert sind und vor allem den Starken im Lande helfen. Bemerkenswert allerdings auch eine Essay-Serie der Süddeutschen aus den Kapitalen Afrikas, welche nicht nur diese Probleme beschreibt, sondern für einmal auch darauf hinweisen, dass das mit Epidemien erfahrene Afrika nicht nur gefährdeter, sondern paradoxerweise auch chancenreicher ist. Es wird dort schneller und rigoroser reagiert, die Leid geplagten Menschen sind vorbereiteter und an Einschränkungen mehr gewöhnt. Gut zu wissen, dass es Afrikaner sind, die dies als Vorzüge nennen. Aus europäischen Federn könnte es schnell zynisch wirken. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch, dass es Afrikaner sind, die in diesem Zusammenhang die Frage stellen, warum niemand nach den Erfahrungen des Kontinents mit solchen Epidemien fragt …

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Krise, Gefahr und Chance

Kommentar von Volker Stahr

Zeit zum Innehalten, sich über den Globus, unsere Gesellschaft und unser aller Leben Gedanken zu machen.

Bisher war Bundestrainer Yogi Löw nicht als Philosoph hervorgetreten. Aber wenn selbst Deutschlands oberster Nebensachen-Vertreter feststellt, dass »sich die Erde ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und ihr Tun«, dann scheint die gegenwärtige Krise tatsächlich etwas auszulösen. Und in der Tat: Es hat schon etwas Symbolhaftes, wenn ein kleiner Virus eine offenbar aus den Fugen geratende Welt – oder genauer: deren globalisierte Zivilisation – mit Macht zum Innehalten zwingt. Zum Innehalten, um – vordergründig – eine Gefahr zu bekämpfen, die ansonsten diese Zivilisation wie so viele große Zivilisationen der Vergangenheit zum Kollabieren bringen könnte. Auch wenn es – wiederum vordergründig – »nur« um das Zusammenbrechen unzureichender Gesundheitsstrukturen geht. Strukturen allerdings, deren Zusammenbrechen viele, sehr viele Menschenleben kosten könnte. Pikanterweise die Leben der Schwächeren in dieser Gesellschaft, ob sie nun alt sind oder geschwächt.

Dabei offenbart die aktuelle Krise symbolhaft das Innehalten einer globalisierten Zivilisation, die zunehmend der Logik der City never sleeps, des Always-On oder des Citius, altius, fortius (neudeutsch: stärker,  dreister, unverschämter) folgte. Die globale Klimakrise und der Leugnung, der Börsenhype und Gewinnstreben der Konzerne, das Erstarken der Populisten und zunehmende Abhängen der Schwächeren sind nur einige von deren Auswüchsen. Doch die aktuelle Krise zeigt eben auch, dass sie direkt mit dieser Zivilisation zu tun hat. Und sie löst erstes Nachdenken bei den Menschen aus. Mit der Globalisierung, die eben keine Einbahnstraße ist und den Virus rasend schnell um die Welt trägt. Mit den Populisten. Urbanisierung. Arbeitsstrukturen. Solidarität. Krise ist auch Chance. Die Welt steht still und merkt, dass auch im Stillstand ein Reiz liegen kann. Dass vielleicht Arbeitsstrukturen anders sein könnten. Dass vielleicht Solidarität zwischen Starken und Schwachen zu einer gesunden Gesellschaft gehören, nicht nur im Ausnahmezustand. Dass vielleicht Globalisierung nicht um jeden Preis sein müsste. Dass vielleicht Gesundheitssysteme Stärke brauchen. Krise gleich Chance. Innehalten als Chance. Jeder einzelne.

Ungewöhnliches Denken. Zugeben keine Lösung zu haben. Verantwortung. Bedingungsloses Grundeinkommen.

Urban shorts wird in den kommenden Wochen gezielt dem Stillstand nachspüren. Versuchen, zu schauen, welche Chancen in den gegenwärtigen Veränderungen liegen. Ob nicht manches davon für eine bessere Welt bewahrt werden sollte. Ob nicht in der Krise die Chance für die Zukunft liegt …

 

 

 

 

 

Im Chinesischen besteht das Wort für »Krise« aus zwei Schriftzeichen. Aus den Zeichen für »Gefahr« und für »Chance«. Wenn in diesen Wochen die Welt fast buchstäblich zum Stillstand kommt, lässt sich vieles aus dem Zustand herauslesen. Für viele Menschen birgt die Krise eine Gefahr. Eine reale für ihr Leben als Risikogruppe, eine eingebildete für ihr Dasein als Hamsterkäufer. Virus Fieber Abwehr des Körpers und der Erde.

Chancen für die Welt und die Gesellschaft. Innehalten. Solidarität. Populismus.

Regelrecht entzaubert werden aktuell die Populisten.