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Los Angeles - Ein Muster, wie der Autoverkehr US-Städte dominiert
Quelle: eoVision©

Städte für Menschen und Räder [5]

Radwege aus der Not heraus

Detroit und New York - zwei amerikanische Geschichten

Detroit, die Heimat von General Motors, war einst die stolze »Motorcity« des Highway- und Autofahrerlandes USA. Sie war das Sinnbild der amerikanischen Stahl- und Autoindustrie, aber in den vergangenen Jahrzehnten auch Symbol eines Niedergangs, der zu einem erstaunlichen Wandel Detroits führte. Die größte Stadt Michigans ist inzwischen so fahrradfreundlich wie kaum eine andere Großstadt in den USA. In nicht einmal zehn Jahren hat Detroit seine Fahrradwege von elf auf 200 Meilen ausgebaut. Das Erfolgsgeheimnis geht auf die Initiative der Bürger und Bürgerinnen selbst zurück. Mit Kreativität hatte man dort aus der Not eine Tugend gemacht, alte, leerstehende Fabrikhallen aufgekauft und ehemalige Arbeiter aus der Automobilindustrie eingestellt, um nun Fahrräder zu bauen. Die Firmen Shinola und Detroit Bike sind längst weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die erwähnten neuen Fahrradwege kamen schlicht, weil sie kommen mussten. Detroit taugt längst zum Vorbild, auch in der Kommunikation des Wandels. Eine Sache, die sich manche Städte bei der Detroit Greenways Coalition abschauen könnten: Schulungsmaterial für alle Verkehrsteilnehmer. Damit ließ sich das Gegeneinander von Auto- und Fahrradfahrern auflösen. Eine Aktion, an der sich alle beteiligen konnten. Und die das Demokratieverständnis stärkte und den Verkehr sicherer machte.

Was Detroit »im Kleinen«, ist New York »im Großen«. Führte in Detroit die Not des Niedergangs zum Siegeszug des Rades, so ist es in New York die »Not des Wachstums«. In der 15-Millionen Metropole gibt es zwar keine Autoindustrie, aber unzählige Autos und chronisch verstopfte Straßen. Das Problem der Stadt: Sie wächst immer weiter, bis 2030 um eine weitere Million Menschen. Um dem Verkehrsinfarkt zu entgehen, hat die New Yorker Verkehrsbehörde 2007 damit begonnen, Stadtstraßen zu verändern – nicht mit Megaprojekten, die Jahrzehnte brauchen und Milliarden verschlingen, sondern fast über Nacht und mit Einsatz günstiger, vorhandener Mittel und Materialien. Mit dem Nachhaltigkeitsplan PlaNYC wurde die Richtung vorgegeben. Der Plan zeigte auf, dass der Umgang mit New Yorks Straßen geändert werden müsse, wenn die Stadt weiter wachsen und Millionen neue Einwohner aufnehmen soll. Die Straßen sollten nicht weiter als Korridore zur Bewegung von möglichst vielen Autos und Lkw verstanden werden, sondern als wertvolle öffentliche Flächen. Das Problem war, dass die Straßen von New York als besonders unfreundlich für Menschen galten. Die bloße Idee, Radfahren zu wollen, erschien anfangs verrückt. Es war klar, dass die Menschen gerade hier nichts an ihrer Fortbewegungsweise ändern würden, solange sie keine sichere Alternative sahen. Bis 2013 baute die Stadt daher 650 Kilometer neuer Radwege. Weitere Maßnahmen waren die Schaffung von mehr als 60 Plätzen und die Einrichtung von sieben neuen Express-Buslinien. Dazu kamen Direktmaßnahmen. In vielen Fällen wurde einfach das Material eines Straßenverkehrsamts – Farbe und Pflanzkübel, Schilder und Zeichen – anders eingesetzt. So wurden bei breiten Straßen die Fahrspuren ein wenig verringert, und ein Radweg angelegt. Verglichen mit den Milliarden, die für den Erhalt der Straßen und Brücken aufgewendet wurden, waren diese Projekte kostengünstig, sorgten aber für eine deutliche Veränderung. Die Zahl der Verletzten im Straßenverkehr sank nicht nur bei Radfahrern, sondern auch bei Fußgängern und sogar bei Autofahrern um 50 Prozent. Das Radwegeprogramm war anfangs umstritten. Fahrräder würden die Straßen unsicherer machen, und Radwege bedeuteten eine Schädigung anliegender Geschäfte. Die Stadt untersuchte die Einnahmesituation bei kleinen Läden – und stellte fest, dass es in Straßen mit geschützten Radwegen Umsatzzuwächse um bis zu 50 Prozent gab. Und auch das Gesamtergebnis ist für das Autofahrerland USA erstaunlich: Die Zahl der Radfahrer hat sich in der Folge vervierfacht (ojs. / dam.).