©
Das Triadische Ballett (Tanzplattform Deutschland)
Quelle: Wilfried Hoesl©

Die deutsche Tanzregion RheinMain

RheinMain tanzt in die erste Reihe

Kommentar von Helmut Müller

Vom 2. bis 6. März fand in FrankfurtRheinMain die Tanzplattform Deutschland statt. Sie war zusammen mit einigen anderen Aktivitäten ein Auftakt, die Region als ein Zentrum des Tanzes in Deutschland zu etablieren. [weiter…]

Tanz / Gespräch

Grenzen verschieben

RheinMain als gemeinsame Tanzbühne

In der Tanzplattform RheinMain wirken künftig das neue Hessische Staatsballett in Darmstadt und Wiesbaden sowie das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm eng zusammen, um den Tanz in der Region weiter zu profilieren und auch breiter in die Region selbst hineinzutragen. Über diese Zusammenarbeit und über ihre gemeinsamen Pläne für die Region und darüber hinaus sprachen Brigitte Knöß (Dramaturgin Wiesbaden), Anna Wagner (Dramaturgin Frankfurt) und Bruno Heynderickx (Kurator Darmstadt) miteinander.

Knöß: Die Staatstheater Darmstadt und Wiesbaden, die aus der langen Theatertradition im deutsch-sprachigen Raum gewachsen sind, und ein Haus wie der Mousonturm in Frankfurt weisen grundsätzliche Unterschiede in ihrer Struktur, ihrer Organisation und in ihren Produktionsformen auf. Traditionell verlaufen zwischen solchen Institutionen tiefe Gräben, die als unüberbrückbar gelten. Trotzdem habt ihr gleich zu Beginn eurer Tätigkeit in dieser Region auf Initiative des Kulturfonds Frankfurt RheinMain bei einer Podiumsdiskussion 2014 öffentlich miteinander geredet. Was ist aus diesem vielversprechenden Auftakt geworden?

Wagner: In den individuellen Biografien von Theaterleuten werden diese Gräben ohnehin immer wieder übersprungen. Sowohl Bruno als auch ich haben zuvor in ganz verschiedenen Institutionen Erfahrungen gesammelt, wo unterschiedliche Voraussetzungen und die jeweiligen Notwendigkeiten bestimmte Strukturen und Produktionsrhythmen hervorgebracht hatten.

Heynderickx: Ich denke, die bestehenden Unterschiede unserer jetzigen Häuser in Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt sind durchaus komplementär. Der Mousonturm bedient ästhetische Bedürfnisse eines bestimmten Publikums, das sich von dem der Staatstheater unterscheidet. Auch die Herangehensweisen der einzelnen Künstler an ein Projekt sind ganz individuell. Wir als Produzenten müssen uns fragen, wie wir diese Prozesse adäquat begleiten können. Das geschieht in den institutionalisierten Kompanien wie in der freien Szene gleichermaßen – und da können wir voneinander lernen.

Wagner: Wir sind beide damit beschäftigt, einen guten Boden für Arbeit zu bereiten. Wir wollen aus unterschiedlichen Strukturen heraus Bedingungen schaffen, die es den Künstlern erlauben, zu wachsen.

Knöß: Ihr hattet euch vorgenommen, Gegebenheiten aufzubrechen, mit Ressourcen anders umzugehen. Inzwischen seid ihr auf dem Weg, eure Ideen zu realisieren.

Heynderickx: Als ich mein Amt als Kurator des Hessischen Staatsballetts antrat, sprach Matthias Pees, der Intendant des Mousonturms, mit mir über eine mögliche Kooperation. Ihm war vor allem an einer Weiterführung des Projekts Tanzlabor_21 gelegen, das nach zehn Jahren auslaufen würde.

Wagner: Tanzlabor_ 21 ist in der Tat ein bewährtes und erfolgreiches Projekt, das auf drei Säulen ruht: Den verschiedenartigen Vermittlungsprogrammen rund um Vorstellungen. Der Unterstützung von Tänzern im Grenzbereich zwischen Studium und Professionalität. Der Arbeit mit Laien – darunter das Projekt Tanz in Schulen, das weitflächig in der Region aufgestellt ist und bis nach Wiesbaden reicht.

