»Ich bin 30 Jahre alt, in Endadashem in Eritrea, am Rande des äthiopischen Hochlandes, geboren und aufgewachsen. Eine Million Eritreer, etwa ein Drittel der Bevölkerung, ist auf der Flucht. Mein Vater war Soldat, meine Mutter ist Hausfrau. Als ich elf Jahre alt war, ist meine Familie wegen der Grenzkonflikte und der schwierigen politischen Situation nach Äthiopien geflohen. Heute lebt meine Mutter ein halbes Jahr in Äthiopien und ein halbes Jahr in den USA bei meinem Bruder in Washington. Es macht mich traurig, dass ich ihn und seine Familie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe.
Mit 16 Jahren wurde ich mit einem 40-jährigen Mann verheiratet; ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Meine jetzt achtjährige Tochter Merhawit lebt bei meinem Bruder in Äthiopien. Sie hat eine fibröse Dysplasie im Gesicht und müsste operiert werden. In Äthiopien habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und zwei Jahre im Krankenhaus in Gonder gearbeitet. Weil meine Mutter immer wieder das Land verlassen musste, Eritreer in Äthiopien ausgegrenzt werden und ein Großteil der Familie in Europa lebt, flüchtete ich schließlich über den Sudan, Libyen und Italien nach Deutschland. In Libyen wurde ich gefangen genommen, geschlagen und gefoltert; meine Kleidung und all meine Sachen wurden mir gestohlen. Vier meiner Freundinnen wurden ermordet. Das Mittelmeer überquerte ich unter lebensbedrohlichen Umständen mit dem Schlauchboot.
Meine Flucht dauerte ein Jahr. Schließlich landete ich in Mainz, wo ich Ibrahim kennenlernte. Ich bin Christin, er ist Muslim. Im Januar 2020 kam unser Sohn Amen zur Welt. Die Schwangerschaft war sehr traumatisch, ich musste mit gebrochener Hüfte und kaputten Knien entbinden. Da ich mein Kind nicht mit Krücken tragen kann, ist der Alltag oft sehr beschwerlich. Ich habe ein Zimmer im vierten Stock eines Hotels; in der Nähe ist ein Supermarkt und die Bushaltestelle liegt gegenüber dem Hoteleingang. Wenn es mir wieder besser geht, hätte ich gerne mehr Kontakt zu Deutschen, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Ich würde gerne als Krankenschwester arbeiten und in eine ebenerdige Wohnung mit einer Küche ziehen.«