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Einblicke in die Galerie Sight
Quelle: Galerie Sight©

Orte & Menschen | Becker & Sight

Kunst unter Dächern

Zwei ungewöhnliche Galerien im Dach

Selten überlaufen sind die vielen kleinen Ausstellungsräume in der Region. Manche sind sogar gar nicht so leicht zu finden. Zum Beispiel die beiden empfehlenswerten Dach-Galerien Sight und Becker. 

Es gibt sie noch, die etwas anderen Orte der Kunst, die entdeckt werden können – außerhalb jener Ausstellungsflächen wie Museen oder klassischen Galerien, an denen Passanten vorbeiflanieren und oftmals nur von der Straße aus einen Blick ins Innere wagen. Zwei der vielleicht ungewöhnlichsten Galerien befinden sich am Rande von Frankfurt: im Ausstellungsraum Becker und in der Galerie Sight. Eine liegt im Frankfurter Stadtteil Oberrad, die andere im Westend von Offenbach. Gemein haben sie eines: Sie liegen beide in privater Atmosphäre oben gleichsam unter und auch über den Dächern. Kunst, die Kultur von Wohnzimmer und Wohlfühlen sowie die ganz eigene Leidenschaft ihrer Initiator*innen gehen hier eine Symbiose ein und vermitteln den Betrachter*innen und vielleicht späteren Käufer*innen bereits einen Eindruck davon, wie Gemälde, Skulpturen, Fotografien oder Installationen in den eigenen vier Wänden aussehen könnten. Ein Stück weit entrückt, wenn auch keineswegs abgehoben, beherbergen sie ihre Gäste dabei stets sehr privat.

Ein Besuch im Offenbacher Westend alleine lohnt bereits. Das Viertel ist eines, dessen Gebäude mit ihrer besonderen Architektur seine eigenen Geschichten erzählt. So wie die Jugendstilvilla in der Schillstraße. Die unteren Räume ganz klassisch Sitz einer Kanzlei, fast unter dem Dach dann die noch recht junge Galerie Sight. Erbaut 1911 für den Fabrikaten Fr. Julius Heyne, zählt das Gebäude heute selbst zu den Kulturdenkmälern Offenbachs. Kunst ein Umfeld zu geben, und zu zeigen, wie wichtig sie im Leben sein kann, ist das Credo der Inhaberin Sabine Krempel. Die Kunsthistorikerin, Ausstellungsmacherin und Kunstberaterin entschied sich damit bewusst gegen Schaufenster oder White Cubes, also anonyme Orte mit weißen Wänden und Böden. Eine großzügige Wohnzimmer-Atmosphäre mit Parkett und farblich abgesetzten Wänden empfängt die Gäste dort seit vier Jahren. Meist zeigt sie Werke von Künstler*innen der Galerie. Im vergangenen Jahr etwa von Manfred Binzer, Jan-Ulrich Schmidt, Ina Holitzka oder Rupert Eder. Aktuell ist die Gruppenausstellung »In Motion« zu sehen. Auch wenn sich wegen Corona vor allem kleinere Grüppchen einfinden (können), soll die Galerie Ort der Kommunikation, des Austausches und der Auseinandersetzung mit der Kunst sein. Hocker, die eigens dafür vorgesehen sind, ermöglichen den Besucher*innen in Zukunft wieder, sich spontan zusammenzusetzen und miteinander zu reden. Und dabei kommen beileibe nicht nur Menschen zusammen, für die solche Räume ihr normales Wohnambiente sind.

Dass solche »Wohnzimmergalerien« auch überhaupt nicht eine Frage von Status und Geld sein müssen, zeigt sich ein, zwei Kilometer weiter im Frankfurter Stadtteil Oberrad. Sehr familiär präsentiert sich dort der Ausstellungsraum Becker. Eigentlich handelt es sich dabei um die Wohnräume des Initiators Ralf Becker, der weit oben im dritten Stock eines alten Mehrfamilienhauses in der Balduinstraße 35 lebt. Becker ist kein Galerist, er ist Schreiner. Kunst ist für ihn eine Leidenschaft. Er wohnt mit der Kunst – Zeichnungen der Künstlerin Bea Emsbach, Objekte von Wolfgang Klee (Mitgründer der Klosterpresse in Sachsenhausen) oder Gemälde von Jan-Ulrich Schmidt (jener aus der Galerie Sight) sind Teil seiner eigenen Sammlung und füllen Wände und Flächen nicht nur des Wohnzimmers. Seit 2013 organisiert er in seiner großzügigen, aber einfachen Vier-Zimmer-Wohnung zweimal jährlich Ausstellungen – zuletzt bis Anfang August Fotografien und Gemälde von Johannes Kersting. Seit Mitte November ist Taek-Bong Kim mit seinen Arbeiten zu Gast. Zu Beginn seiner Idee hatte Becker in der Wohnung zunächst einen kleinen, rund eineinhalb Quadratmeter großen Raum mit hohen Wänden umgestaltet, eine Art Kammer oder Koje mit Fensterfront, um die Kunstwerke seiner Sammlung in Szene zu setzen. Auf die Idee zum eigenen Ausstellungsraum kam er letztlich durch die vielen Künstler*innen im Bekanntenkreis. Seither gibt es zusätzlich einen zweiten »echten« Ausstellungsraum in einem der Zimmer gegenüber der Koje. Dass dazwischen die kleine Küche mit dem angrenzenden Balkon liegt, ist ein charmanter Nebeneffekt. Berühmt die Prä-Corona-Eröffnungen, die oft eher an Silvesterpartys mit gemeinsamem Küche-Stehen bei Wein und Brezeln erinnerten. Wobei auch die anderen Räume meist offenstehen – und etwa neben viel Kunst auch einen fantastischen Blick über die Oberräder Felder auf die Skyline von Frankfurt freigeben. Becker lebt seine Leidenschaft für Kunst und Künstler*innen. Er freut sich daran, sie und andere Menschen zusammenzubringen. Und wenn Künstler*innen etwas verkaufen, geht der Erlös 100 Prozent an sie … (alf.)