Kulturschaffende beim Arbeiten, beim Wohnen, beim Leben
Quelle: Sibylle Lienhard ©

Künstler. Innen. Orte.

Zwischen Wohnung und Wäscherei

Wie Kulturschaffende Raum für Kultur schaffen

Wie schaffen Kulturschaffende Räume für Kultur? Wie wohnen, wie arbeiten, wie leben sie? Diesen Fragen geht das Projekt »Künstler. Innen. Orte.« mit einer Porträtreihe in Form von Ausstellungen und Artikelserien über Kulturorte und Kulturschaffende in der Rhein-Main-Region nach. Den Auftakt bildete die gleichnamige Ausstellung »Künstler. Innen. Orte.«, die am 23. Oktober im Foyer des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach u.a. gemeinsam mit Oberbürgermeister Felix Schwenke eröffnet wurde. Zehn Künstler*innen – also genauer natürlich: ihre Porträts aus Fotos und Texten regionaler Fotograf*innen und Autor*innen – sind dort für einige Wochen bis Ende November zu Gast. Am letzten Novemberwochenende schließt dieses »Atelierhaus« wieder. Und drei der Künstler*innen verlassen dabei ihr Offenbacher »Künstler*innenhaus« und beziehen am 30. November gemeinsam mit einem weiteren, neuen Künstler in Frankfurt-Höchst ein neues Zuhause: eine »Residence« im Kulturraum 25, wo sich im Laufe des Jahres 2026 – dann im monatlichen Wechsel – immer neue Artists-in-Residences anschließen werden. Ein ganz normales Künstler*innen-Dasein, das wie so oft auf Zeit und an wechselnden Orten angelegt ist (weiter lesen).


Mit Balkon: Wohnen und arbeiten quasi auf zwei Etagen
Quelle: Marie Schwarze©

Carolin Liebl & Nikolas Schmid-Pfähler

Die Zwei von der Wäscherei

Zwei Zimmer, Küche – und Künstlerhaus in Laufdistanz

Der niedrige Flachbau duckt sich im Viertel, das in vielen Jahrzehnten gealtert ist. Er stammt aus einer Zeit, in der gerne solche Flanken für die sogenannte »soziale Infrastruktur« in Quartieren gebaut wurden. Heute wirkt er teilweise unbelebt, etwas aus der Zeit gefallen inmitten des Mixes aus 30er-Jahre Wohnsiedlung, Ein- und Mehrfamilienhäusern. Wären da nicht einige der Schaufenster in den Fassaden, die ihrerseits bunt herausstechen: das »Atelier Wäscherei«. Ladenschilder draußen und drinnen erinnern an die Vormieter – und Carolin Liebl und Nikolas Schmid-Pfähler erzählen, dass auch nach rund sieben Jahren hin und wieder Menschen ihre schmutzige Wäsche abgeben wollen. So haben sie sich vorgenommen, stets freundlich zu erklären, dass es keine Wäscherei mehr an diesem Ort gibt, und was sie hier nun stattdessen tun. Erster Kunstbildungsakt.

Überhaupt erscheinen die beiden heutigen Hauptprotagonist*innen des »Ateliers Wäscherei« stets entspannt. Sie wollen in einem Offenbacher Stadtteil, der in einem toten Winkel der Stadt oft wenig gesehen wird, Hemmschwellen senken, Zugänge erleichtern, einladen zu Kunst, die von der Künstler*innengruppe vor Ort geschaffen wird (weiter lesen).


Hans-Jürgen Herrmann: Hier genau zwischen Atelier und Wohnung
Quelle: Günther Dächert©

Hans-Jürgen Herrmann

Der Grenzgängige

Leben zwischen Städten und im Atelier

Frankfurter oder Offenbacher – Das ist am Ende die Frage, die unweigerlich kommen muss bei Hans-Jürgen Herrmann. Die Antwort: »Bayreuther«. Nein, kein Ausweichen bei der heikelsten Frage zwischen beiden Städten. Es ist Überzeugung. Herrmann stammt aus Bayreuth, ist dort auch immer mal wieder, um nach dem Tode der Mutter nach dem Elternhaus zu schauen.

Doch hierzulande kennt man ihn nur als Frankfurt-Offenbacher Fotografen, seit über 40 Jahren. Einst kam er nach Offenbach wegen der »HfG«, der renommierten Hochschule für Gestaltung, und wurde dort diplomierter Designer und Fotograf. Später zog er mit Frau Anita nach Sachsenhausen, bezog aber auch in einem typischen Offenbacher Gewerbe-Hinterhof Backsteinkomplex ein Atelier. So wie es viele dort gibt, wo deren Dichte viel höher scheint als in Frankfurt. Ein Hinterhaus, in dem er als Gründungsmitglied der Künstler*innen-Gemeinschaft »Projekt Bleichstraße 14 H« seither zusammen mit anderen Kulturschaffenden arbeitet (weiter lesen).


