Verena Freyschmidt: Vom Wachsen, Verschwinden, Wechseln
Quelle: Marie Schwarze©

Verena Freyschmidt

Die Auswärts-Arbeitende

Das (Un-) Glück der kleinen Räume

Die Zollamt Studios – das Gebäude hält, was sein Name verspricht: ein ehemaliges Bürohaus, schmucklos, mit dem funktionalen Charme der 50er Jahre. Klingeln gibt es keine, auch keine Namensschilder. Das Foyer ist zugig. An den Wänden: Sticker, Tags und sinnfreie Sprühdosen-Experimente. Links eine Glastür, dahinter ein umgekippter Einkaufswagen voller Dosen. »Ist das schon Kunst oder kann das noch weg?« – Studierende der Hochschule für Gestaltung Offenbach, der HfG, bauen gerade die letzte Ausstellung auf.

Die Zollamt Studios gehören zu einer der zwei gängigen Atelierhaus Stereotypen: Alt- und alte Bauten, meist einstige Büro- oder Fabrikgebäude, die besseren Tagen nachhängen, wie hier zum Abriss freigegeben oder zumindest in sanierungsbedürftigem Zustand. Mit dem Aufzug geht es nach oben. Im dritten Stock: ein langer Gang, graue Türen rechts und links – kafkaeskes Bürokratie-Ambiente, leicht dystopisch, wenn das Neonlicht im Flur flackert. Hinter einer geöffneten Tür: ein heller, nicht allzu großer Raum mit bemerkenswerter Aussicht auf das Deutsche Ledermuseum. Hier hat Verena Freyschmidt ihr Atelier. Der Raum ist eigentlich zu klein für ihre sich ausbreitenden Arbeiten – also schiebt sie einen Rollwagen mit Utensilien und Sammelstücken kurzerhand auf den Gang, um Platz zu schaffen.

Und doch: Atelier-Haben ist ein Stück Glück. Zumal, wenn man wie Freyschmidt zu Hause in Hanau mit einem anderen Kreativen zusammenlebt – einem Klangkünstler. Das kann inspirierend sein. Doch manchmal ist es hilfreich, ein externes Arbeitsrefugium zu haben. Und außerdem ist Offenbach, neben Frankfurt, mit seiner großen Kreativen- und Künstler*innendichte ein guter Standort. »Das Glück, in einem Atelier arbeiten zu können, bedeutet: anzukommen, allein zu sein, in einen Arbeitsprozess einzutauchen, in dem sich Kreativität ihren Weg bahnt«. Freyschmidt ist Papierkünstlerin, in Frankfurt geboren; über Gießen und Mainz kam sie an die renommierte Kunstakademie Düsseldorf, wo sie Malerei studierte. Später erhielt sie Lehraufträge in Kassel und Bonn. In ihrer Arbeit steht der Prozess im Vordergrund. Papier wird geschnitten, zufällig bemalt, verschoben; Linien wachsen wie Myzelien, verzweigen und vernetzen sich. Mal entstehen raumgreifende Installationen, mal zarte Wandarbeiten. »Mich interessiert, wie etwas wächst, ohne sich festzulegen. Das Ergebnis ist mir nicht so gegenwärtig wie der Weg dahin. Ein fertiges Werk nicht vordergründig Ziel – alles entwickelt sich.« Sie arbeitete mit Leinwand, eroberte sich Fläche und dann Raum. Zum Beispiel in Wolken, Licht, Schatten. Im Zufall entstehen Formen, ein Chaos, das durch wiederholte Strichführungen eine Ordnung erhält. »Alles ein stetiger Prozess im Dialog mit der Umgebung.«

Auch im Künstler*innenleben sind Wachsen, Verschwinden, Wechseln omnipräsent. Die Zollamt Studios werden bald Geschichte sein. Nach mehr als zehn Jahren – das Gebäude wurde 2014 von der Gemeinnützigen Baugesellschaft Offenbach (GBO) im Auftrag der Stadt für fünf Jahre vom Bund angemietet – endet die Ära. Der Vertrag wurde immer wieder unregelmäßig verlängert, was für die dort arbeitenden Künstlerinnen und Künstler stets eine Zitterpartie bedeutete. Dass eine Stadt frühzeitig Ersatz bereitstellt, ist ein seltener Glücksfall: Zum einen stehen im Ostpol neue Räume zur Verfügung, zum anderen wird in der Senefelderstraße ein Bürohaus hergerichtet. Große Räume wird es dort wohl auch nicht geben. Das Dilemma vieler Künstlerinnen und Künstler, die auf engem Raum arbeiten, bleibt bestehen: Auch für sie, die große Räume bräuchten, bemessen sich Mieten nach Quadratmetern. Immerhin gab es bereits erste Besichtigungstermine. Nicht alle Künstler*innen werden aber mitziehen. Auch Freyschmidt weiß noch nicht genau, wo sie ihr neues Atelier einrichten wird (lem.).