Heynderickx: Pees suchte nach einer gewissen Kontinuität in diesem Feld, das wir aber gemeinsam weiterentwickeln wollten. Ein Resultat unserer Bemühungen ist das, was wir jetzt vorhaben: Die Tanzplattform Rhein-Main 2016–2018 will für Leute aus der Region bessere Möglichkeiten kreieren.
Wagner: Wir haben unseren Standort mitten in Deutschland in einer Metropolregion, in der einzelne Städte ineinander übergehen, wo Austausch stattfindet. Trotzdem wird das Rhein-Main-Gebiet im Allgemeinen nicht als Ort wahrgenommen, wo in einer hohen Dichte viele freie Künstler, Tanzproduzenten, Ausbildungsstätten und Staatstheater sitzen. Wir wollen mit der Tanzplattform Rhein-Main 2016–2018 eine Art Strudel schaffen, der ausgehend von unseren beiden Institutionen, dem Mousonturm und dem Hessischen Staatsballett, die vielen Aktivitäten im Tanz in der Region zusammenführt. Zugleich zieht er Menschen von außerhalb an, die sich mit den tanzinteressierten Laien und Tanzprofis aus der Region verbinden. So kann das Rhein-Main-Gebiet als Ort für Tanz stärker ins allgemeine Bewusstsein rücken und größere Strahlkraft entwickeln.

Knöß: Die Tanzplattform Rhein-Main 2016–2018 als Leuchtturm. – Was sind eure ersten konkreten Projekte?

Heynderickx: Der Kick off war die Tanzplattform Deutschland sein, die vom 2. bis 6. März im Rhein-Main-Gebiet stattfand.

Wagner: Dieses deutsche Forum für zeitgenössischen Tanz zieht internationales Publikum und Veranstalter aus aller Welt an. Es wird seit 1994 alle zwei Jahre in einer anderen Stadt ausgetragen. 1996 war es schon einmal in Frankfurt zu Gast, jetzt wurde es sozusagen in die Region verlängert: Durch die Kooperation des Mousonturm mit dem Hessischen Staatsballett kommt das Festival zum ersten Mal auch ins Staatstheater Darmstadt.

Heynderickx: Nach dem internationalen Start mit der Tanzplattform Deutschland wird eines der nächstfolgenden Projekte der Tanzplattform Rhein-Main 2016–2018 – diese Namensgleichheit ist übrigens bewusst gewählt und die Irritation gewünscht – mit einer Künstlerin aus der Region stattfinden: Paula Rosolen, deren neue Arbeit wir gemeinsam produzieren, wird bei uns in beiden Institutionen in Residenz sein.
Wagner: Mit dem Ensemble mobil geht ein weiteres Projekt an den Start. Hier liegt der Fokus auf Tanzproduktionen in Nicht-Theaterräumen – wie Schulen und öffentliche Gebäude oder Einrichtungen wie Altersheime. Außerdem beginnen wir mit den Vermittlungsresidenzen. Dazu laden wir Künstler ein, über ein Jahr mit uns zu arbeiten, Teil unseres Teams zu werden, um sich intensiv mit Formaten der Tanzvermittlung zu beschäftigen. Geplant sind zwei solche Residenzen, die parallel im Mousonturm und im Hessischen Staatsballett stattfinden sollen. Allerdings werden sowohl das Ensemble mobil als auch die Vermittlungsresidenzen nicht sofort sichtbar werden. Am Anfang stehen Ausschreibungen, um unsere eigene Perspektive zu öffnen. Diese Open Calls, die sich an regionale und internationale Künstler richten, sollen helfen, uns noch weiter als bisher zu vernetzen.

Heynderickx: Anna und ich sind zwar keine Choreografen, aber wir müssen in unserem Bereich kreativ sein. Um die Bedingungen für den Tanz zu optimieren, wollen wir Grenzen verschieben. Natürlich stehen wir erst am Anfang mit dieser Arbeit, aber es gibt schon eine ganze Reihe weiterer Pläne für die Tanzplattform Rhein-Main 2016–2018: Residenzen für Künstler, die in unterschiedlichen Phasen ihres Kreationsprozesses bei uns arbeiten. Wir wollen unsere Erfahrungen teilen in der Arbeit mit Amateuren, indem wir in den Städten Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt Tanz Clubs etablieren. Wir planen ein Festival, das vor allem regionale Künstler präsentieren wird. Gleichzeitig soll aber auch hier wieder ein internationaler Bezug hergestellt werden.

Quelle: Das Interview entstand im Herbst 2015 für die Ausgabe 01 des Magazins des Hessischen Staatsballetts (Hessisches Staatsballett Magazin 01)