Setareh Alipour: Zwischenstopp auf der Suche nach Räumen
Quelle: Vlada Shcholkina©

Seterah Alipour

Die Improvisationskünstlerin

Die Orte der Kultur überall gestalten

Vielleicht war jene Ausstellung vor ein paar Jahren einfach so auf dem Grün des Offenbacher Büsingparks jene, die am meisten über Setareh Alipour verrät. Es ging um Alltagsrassismus, um die Erfahrungen junger Menschen, zusammengetragen vom Fotografen Zino Peterek, kuratiert für nur diesen einen Tag von Alipour mit Fotos und Texten, die an den Bäumen hingen und die Geschichten dieser Menschen mit deren eigenen Worten erzählten.

Orte der Kunst und der Kultur könnten überall sein, sagt Alipour. Orte des Lebens wohl auch. Setareh Alipour ist Kunstschaffende und Ausstellungsmacherin. Die 30-Jährige beendet derzeit noch an der »HfG« in Offenbach ihr Studium Experimentelle Raumkonzepte sowie Film und Konzeptionelles Zeichnen. Neue Medien und Stadtkonzepte sind ihre Schwerpunkte (mehr lesen).


Elena und Nikolai: Ein Leben in Gemeinschaften
Quelle: Günther Dächert©

Künstler. Innen. Orte.

Elena K. – die Verbindende

Mit Kunst und Kultur neue Orte schaffen

»Terz« ist ein Begriff aus der Musik, aber auch ein Synonym für »Krawall«. Eine ungewöhnliche Kombination. Terz heißt auch die Katze von Elena und ihrem Mann, dem Musiker Nikolai, die es sich im Körbchen auf dem Arbeitstisch der Künstlerin gemütlich macht. Das Künstlerpaar hat die Samtpfote vor fünf Jahren adoptiert und vor vier Jahren mitgebracht nach Praunheim, wo die drei in einer von zwei geförderten Atelierwohnungen auf dem früheren Gelände der Praunheimer Werkstätten direkt an der Nidda leben. Und auch das ist eine ungewöhnliche Konstellation. Ein Großteil des Gebäudes ist seit Jahren ein Übergangswohnheim für geflüchtete Menschen. Elena und Nikolai organisieren gemeinsam mit dem Ehepaar der zweiten Atelierwohnung, Sängerin Pariya Dharmajiva und Musiker Leon Lissner, kreative Aktionen, die sie dann mit den Bewohner*innen des Übergangswohnheims umsetzen. Kunst, Musik und Kreativität sowie soziales Engagement sollen einen Beitrag dazu leisten, dass die dort lebenden Menschen ankommen können. So wie die beiden und ihre Katze.

Dahinter steht ein Konzept, das durch die Vereine basis Frankfurt und KunstWerk Praunheim entwickelt wurde. Hiermit sollen Künstler*innen gefördert werden, die sich dafür entscheiden, mit geflüchteten Menschen zusammen zu leben und zu arbeiten. Elena Kotikova-Muck, die nach ihrem Master für Kulturwissenschaften in Russland 2011 nach Frankfurt kam und am Main Kunstpädagogik studierte, beschreibt ihr Zuhause in Praunheim mit den Worten »mitten im Leben«. Schon mit den ersten Veranstaltungen, welche die Künstler*innen im Übergangswohnheim umsetzten, habe es so viele Impulse gegeben von den Menschen, die dort leb(t)en. Kunst und Musik, sagt sie, ermögliche sich auszudrücken und Sprachbarrieren zu überwinden. Und sie spannt dabei einen Bogen. »Meine eigene Arbeit bezieht sich auf Orte und auf meine Migration«, sagt die Künstlerin, die in Russland im Grenzgebiet zur Ukraine geboren wurde. Dieses Grenzgebiet ist geprägt durch Tschernobyl, viele Orte dort seien seit der Reaktor-Katastrophe verlassen. Was von ihnen übriggeblieben ist, hat sich Elena Kotikova-Muck auf einer Reise dorthin angesehen und ein Stück davon mitgenommen nach Frankfurt – in Form von Frottagen der Außenwände von Häusern und in eigenen Zeichnungen und Monotypien. Auch das fließt in ihre Arbeit hier. Das Atelier von Elena Kotikova-Muck ist Teil der Wohnung, auch ihr Mann hat ein eigenes Musikzimmer. Die neueste Errungenschaft der Künstlerin ist eine Radierpresse, die sie für ihre eigene Kunst, aber auch für Workshops, vor allem mit Kindern und Jugendlichen aus dem Übergangswohnheim nutzen möchte. Kunstbücher stehen aufgereiht im Regal, der Raum ist lichtdurchflutet, einige ihrer grafischen Arbeiten hängen an der Wand. Aktuell bereitet sie sich auf ihren zweiten Studienabschluss in Deutschland, auf den Bachelor in Kunstgeschichte, vor. Elena und Nikolai sind angekommen hier »mitten im Leben«. Einen Ort zu finden, an dem man zu Hause ist, ist auch das, was die Menschen im Wohnheim suchen. Mit ihren Kunst- und Musikprojekten trägt das Paar dazu bei und schlägt auch eine Brücke für diese Menschen zum Stadtteil und seinen Bewohner*innen. Und sie fühlen, was ihre Künste aus dem Ort machen (alf.).